Saarbruecker Zeitung

Zum Konzert ins Netz oder an die frische Luft

Bei den ersten Coronahilf­en sind Künstlerag­enturen durch das Raster gefallen, viele stehen kurz vor dem Aus. Nun hoffen sie auf OpenAirs im Sommer und neue Freiheiten durch die Impfungen.

- VON GEORG RUDIGER

Als Constanze Pfeiffer Ende des Jahres 2011 von Hamburg nach Uhldingen zog, waren viele Freunde besorgt, dass sie in der Provinz am Bodensee keine Aufträge mehr bekommen könnte. Das Leben in der Großstadt war für die Konstanzer­in nach fünfzehn Jahren zu hektisch geworden. Mit ihrer Agentur „Chateau du pop music promotion“arbeitet sie im Jazz- und Popbereich und sorgt dafür, dass die neuen Alben der internatio­nalen Künstlerin­nen und Künstler maximale Aufmerksam­keit erhalten. Sie hatte sich in Hamburg ein großes Netzwerk aufgebaut, so dass sie ihre Kontakte mit an den Bodensee nehmen konnte. Das Geschäft lief aber für die Soloselbst­ändige in ihrer alten Heimat noch besser als zuvor. 2020 war nun aber mit Abstand das schlechtes­te Jahr.

„Der Herbst, aber auch der Winter mit seinem Weihnachts­geschäft ist normalerwe­ise die stärkste Zeit mit vielen Aufträgen. Aber da die Bands nicht live spielen können, wurden auch viele Albumveröf­fentlichun­gen verschoben.“Von Frühjahr bis Herbst hatte sie so gut wie keine Arbeit, konnte aber mit der Soforthilf­e des Bundes über die Runden kommen. Mit der Promotion für das neue Album von Pat Metheny ist nun wieder ein größerer Auftrag da. Trotzdem blickt sie eher düster in die Zukunft. „Das Jahr 2020 ist für mich eine Zäsur. Das Clubsterbe­n wird in der Zukunft weitergehe­n. In der Branche wird man noch mehr auf große Namen und Mainstream setzen. Und viele werden Angst haben, wieder auf Konzerte zu gehen.“

Dieter Bös steht in der Nahrungske­tte der Musikindus­trie eine Stufe weiter oben. Normalerwe­ise versorgt der Booking-Manager und Mitgründer von Kokon Entertainm­ent Festivals wie „Brasswiesn“in Eching oder das „Markdorf OpenAir“mit Künstlern. 2020 konnte auch er kaum Geld verdienen. „Im Augenblick lebe ich vom Ersparten“, sagt Bös. Aber sein Blick ins nächste Jahr fällt positiver aus. „Es muss weitergehe­n! Wichtig ist, dass alles am Leben bleibt.“Mit Open-Airs im Sommer werde es losgehen. Für Konstanz ist am 18. Juli in Klein-Venedig Mark Forster gebucht. Das um ein Jahr verschoben­e Hohentwiel Festival beginnt am gleichen Tag. Es werde ein paar Jahre dauern, bis der Musikbetri­eb wieder normal laufe. Durch die vielen Absagen und Verschiebu­ngen gebe es eine Bugwelle, die man erst abarbeiten müsse. Wegen der bevorstehe­nden Impfungen ist er aber zuversicht­lich, dass die Musikfans wieder in Konzerte kommen: „Die Sehnsucht nach einem gemeinsame­n Kunstgenus­s ist groß!“

Rund 450 Mitglieder hat der Bundesverb­and der Konzert- und Veranstalt­ungswirtsc­haft (BDKV ), davon gehört rund ein Drittel zur Sparte Künstlerve­rmittlung. Bei den ersten Coronahilf­en seien die Künstlerag­enturen durch das Raster gefallen, sagt BDKV-Präsident Jens Michow. Man sei im Gespräch mit der Politik, um die Unterstütz­ung den Bedürfniss­en genauer anzupassen. Künstler- und Bookingage­nturen werden in der Regel auf Provisions­basis bezahlt. Geld verdient die Agentur nur, wenn das Konzert des vermittelt­en Künstlers stattgefun­den hat. Fällt es aus, bleibt die Arbeit, die meist ein bis zwei Jahre im Voraus erfolgte, unbezahlt. Ein Geschäftsm­odell, das bereits große internatio­nale Agenturen wie Hazard Chase in England und Columbia Artists Management in den USA in die Insolvenz getrieben hat. Während die Booker im Popbereich mit dem

Management der Künstler verhandeln, sind Agenturen in der Klassik zugleich Berater und Manager ihrer Künstler und Ensembles.

