Saarbruecker Zeitung

Wie die Werbebranc­he Corona für sich nutzt

Für Umweltschu­tz, gegen Sexismus: Werbung erweckt verstärkt den Eindruck, als wollten Konzerne die Welt verbessern. Das zeigt sich auch und gerade in der Corona-Krise.

- VON MICHAEL KIEFFER

Mit Schlagwort­en wie „Solidaritä­t“und „Wir“werben derzeit viele Konzerne und vermitteln den Eindruck, die Welt verbessern zu wollen. Corona scheint diese Werbestrat­egie noch zu verstärken.

(dpa) Corona hat auch die Werbung verändert. Auf Plakaten und in Fernsehspo­ts war zuletzt viel von „Wir“, „Uns“und „Solidaritä­t“die Rede. Nicht nur Behörden wie das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium appelliert­en mit Slogans und Schlagwort­en wie #FürMichFür­Uns an den Gemeinscha­ftssinn. Auch große Konzerne, von denen man dergleiche­n womöglich weniger erwartet hätte, stimmten ein. „Plötzlich haben (nahezu) alle Marken nur noch ein Thema: wie menschlich, sympathisc­h und zugänglich sie sind“, beobachtet der Hamburger Markensozi­ologe Oliver Errichiell­o.

Beispiel Coca-Cola. In einer seit Monaten kaum zu übersehend­en Kampagne des Getränkehe­rstellers heißt es: „Lasst uns offen für das

Neue bleiben – so offen wie nie zuvor.“Nicht jeden überzeugt das. Das seien Slogans, als wären sie im Politbüro erdacht worden, hieß es im Sommer in einer Spiegel-Glosse. Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur sagt Coca-Cola: „Die Kampagne gründet in der Überzeugun­g, dass wir nicht zur Normalität zurückkehr­en müssen, sondern gemeinsam voranschre­iten und die Welt anders – und besser – machen können.“

Bereits vor der Coca-Cola-Kampagne und auch schon vor der Corona-Krise war zu beobachten, dass sich Unternehme­n mit ihrer Werbung verstärkt zu gesellscha­ftlichen Themen positionie­ren – oder anders ausgedrück­t: Haltung zeigen. In der Werbebranc­he hat sich dafür das Schlagwort „Purpose“geprägt (engl.: Zweck/ Ziel/Sinn). „Es gibt seit geraumer Zeit in Marketingu­nd Werberkrei­sen die Idee, einen höheren Sinn hinter dem wirtschaft­lichen Tun zu zeigen oder diesen zu finden“, sagt der Werbepsych­ologe Joost van Treeck, der an der Hochschule Fresenius lehrt.

Im Corona-Jahr 2020 boomten solche Purpose- oder Haltungska­mpagnen. Sichtbar wurde das etwa im Lebensmitt­eleinzelha­ndel. So wandelte der Discounter Penny seinen Slogan „Erstmal zu Penny“ab und warb mit #erstmalzuh­ause. Das klang fast schon wie von der Bundesregi­erung: Das Gesundheit­sministeri­um nutzte zuletzt Sprüche wie „Ich will wieder tanzen. Dafür fahr ich jetzt Kontakte runter“oder „Ich will wieder im Stadion jubeln. Dafür lüfte ich jetzt auf Arbeit ständig“, um die Menschen zu coronakonf­ormem Verhalten zu bringen.

„Unter dem Motto ‚Wir sind alle nur Menschen und kämpfen gemeinsam gegen das Virus’ machen sich die größten Marken ganz klein“, meint Markensozi­ologe Errichiell­o. „Die eigentlich­e Leistung des Unternehme­ns, der Grund, weshalb die Menschen bereit sind, ihr schwer verdientes Geld auszugeben, rückt immer mehr in den Hintergrun­d.“Aus Errichiell­os Sicht schwächen sich Unternehme­n und machen sich austauschb­ar. „Kunden kaufen Leistungen und keine Gefühle“, sagt er. „Konkret wäre doch stattdesse­n, wenn ein Unternehme­n damit werben würde, dass man seine Mitarbeite­r für die tolle Arbeit doppelt so hoch bezahlen würde: Das hilft auch den Kunden, die auf motivierte Mitarbeite­r träfen. Das ist soziales Handeln.“

Konsumente­n in Deutschlan­d stehen Unternehme­n, die eine Meinung zu einem Thema äußern, generell offen gegenüber – zu diesem Ergebnis kam jüngst eine Untersuchu­ng des Marktforsc­hungsinsti­tuts YouGov. „Zwei Drittel (66 Prozent) sagen, dass Unternehme­n und ihre Marken ausdrücken können sollten, wie sie zu einem Thema stehen. (...)“, hieß es von YouGov.

Joan Bleicher, Professori­n am Institut für Medien und Kommunikat­ion an der Universitä­t Hamburg, sagt: „Aktivitäte­n etwa im Bereich Umweltschu­tz statt bloßer Marketing-Slogans könnten zur Glaubwürdi­gkeit beitragen. Dennoch bleibt jedoch eine potenziell­e Skepsis gegenüber den Produktmär­chen der Werbung erhalten.“

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FOTO: BUNDESMINI­STERIUM FÜR GESUNDHEIT/DPA Mit der Kampagne #FürMichFür­Uns wirbt das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium um einen besseren Schutz vor Corona.

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