Harte Kritik am Windhund-Verfahren
Viele ältere Menschen fühlen sich bei der Terminvergabe für die Impfung gegen Covid-19 abgehängt. Das kritisieren drei von vier Fraktionen des Saar-Landtages.
Der Streit um die Impfstrategie im Saarland hat am Montag die Landtagsfraktionen beschäftigt. Sind von 80 000 Menschen, die in der ersten Phase impfberechtigt sind, gerade rund 4000 einmal geimpft. Zwei Dosen sind nötig, um immun zu werden. In der Kritik steht nicht, dass zunächst ältere Menschen, die über 80 Jahre alt sind, und Pflegekräfte geimpft werden. Die Fraktionen von SPD, Linke und AfD sahen vor allem die Vergabe der Impftermine im so genannten „Windhund-Verfahren“kritisch. Dabei ergattern nur die Menschen Termine, die besonders schnell sind. Bei den Fraktionen seien Beschwerden aufgelaufen, dass das Windhundprinzip hilfsbedürftige Menschen benachteiligen würde, hieß es. Ministerpräsident Tobias Hans räumte am Nachmittag dann ein, dass Wartelisten kommen sollen, die allen eine Chance auf einen Termin geben sollen. Nicht nur den schnellsten (siehe Bericht unten).
Die SPD-Landtagsfraktion forderte zuvor, die Impfstrategie zu überarbeiten. Und legte ein Fünf-Punkte-Papier vor, das sie mit dem Koalitionspartner CDU diskutieren will. In Punkt eins forderte sie eine Bundesinitiative „zur beschleunigten Produktion und Beschaffung von Impfstoffen“. Punkt zwei, die „Etablierung einer Warteliste“, ist jetzt umgesetzt. Zudem: Alle Bürger über 80 Jahre sollen Post mit einem Anmeldeformular bekommen.
Magnus Jung, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, kritisiert vor allem das Vorgehen bei der Impfstoffverteilung im Saarland: „Tatsächliches Impfgeschehen und Erwartungen der Bevölkerung klaffen meilenweit auseinander“, stellte Jung fest. Dies sei im Saarland „auch die Folge der nicht ausreichenden Kommunikation des zuständigen Sozialministeriums.“Das wird in der großen Koalition von Gesundheitsministerin Monika Bachmann (CDU) geführt. Und: Ältere Menschen hätten nicht die gleichen Chancen, einen Impftermin zu erhalten. „Wer alt, arm und allein ist, droht, durch das Raster zu fallen“, sagte Jung. „Zum anderen kommt die Terminvergabe einer Impflotterie gleich, zumal eine Anmeldung in einer Warteliste nicht möglich ist. Das muss sich ändern.“Unter Punkt drei forderte die SPD eine weitere Priorisierung innerhalb der ersten Impfgruppe, um den Impfstoff gezielter an gefährdete Personen verteilen zu können. Taxi-Gutscheine für Fahrten zu Impfzentren forderte sie auch. Dazu will sie unter Punkt vier eine Strategie zur Impfung von immobilen Menschen. Unter Punkt fünf forderte sie, Pflegekräfte in den Heimen zu impfen, in denen sie arbeiten.
Die CDU-Landtagsfraktion wies die Kritik zurück. Fraktionschef Alexander Funk sagte, es sei fraglich, ob es ein besseres System wäre, alle zu Impfenden anzuschreiben. Schließlich sei immer noch nicht genug Impfstoff vorhanden. Warten müsse man ohnehin. „Die Menschen sind ungeduldig, die wollen jetzt ihren Termin. Es dauert aber noch eine Zeit“, sagte Funk. Ein Losverfahren hielte er für „zynisch“.
Für Josef Dörr, 82, AfD-Fraktionschef, ist das Windhundprinzip bei der Terminvergabe „ein Unding“, bei ihm lief „ein Sturm der Entrüstung auf, da die Leute telefonisch nicht durchgekommen sind“. Es habe nur eine
Nummer und eine Internetseite gegeben. Das sei „unverantwortlich und zynisch“. Laut Dörr wäre es sinnvoll, die Anmeldungen an die sechs saarländischen Gesundheitsämter zu delegieren.
Auch die Linke hat die Impfstrategie, „sehr empört“, wie Jochen Flackus, parlamentarischer Geschäftsführer, erklärte. Dass Windhundprinzip sei ein Ausdruck „von sozialer Kälte“. Dieses Verfahren sei für Frust verantwortlich und fördere die Impfmüdigkeit. Daher sei dies „ein schwerer politischer Fehler. Wir werden in der Plenarsitzung beantragen, dieses Verfahren abzusetzen“.