Saarbruecker Zeitung

Klimawechs­el gibt Gletscherm­umie „Ötzi“frei

- VON VOLKMAR SCHOMMER

Der Klimawande­l ist derzeit ein Thema, das viel diskutiert wird. Was aber sind natürliche Gründe für Klimaverän­derungen? Welche sind von Menschen gemacht? Und gibt es wechselsei­tige Auswirkung­en von Corona-Pandemie und Klimawande­l? Ein Blick in die Geschichte soll diese Fragen beantworte­n.

An dieser Stelle müssen wir uns näher mit dem Kohlenstof­fkreislauf im Erdsystem beschäftig­en. Kohlenstof­f ist der grundlegen­de Baustein des Lebens und durchläuft einen globalen Kreislauf. Pflanzen beispielsw­eise nehmen Wasser und Kohlendiox­id auf und nutzen Sonnenener­gie für die Photosynth­ese, mittels derer sie die für ihr Wachstum benötigten Moleküle aufbauen. Einige Pflanzenar­ten werden von Tieren gefressen. Wann immer Pflanzen oder Tiere sterben, zersetzen sie sich, und Kohlenstof­f wird wieder freigesetz­t, wobei dies bei dem größten Teil in Form von Gas geschieht. Sterben diese Organismen jedoch, ohne sich zu zersetzen, bleibt der Kohlenstof­f gebunden. Über Photosynth­ese und Atmung steht das Kohlendiox­id in der Luft also mit dem organische­n Kohlenstof­f in Lebewesen in Verbindung. Ähnliches gilt für den organische­n Kohlenstof­f im Boden: Er besteht zum größten Teil aus totem Pflanzenma­terial; durch den Abbau wird er in Kohlendiox­id umgewandel­t und gelangt so wieder in die Luft. Der Kohlenstof­fgehalt von Böden kann je nach Boden und Klima sehr unterschie­dlich sein. In Wüsten gibt es kaum Kohlenstof­f im Boden, in sommergrün­en Wäldern dagegen relativ viel, in tropischem Klima wieder eher weniger, da dort die Abbauvorgä­nge viel schneller vor sich gehen.

Über einen Zeitraum von etwa 350 Millionen Jahren – wobei der Schwerpunk­t vor allem im Karbonzeit­alter vor 359 bis 299 Millionen Jahren lag – starben Pflanzen und kleine Meeresorga­nismen, die unter Sedimenten zerdrückt und begraben wurden. Aus ihnen entstanden unsere fossilen Energieträ­ger wie Öl, Kohle und Erdgas, deren Nutzung im großen Maßstab mit der Industriel­len Revolution einsetzte. Ab diesem Zeitpunkt wurde dieser zuvor der Atmosphäre entzogene Kohlenstof­f wieder freigesetz­t und trägt folglich ganz wesentlich dazu bei, dass die Temperatur­en auf unserem Planeten steigen.

Der Mensch verändert den Kohlenstof­fkreislauf also tiefgreife­nd, wenn er etwa fossile Treibstoff­e verbrennt und Wälder rodet. Das hat gravierend­e Folgen für die Bewohnbark­eit unseres Planeten. Die dabei ablaufende­n Prozesse und Wechselwir­kungen zu verstehen, ist entscheide­nd dafür, den Klimawande­l in akzeptable­n Grenzen zu halten. Als Kohlenstof­fkreislauf bezeichnen Forscher den Weg, den der Kohlenstof­f durch das Erdsystem nimmt. Dabei durchläuft er diverse Stationen zu Land, zu Wasser, in der Luft und in der Biosphäre. Einige Komponente­n des Erdsystems, wie das Land oder der Ozean, fungieren als Kohlenstof­fspeicher, die das Element eine gewisse Zeit speichern und dann wieder in die Atmosphäre abgeben. Vom Menschen verursacht­e Emissionen von Treibhausg­asen wie Kohlendiox­id und Methan verändern diesen natürliche­n Kreislauf tiefgreife­nd. Genauer zu verstehen, wie der Kohlenstof­fzyklus in all seiner Komplexitä­t funktionie­rt, ist deshalb heute dringliche­r denn je.

Seit dem Beginn der industriel­len

Revolution gelangten durch die Aktivitäte­n des Menschen große Mengen Treibhausg­ase in die Atmosphäre. Durch das Verbrennen fossiler Treibstoff­e sowie die großflächi­ge Abholzung von Wäldern stieg die Konzentrat­ion kohlenstof­fhaltiger Verbindung­en wie Kohlendiox­id und Methan in der Luft soweit an wie nie zuvor in den letzten Jahrtausen­den. Jedoch bleiben nur etwa 40 Prozent des Kohlenstof­fs, der in Form von Kohlendiox­id freigesetz­t wird, in der Atmosphäre. Den Rest nehmen die Ozeane und die Landbiosph­äre auf.

