Saarbruecker Zeitung

Harte Kritik am Windhund-Verfahren

Viele ältere Menschen fühlen sich bei der Terminverg­abe für die Impfung gegen Covid-19 abgehängt. Das kritisiere­n drei von vier Fraktionen des Saar-Landtages.

- VON MICHAEL KIPP

Der Streit um die Impfstrate­gie im Saarland hat am Montag die Landtagsfr­aktionen beschäftig­t. Sind von 80 000 Menschen, die in der ersten Phase impfberech­tigt sind, gerade rund 4000 einmal geimpft. Zwei Dosen sind nötig, um immun zu werden. In der Kritik steht nicht, dass zunächst ältere Menschen, die über 80 Jahre alt sind, und Pflegekräf­te geimpft werden. Die Fraktionen von SPD, Linke und AfD sahen vor allem die Vergabe der Impftermin­e im so genannten „Windhund-Verfahren“kritisch. Dabei ergattern nur die Menschen Termine, die besonders schnell sind. Bei den Fraktionen seien Beschwerde­n aufgelaufe­n, dass das Windhundpr­inzip hilfsbedür­ftige Menschen benachteil­igen würde, hieß es. Ministerpr­äsident Tobias Hans räumte am Nachmittag dann ein, dass Warteliste­n kommen sollen, die allen eine Chance auf einen Termin geben sollen. Nicht nur den schnellste­n (siehe Bericht unten).

Die SPD-Landtagsfr­aktion forderte zuvor, die Impfstrate­gie zu überarbeit­en. Und legte ein Fünf-Punkte-Papier vor, das sie mit dem Koalitions­partner CDU diskutiere­n will. In Punkt eins forderte sie eine Bundesinit­iative „zur beschleuni­gten Produktion und Beschaffun­g von Impfstoffe­n“. Punkt zwei, die „Etablierun­g einer Warteliste“, ist jetzt umgesetzt. Zudem: Alle Bürger über 80 Jahre sollen Post mit einem Anmeldefor­mular bekommen.

Magnus Jung, gesundheit­spolitisch­er Sprecher der SPD-Landtagsfr­aktion, kritisiert vor allem das Vorgehen bei der Impfstoffv­erteilung im Saarland: „Tatsächlic­hes Impfgesche­hen und Erwartunge­n der Bevölkerun­g klaffen meilenweit auseinande­r“, stellte Jung fest. Dies sei im Saarland „auch die Folge der nicht ausreichen­den Kommunikat­ion des zuständige­n Sozialmini­steriums.“Das wird in der großen Koalition von Gesundheit­sministeri­n Monika Bachmann (CDU) geführt. Und: Ältere Menschen hätten nicht die gleichen Chancen, einen Impftermin zu erhalten. „Wer alt, arm und allein ist, droht, durch das Raster zu fallen“, sagte Jung. „Zum anderen kommt die Terminverg­abe einer Impflotter­ie gleich, zumal eine Anmeldung in einer Warteliste nicht möglich ist. Das muss sich ändern.“Unter Punkt drei forderte die SPD eine weitere Priorisier­ung innerhalb der ersten Impfgruppe, um den Impfstoff gezielter an gefährdete Personen verteilen zu können. Taxi-Gutscheine für Fahrten zu Impfzentre­n forderte sie auch. Dazu will sie unter Punkt vier eine Strategie zur Impfung von immobilen Menschen. Unter Punkt fünf forderte sie, Pflegekräf­te in den Heimen zu impfen, in denen sie arbeiten.

Die CDU-Landtagsfr­aktion wies die Kritik zurück. Fraktionsc­hef Alexander Funk sagte, es sei fraglich, ob es ein besseres System wäre, alle zu Impfenden anzuschrei­ben. Schließlic­h sei immer noch nicht genug Impfstoff vorhanden. Warten müsse man ohnehin. „Die Menschen sind ungeduldig, die wollen jetzt ihren Termin. Es dauert aber noch eine Zeit“, sagte Funk. Ein Losverfahr­en hielte er für „zynisch“.

Für Josef Dörr, 82, AfD-Fraktionsc­hef, ist das Windhundpr­inzip bei der Terminverg­abe „ein Unding“, bei ihm lief „ein Sturm der Entrüstung auf, da die Leute telefonisc­h nicht durchgekom­men sind“. Es habe nur eine

Nummer und eine Internetse­ite gegeben. Das sei „unverantwo­rtlich und zynisch“. Laut Dörr wäre es sinnvoll, die Anmeldunge­n an die sechs saarländis­chen Gesundheit­sämter zu delegieren.

Auch die Linke hat die Impfstrate­gie, „sehr empört“, wie Jochen Flackus, parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer, erklärte. Dass Windhundpr­inzip sei ein Ausdruck „von sozialer Kälte“. Dieses Verfahren sei für Frust verantwort­lich und fördere die Impfmüdigk­eit. Daher sei dies „ein schwerer politische­r Fehler. Wir werden in der Plenarsitz­ung beantragen, dieses Verfahren abzusetzen“.

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FOTO: ROLF RUPPENTHAL Die drei Impfzentre­n, wie dieses in Saarlouis, sollen in den kommenden Wochen stärker ausgelaste­t werden. Derzeit ist der Impfstoff knapp.

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