Ein Tarifjahr unter schwierigen Vorzeichen
Schon 2020 waren sichere Arbeitsplätze für viele wichtiger als höhere Löhne. Daran dürfte sich auch im zweiten Jahr der Pandemie wenig ändern.
(dpa) Wenn in den kommenden Monaten die Arbeitsbedingungen in Deutschland ausgehandelt werden, schwebt unsichtbar auch immer die Corona-Pandemie über dem Verhandlungstisch. Trotz der weithin genutzten Kurzarbeit gingen die unterschiedlich intensiven Phasen des wirtschaftlichen Lockdowns nicht spurlos an der Arbeitswelt vorbei.
Die gravierendsten Beispiele dafür sind sicher die Luftverkehrsindustrie sowie das Hotel- und Gaststättengewerbe. Während die Lufthansa mit ihren drei Gewerkschaften gerade noch Sanierungs-Tarifverträge zur Vermeidung von Entlassungen gezimmert hat, traut sich die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) Bayern in der Krisenbranche Hotellerie keine bezifferte Forderung mehr zu. Auch in den Schlüsselindustrien Metall und Elektro (M+E) hat das Virus teils deutliche Spuren hinterlassen. „Wir blicken auf Umsatzrückgänge von 15 bis 30 Prozent“, beschreibt der neue Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Stefan Wolf, die Situation des schwierigen Jahres 2020. Zu verteilen gebe es da nichts, sagt er.
Zusammen mit der IG Metall muss Wolf den wegweisenden Abschluss für die rund 3,8 Millionen
M+E-Beschäftigten unter schwierigen Vorzeichen zimmern. Die Gewerkschaft verlangt „Zukunftstarifverträge“für die einzelnen Betriebe sowie ein Entgelt-Plus von vier Prozent, das bei schwacher Nachfrage auch zum Teilausgleich von Lohnausfällen bei einer Arbeitszeitverkürzung dienen könne. IG-MetallChef Jörg Hofmann wirbt in diesem Zusammenhang für die Option der
Vier-Tage-Woche mit 32 Stunden Arbeitszeit statt bislang 35 Stunden. Die Arbeitgeber warnen hingegen vor jeder Verteuerung des Faktors Arbeit.
Die Metall-Parteien hatten sich im März 2020 wegen des Ausbruchs der Pandemie auf eine Fortschreibung des bestehenden Flächentarifs ohne Tabellenerhöhungen geeinigt. Dieser Umstand macht es der Gewerkschaft nahezu unmöglich, allein die Sicherung der Arbeitsplätze in den Fokus zu stellen. Immerhin haben die Kontrahenten zunächst noch bis Ende Februar Zeit für Lösungen ohne den Druck kostspieliger Warnstreiks, denn die Friedenspflicht endet erst zum 1. März.
Die IG Metall hat sich aber den Einsatz ihrer für die Betriebe besonders schmerzhaften 24-Stunden-Ausstände vorbehalten, die ohne vorherige Urabstimmung möglich und mit vollem Streikgeldanspruch für die Teilnehmer verbunden sind.
Nach einer Aufstellung der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung werden im Jahr 2021 die Gehälter und Arbeitsbedingungen für rund zwölf Millionen Beschäftigte in Deutschland neu ausgehandelt. Das sind deutlich mehr als die zehn Millionen aus dem Vorjahr. Neben der
Metall- und Elektroindustrie sind das Bauhauptgewerbe, der Einzelhandel sowie im September der Öffentliche Dienst der Länder die Schwergewichte.
Trotz sinkender Tarifbindung wird immer noch die Mehrzahl der Arbeitsverhältnisse von den Abkommen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern beeinflusst. Dem IAB-Betriebspanel 2017 zufolge arbeiten 54 Prozent in Betrieben, die an Flächen- oder Haustarife gebunden sind. Bei knapp der Hälfte der übrigen Beschäftigten orientiert sich das Unternehmen an bestehenden Tarifverträgen, sodass unter dem Strich mindestens drei von vier Beschäftigten in Deutschland nach Tarif oder tarifnah bezahlt werden.
Allzu hoch werden die Abschlüsse im Jahr 2021 nicht ausfallen, erwartet unter anderen die Bundesbank. Schon in der Tarifrunde 2020 standen vor allem Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung und niedrige Lohnerhöhungen in den Verträgen. Nach Berechnungen des gewerkschaftlichen WSI-Tarifarchivs stiegen die Gehälter der Tarifbeschäftigten im abgelaufenen Jahr im Schnitt nur um zwei Prozent. Ein geringeres Wachstum hatte es zuletzt im Jahr 2010 gegeben.
„Wir blicken auf Umsatzrückgänge von
15 bis 30 Prozent.“
Stefan Wolf
Arbeitgeberverband Gesamtmetall