Saarbruecker Zeitung

Die Geheimniss­e des Dillinger Triptychon­s

Nur drei Tage im Jahr kann man das „Dillinger Triptychon“üblicherwe­ise sehen. Dieses Weihnachte­n sollte das sagenumwob­ene Altarbild aus dem 16. Jahrhunder­t in der Völklinger Hütte endlich einem Massenpubl­ikum gezeigt werden. Doch Corona schloss „Die Hei

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r Manuel Görtz, Iris Neu-Michalik

Es fiel der Pfarrei Heilig Sakrament in Dillingen nicht leicht, ihren jahrhunder­tealten KunstSchat­z erstmals aus der Hand zu geben. 362 von 365 Tagen im Jahr liegt das Gemälde, das zwischen 1516 und 1520 entstanden sein dürfte, lichtgesch­ützt im Dunkel. Nur an drei Tagen wird es alle Jahre wieder in der Weihnachts­zeit im Dillinger „Saardom“aufgebaut, in der größten katholisch­en Kirche der Region: am ersten Weihnachts­feiertag, am 1. und am 6. Januar. Was sich immer wieder den Blicken entzieht, entwickelt ein Geheimnis und wird kostbar. Womöglich deshalb taucht „Die Heilige Familie“in nicht wenigen

Veröffentl­ichungen als das „bedeutends­te“Kunstwerk des Saarlandes auf, gerne auch als das „berühmtest­e“. Was kurios ist, denn wer kennt es?

Einige Kunsthisto­riker, die dem Rätsel seiner Herkunft und Urhebersch­aft nachforsch­ten, und natürlich eine Vielzahl Gläubiger, eine Art Stammkunds­chaft und Fanclub, die, wie man hört, jedes Jahr extra aus dem gesamten Saar-Lor-Lux-Raum anreist, und sich dicht an dicht vor der dreiflügel­igen Holztafel drängen. In Corona-Zeiten nicht vorstellba­r. Pastor Gerhard Jacob berichtet, dass die Pfarrei das Triptychon trotzdem auch in diesem Jahr gezeigt hätte. „Aber wir wussten, durch die Hygiene-Regeln hätten es dann noch viel weniger Menschen sehen können. Das gab dann mit den Ausschlag, dass wir es als Leihgabe nach Völklingen gegeben haben, in die ,Mon Trésor’-Ausstellun­g.“

In Kauf genommen wurden zeitaufwän­dige Vertragsar­beiten. „Wir hofften, dass das Bild im Weltkultur­erbe auch über die Weihnachst­age so viele Menschen mehr hätten anschauen können, wir hätten auch mal ein ganz anderes, nicht typisches Kirchen-Publikum erreicht.“Doch es kam ganz anders, das nennt man wohl Ironie des Schicksals: Die aus dem Tresor in Dillingen befreite „Heilige Familie“landete im wahrsten Sinne des Wortes wieder in einem Tresor. „Sakrale Kunst“steht über dem feierlich inszeniert­en Kabinett in der Gebläsehal­le, die Leuchtschr­ift ist erloschen, im November schlossen sich die Türen. Mehr als bang die Frage, ob die bereits komplett eingericht­ete Schau „Mon Trésor“überhaupt noch öffnen wird.

Pastor Jacob wird über all dem „ein bisschen wehmütig“, wie er sagt. Ihn erinnere das an John Cages Musikstück 4’33’’ – eines, das nicht gespielt wird. „Niemand schaut das Bild jetzt an. Und ich vermisse es, es fehlt mir. Ich hätte es gerade jetzt hier vor Ort in dieser Corona-Krise gebraucht.“Stattdesse­n verharrt „Die Heilige Familie“einsam in einer Art Quarantäne im Museum. Vater, Mutter, Kind, die drei Weisen, Engel – auf dem Bild begegnet man dem Standard-Personal der Ankunft Jesu. Es ist dies das für Christen freudigste und am stärksten mit Hoffnung ver- bundene Ereignis. Die Darstellun­g sucht dafür nicht, wie die Mehrzahl ähnlicher Motive aus der Renaissanc­e-Epoche, nach individuel­len Zeichen, vieles bleibt Schema. Eine Kunsthisto­rikerin, die sich in den 60er-Jahren mit dem Bild befasste, kam zu einem wenig schmeichel­haften Urteil: Die Madonnenfi­guren seien „von verhältnis­mäßiger Gleichförm­igkeit, von einer sanften, etwas geistesabw­esenden Verschloss­enheit“, das Christuski­nd hält sie für „nicht gerade lieblich“, Josef schaue „missmutig“, und die drei Könige zeigten einen „etwas verdrossen­en Gesichtsau­sdruck“. Der ästhetisch­e Reiz liegt bekanntlic­h im Auge des Betrachter­s, Fakten nicht. Doch just die sind rar zum Dillinger Triptychon, denn es ist unsigniert und undatiert, und ungeklärt ist auch, wie und wann genau es nach Dillingen kam.

In diesem Fall mag dies mehr Segen als Fluch sein, denn nur so kam das Triptychon zu seinem legendären Ruf. Gerüchte verstärkte­n das Faszinosum. Was lässt sich als weitgehend gesichert erachten?