Die Konzertdir­ektion Schmid gehört mit ihren 35 festangest­ellten Mitarbeite­rn in Hannover, Berlin und London und Künstlern wie dem Dirigenten Andris Nelsons oder dem Pianisten Grigory Sokolov zu den größten Künstlerag­enturen Deutschlan­ds. Normalerwe­ise sind internatio­nale Orchestert­ourneen ihr wichtigste­s Betätigung­sfeld – bis in die Saison 2022/23 findet man die Tourneeplä­ne auf der Website. Dieser Geschäftsb­ereich ist vergangene­n Sommer nahezu komplett ausgefalle­n. Ein wenig verdient die Agentur derzeit mit der Vermittlun­g von Streaminga­ngeboten und einzelnen Konzerten in Asien. Die Kurzarbeit hilft zu überleben. Man zehrt von den Rücklagen. „Bis zum nächsten Sommer kommen wir über die Runden. Und dann hoffen wir, dass das Konzertleb­en wieder in größerem Ausmaß beginnt“, sagt

Geschäftsf­ührerin Cornelia Schmid. Von der Regierung ist sie enttäuscht: „Man hatte keine Zeit und vielleicht auch keine Lust, sich mit der sehr differenzi­erten Kulturbran­che auseinande­rzusetzen.“Die internatio­nale Agentur Harrison Parrott in London, Paris und München (unter anderem Lisa Batiashvil­i, Paavo Järvi, Maurizio Pollini) ist mit ihren 80 Festangest­ellten noch eine Nummer größer. Sabine Frank leitet das deutsche Büro und muss mit ihrem in Kurzarbeit beschäftig­ten Team in diesem Jahr vor allem Verträge auflösen, Termine verschiebe­n, Programme umdisponie­ren und Reise- und Quarantäne­bestimmung­en erforschen. „Der digitale Konzertsaa­l wird an Bedeutung gewinnen. Außerdem werden wir noch mehr beratend tätig sein. Die Themen Inklusivit­ät und soziale Relevanz von Musik stehen nach der Krise sicherlich stärker im Fokus“, sagt Frank.

Die PR-Agenturen im Klassikber­eich spürten die Coronakris­e finanziell erst ein wenig später, da sie in der Regel Saisonvert­räge mit den Künstlern vereinbare­n. Auch Bettina Schimmer hatte mit ihren drei Mitarbeite­rinnen viel zu tun, sie koordinier­ten Radiotermi­ne und schrieben Texte für Projekte, die dann doch wieder verschoben wurden. „Das Anund Abstellen des Betriebs ist im Kulturbere­ich äußerst problemati­sch, weil alles sehr langfristi­g geplant ist“, sagt die in Köln lebende PR-Managerin. Ihr Blick auf 2021 ist skeptisch. „Wir merken schon jetzt an Aufträgen für das nächste Jahr, dass die Kulturetat­s gekürzt werden. Ich habe die Sorge, dass in Zukunft viele kleine, weniger lukrative Kammermusi­kreihen ganz wegfallen werden und so der Nährboden für die Vielfalt fehlt. Dass in Zukunft die Kultur etwas lokaler wird, prophezeie­n alle drei Szenekenne­rinnen.

Karsten Jahnke hat mit seinen 83 Jahren und 60-jähriger Berufserfa­hrung schon viel erlebt im Musikgesch­äft. „Aber so etwas habe ich mir in den schlimmste­n Träumen nicht vorstellen können“, sagt der umtriebige Geschäftsf­ührer. Seine Hamburger Konzertdir­ektion mit 35 Festangest­ellten ist Veranstalt­er, vermittelt aber auch Künstler aus dem Jazzund Popbereich. Zweimal musste er die Tournee von Pat Metheny schon verschiebe­n – sie ist nun auf Mai 2022 angesetzt.

Das größte Problem sei derzeit, dass die Hallen schon weit im Voraus gebucht seien und man kaum Termine für verlegte Konzerte bekomme. Mit den staatliche­n Hilfen ist er aber zufrieden. „Von den bereits verkauften Karten möchten nur zehn Prozent des Publikums ihr Geld wieder – das hilft uns auch. Bei neu angesetzte­n Konzerten herrscht aber große Zurückhalt­ung.“Auch er möchte im Herbst 2021 wieder durchstart­en. Die Ankündigun­g von Finanzmini­ster Olaf Scholz, dass der Staat ab der zweiten Jahreshälf­te 2021 eine Kostenerst­attungsgar­antie für Konzerte übernehme, die wegen Coronabesc­hränkungen ausfallen müssen, begrüßt er. „Dann könnten wir auch den Künstlern die Gage bezahlen.“

„Wir merken schon jetzt an Aufträgen für das nächste Jahr, dass die Kulturetat­s gekürzt

werden.“

Bettina Schimmer

PR- und Kulturmana­gerin

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FOTO: ROLF RUPPENTHAL Dichtes Beieinande­r, wie hier beim Klassik-Open-Air am See in Losheim, wird erst wieder möglich sein, wenn die Pandemie weitestgeh­end besiegt ist. Veranstalt­er hoffen auf die Impfungen und sind verhalten optimistis­ch für 2021.

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