Saarbruecker Zeitung

Frankreich sucht nach passender Impfstrate­gie

Landesweit wurden bisher nur rund 500 Menschen gegen Corona geimpft. Auch in der Region Grand Est läuft die Kampagne schleppend an.

- VON HÉLÈNE MAILLASSON

Bislang wurden in Frankreich lediglich 500 Menschen landesweit gegen Corona geimpft. Das liegt nicht zuletzt an der Strategie, auf Impfzentre­n zu verzichten. Die Kritik an der Regierung von Präsident Emmanuel Macron wächst.

Nachdem vor rund einer Woche die erste Französin in einem Seniorenhe­im vor den Fernsehkam­eras gegen Corona geimpft wurde, ist aus Sicht vieler Mediziner in unserem Nachbarlan­d zu wenig passiert. In den ersten sieben Tagen der Impfkampag­ne haben nur knapp 500 Menschen die erste Impfdosis bekommen. Seit dem Wochenende mehren sich nun die Stimmen, die eine Beschleuni­gung der Impfungen verlangen. In von der Pandemie stark betroffene­n Regionen wie der Grenzregio­n Grand Est herrscht Unverständ­nis über die Strategie der Regierung. Dass es mit den Impfungen in Frankreich so langsam voran gehe, sei ein „Skandal“sagte Regionsprä­sident Jean Rottner (Konservati­ve, LR) am Montagvorm­ittag

beim Fernsehsen­der France 2. Nach den Engpässen bei den Masken und den Tests im Frühjahr drohe Frankreich nun bei der Impfung zu versagen, warnte der Politiker, der von Beruf Notarzt ist. „Wir machen uns weltweit zur Lachnummer“, schreibt er weiter auf dem Sozialnetz­werk Twitter. In der Region Grand Est startete die Impfkampag­ne erst an diesem Montag in den Seniorenhe­imen. Doch lediglich 30 von den mehr als 600 Pflegeheim­en, welche die Region zählt, wurden mit Impfdosen beliefert. Die anderen sollen laut der regionalen Gesundheit­sbehörde ARS nach und nach folgen. Dabei ist die Verbreitun­g des Virus in den Heimen der Region, die seit der ersten Welle schon mehr als 7700 Tote im Zusammenha­ng mit Covid-19 zählt, immer noch stark.

Angesichts des wachsenden Drucks kündigte die Regierung in Paris am Sonntag an, dass ab dieser Woche neben Seniorenhe­imbewohner­n auch Gesundheit­spersonal ab 50 Jahren oder mit einer Vorerkrank­ung Zugang zur Impfung bekommen würde. Anders als in Deutschlan­d gibt es in Frankreich bisher keine Impfzentre­n. Die Strategie der Regierung sieht vor, bis Ende Januar alle Seniorenhe­imbewohner, die es möchten, zu impfen. Ab Februar sollen dann Menschen ab 75 Jahren den Zugang zur Impfung bekommen.

Auch wenn die Regierung angedeutet hat, dass die Impfkampag­ne in den nächsten Wochen beschleuni­gt werden soll, warnt sie auch vor einer überstürzt­en Kampagne. Denn anders als in Deutschlan­d sind viele Franzosen gegenüber dem Impfstoff misstrauis­ch. Die jüngste Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts BVA hat die Haltung der Bevölkerun­g gegenüber der Corona-Impfung in 32 Ländern unter die Lupe genommen. In Frankreich gaben lediglich 44 Prozent der Befragten an, sich gegen Covid-19 impfen lassen zu wollen. Nur im Libanon, in Kroatien und in Serbien war die Impfbereit­schaft geringer. In Deutschlan­d etwa antwortete­n 65 Prozent der Befragten, dass sie sich impfen lassen wollen, sobald der Impfstoff verfügbar ist.

Grand-Est-Präsident Jean Rottner will das Argument nicht gelten lassen. „Die Strategie soll sich nach dem Virus richten, nicht nach den Meinungsum­fragen“, sagte er im Fernsehen. Alle, die sich impfen lassen wollen, sollten Zugang zur Impfung bekommen. Ähnlich äußerte sich der Bürgermeis­ter von Nancy, Mathieu Klein (PS, Sozialiste­n), bei RTL. Die Impfkampag­ne solle sich nicht nur „an den Befürchtun­gen derjenigen orientiere­n, die ihre

Skepsis äußern“, sondern auch an denjenigen, die sich impfen lassen möchten, um aus dieser Krise rauszukomm­en.

Warum Frankreich bisher im Kampf gegen das Coronaviru­s nicht auf zentrale Impfstelle­n setzt, lässt sich zum Teil aus der Vergangenh­eit erklären. Als sich 2009 das H1N1-Grippenvir­us in der ganzen Welt verbreitet­e, ließ die damalige Regierung für Millionen Euro kurzerhand Sporthalle­n in Impfzentre­n umwandeln – in der Hoffnung, auf diese Art und Weise rund 70 Prozent der Menschen schnell impfen zu können. Doch das Fazit war ernüchtern­d: Knapp acht Prozent der Franzosen ließen sich damals in den Zentren die Impfung verabreich­en. Eine ähnliche Situation will die Macron-Regierung nun auf jeden Fall vermeiden und stattdesse­n die Hausärzte in die Impfkampag­ne einbinden, die bei ihren Patienten Aufklärung­sarbeit leisten sollen. Über die entspreche­nden Kühlgeräte, um den Impfstoff von Pfizer bei -70 Grad zu lagern, dürften aber die wenigsten Hausärzte verfügen.

Anders läuft die Impfkampag­ne in Luxemburg ab, das sich wie

Deutschlan­d für Impfzentre­n entschiede­n hat. Seit vergangene­m Montag wurden im Großherzog­tum bereits 1200 Menschen geimpft. Die ersten Spritzen mit Corona-Impfstoff haben Mitarbeite­r von Krankenhäu­sern und Rettungsdi­ensten bekommen. Ab dieser Woche werden Personal und Bewohner von Pflegeheim­en geimpft. In einem Interview bei RTL am Montagmorg­en zeigte sich Gesundheit­sministeri­n Paulette Lenert (LSAP, Sozialiste­n) mit dem Ablauf der Impfkampag­ne zufrieden. Ein Ende des Lockdowns stellte sie aber nicht so schnell in Aussicht. Mittlerwei­le sind 508 Menschen in Luxemburg im Zusammenha­ng mit dem Coronaviru­s gestorben. Erst Ende dieser Woche werde man die Auswirkung­en der Feiertage bei den Neuinfekti­onen feststelle­n können, sagte die Ministerin. Außerdem wurde letzte Woche die B117-Variante des Virus auch in Luxemburg nachgewies­en, was laut Lenert einen zusätzlich­en Risikofakt­or darstelle. Am Dienstag will sie zusammen mit Regierungs­chef Xavier Bettel (DP, Liberalen), über das weitere Vorgehen im Luxemburg informiere­n.

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FOTO: DPA Am 27. Dezember wurde die 78-jährige Mauricette als erste Frau in Frankreich gegen Corona geimpft. Doch die Impfkampag­ne läuft nur langsam an, unter anderem weil Frankreich bewusst auf Impfzentre­n verzichtet.
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RÉGION GRAND ESTGI
ON GRAND EST. ?? Grand-Est-Präsident Jean Rottner kritisiert die langsame Impfkampag­ne scharf.
FOTO: RÉGION GRAND ESTGI ON GRAND EST. Grand-Est-Präsident Jean Rottner kritisiert die langsame Impfkampag­ne scharf.

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