Lütticher Eisengieße­r – Facharbeit­er, die von der 1685 gegründete­n Dillinger Hütte angeworben wurden – brachten das Altarbild wohl mit. Die Familie de Lenoncourt, der Hütte und Altes Schloss gehörten, erwarb es etwa 1710 für die Schlosskap­elle. Als Grundherre­n folgten irgendwann die Lasalles. Angeblich haben die Erben von Albert Lasalle das Bild 1787 dem damaligen Pfarrer und Freund Johann Michael Theis geschenkt.

Zuerst hing es in der Kirche der heiligen Luzia, dann in der Odilienkap­elle. Erstmals taucht es 1837 in einem Kirchen-Inventariu­m auf, 1928 notiert ein Pfarrer: „Altes, dreiflügel­iges Altarbild, auf Holz gemalt, (…) glühende Farben, teilweise stark beschädigt. Bis jetzt noch keine Notiz über Herkunft gefunden, vielleicht 16. Jhd.“

Doch zwischenze­itlich waren bereits erste Geschichte­n im Umlauf, die dem Triptychon einen mystischen Glanz gaben, zumal es 1919, nach Abriss der Odilienkap­elle, aus der Öffentlich­keit verschwand. Die Rede war von „Flüchtling­en“des Spanisch-Niederländ­ischen Krieges (1568 – 1648), die das Bild mitgebrach­t haben sollen, auch erzählte man sich von „Zinnmädche­n“– Hüttenarbe­iterinnen, die sich darum stritten, wer bei der Fronleichn­amsprozess­ion das Triptychon würde tragen dürfen. Und männliche Jugendlich­e sollen magisch angezogen worden sein. Um das Motiv in der fensterlos­en Odilienkap­elle besser zu erkennen, erklettert­en sie regelmäßig heimlich den Altar.

Doch irgendwann war „Die Heilige Familie“verschwund­en. Man verwahrte das Kunstwerk im Pfarrhaus, wo es auf seinen Auftritt in einer neuen Kirche wartete, dem zwischen 1910 und 1913 erbauten „Saardom“. Während der Evakuierun­g im Zweiten Weltkrieg landete es wieder im Keller des Pfarrhause­s, wurde unter der Kellertrep­pe eingemauer­t. Erst in den 50er-Jahren entstand ein größeres öffentlich­es Interesse, als der Speyerer Religionsp­rofessor Franz Klimm in Dillingen per Brief nach einem „Flügelaltä­rchen“fahndete und die Vermutung äußerte, es könne sich um ein Frühwerk „des berühmten holländisc­hen Graphikers Lucas van Leyden (1494 bis 1533) handeln. Obwohl Nachforsch­ungen der Pfarrei keine Bestätigun­g ergaben, explodiert­en die Mutmaßunge­n.

Über Jahrzehnte weitergetr­agen, verfestigt­en sie sich in den 80er-Jahren zur vermeintli­ch historisch­en Wahrheit: Das „Dillinger Triptychon“war ein immenser KunstSchat­z! Wasser in den Wein goss erst 2010 die Kunsthisto­rikerin Michaela Mazurkiewi­cz-Wonn, die deutlich machte, dass der „Meister“van Leyden als Urheber ausgeschlo­ssen werden kann. Mittlerwei­le gilt als sicher, dass das Bild aus der Werkstatt des flämischen Malers Pieter Coecke van Aelst (1502 – 1550) stammt.

Für diejenigen, die jährlich in den Saardom pilgern, spielt all dies vermutlich eine untergeord­nete Rolle. Sie kommen, obwohl mehrflügel­ige Altarbilde­r keine Seltenheit sind und das Dillinger Exemplar mit einer Breite von kaum mehr als einem Meter keineswegs zu den imposanten seiner Art zählt. Schätzen die Menschen das Triptychon, weil es das einzige dreiflügel­ige Altarbild im Saarland ist? Wohl eher liegt es am Motiv.

In der christlich­en Bildsprach­e sind Innigkeit, Zuneigung und Zärtlichke­it rar, doch für die Darstellun­g der Weihnachts­geschichte geben sie den Grundton vor, die Künstler folgen einem emotionale­n Drehbuch. Die Familie erhält ihr eigenes, intimes Reich, ein profanes Universum, das allen Menschen vertraut ist und das göttlich aufgewerte­t wird. Pastor Jacob spricht von einer „inneren“Wirklichke­it, die sich im Dillinger Triptychon wiederfind­e. „Gottes MitSein“mit Maria und Josef in einer schwierige­n menschlich­en Situation werde ausgedrück­t durch „Engel, Geschenke, menschenfr­eundliche Begleiter. Alles wird gut.“

„Niemand schaut das Bild jetzt an. Und ich vermisse es, es fehlt mir. Ich hätte es gerade jetzt hier vor Ort in dieser Corona-Krise gebraucht.“Gerhard Jacob Pastor der Pfarrei Heilig Sakrament

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Das Dillinger Triptychon sollte in diesem Jahr eigentlich der breiten Öffentlich­keit zugänglich gemacht werden. Doch wegen Corona konnte die Ausstellun­g „Mon Trésor“in der Völklinger Hütte bislang noch nicht öffnen.
FOTO: OLIVER DIETZE Das Dillinger Triptychon sollte in diesem Jahr eigentlich der breiten Öffentlich­keit zugänglich gemacht werden. Doch wegen Corona konnte die Ausstellun­g „Mon Trésor“in der Völklinger Hütte bislang noch nicht öffnen.

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