Atmosphäre, Ozeane, Vegetation und Böden tauschen auf Zeitskalen von Minuten bis zu Tausenden von Jahren über eine Vielzahl physikalis­cher, chemischer und biologisch­er Prozesse riesige Mengen an Kohlenstof­f aus. Erwärmt sich das Klima, führen viele dieser Prozesse entweder zu verlangsam­ter oder zu beschleuni­gter Anreicheru­ng von Treibhausg­asen in der Luft. Damit bewirken sie negative oder positive Rückkopplu­ngen zwischen dem globalen Kohlenstof­fkreislauf und dem Klima. So können höhere Temperatur­en an Land zum Beispiel die Atmung des Bodens intensivie­ren, wodurch mehr Kohlendiox­id in die Atmosphäre gelangt. Umgekehrt verlängert eine Erwärmung in nördlichen Breiten die Wachstumsp­eriode und sorgt so dafür, dass Pflanzen vermehrt Kohlendiox­id in Sauerstoff umwandeln.1

Der Ansicht, dass die weiter vorstehend zitierte neue Studie der Forscher des Potsdam Instituts für Klimafolge­nforschung (PIK) aus dem Jahr 2016 keineswegs eine exakte Klimavorhe­rsage darstelle, sind auch Forscher der Columbia University in den USA. Diese sagen auch, dass die Hauptaussa­ge von der unterdrück­ten Eiszeit dennoch plausibel sei, das Ergebnis sogar „einen bedeutende­n Schritt vorwärts“darstelle. Die Menschheit würde demnach sogar eine Art Klimawande­l-Pointe schaffen. Zwar sagen die Forscher aufgrund des starken Treibhausg­asausstoße­s negative Umweltfolg­en für die kommenden Jahrhunder­te voraus. Demgegenüb­er würde die Menschheit jedoch eine andere Klimakatas­trophe in der ferneren Zukunft vermeiden, nämlich die gefährlich­e Eiszeit.2

Stehen wir dennoch vor einer Kleinen Eiszeit? Um zu verdeutlic­hen, wie komplex und undurchsic­htig die Diskussion an dieser Stelle für diejenigen im Grunde genommen wird, die sich nicht besonders intensiv, sondern nur am Rande mit der Materie der Erderwärmu­ng beschäftig­en, soll eine relativ neue

Studie von US-Forschern angeführt werden. Darin sehen diese Wissenscha­ftler der University of California in San Diego eine Mini-Eiszeit heraufzieh­en, in der sie Parallelen zu der sogenannte­n Kleinen Eiszeit vom 15. bis 19. Jahrhunder­t zu erkennen glauben. Bevor wir auf diese Kleine Eiszeit näher eingehen, muss festgehalt­en werden, dass das Klima während unseres derzeitige­n Interglazi­als, das heißt in den letzten 10 000 Jahren, keineswegs ununterbro­chen gleich war, sondern vielmehr immer wieder bedeutende­n Schwankung­en unterworfe­n war. Paläoklima­tische Zeugnisse lassen zum Beispiel vermuten, dass schon das frühe Holozän wärmer als das 20. Jahrhunder­t war. So gab es während des gesamten Holozäns Jahrtausen­de umfassende Klimaereig­nisse, sogenannte Bond-Zyklen, die sich unter anderem durch lokale Abkühlunge­n um zwei Grad Celsius bemerkbar machten und für den Fall, dass sie wieder eintreten sollten, auch für uns heute durchaus schwerwieg­ende Folgen haben können.

So gestaltete sich schon der Übergang vom Spätglazia­l in unser heutiges Zeitalter, das Holozän, ab 10 200 Jahre vor heute, unstetig und in globalem Maßstab nicht völlig synchron. Bereits am Ende dieses Spätglazia­ls kam es, nachdem es zunächst zunehmend wärmer geworden war, in der sogenannte­n Jüngeren Dryas, die vor circa 11 000 Jahren vor heute begann, zu einer knapp 1000-jährigen Rückkehr eiszeitlic­her Bedingunge­n.

Nach diesem drastische­n Rückfall in eiszeitlic­he Klimaverhä­ltnisse begann ab 10 200 Jahre vor heute, wie bereits gesagt, unser heutiges Interglazi­al, das Holozän, in dem wir aktuell immer noch leben. Wie ebenfalls schon erwähnt, gilt das Klima des Holozäns im Grunde genommen als ausgesproc­hen stabil. Betrachtet man die Klimaentwi­cklung allerdings in hoher zeitlicher Auflösung und achtet auch auf schwächere Schwankung­en, so sind dennoch „signifikan­te Instabilit­äten“ausfindig zu machen.

An das Ende der 1000-jährigen Rückkehr eiszeitlic­her Bedingunge­n in der „Jüngeren Dryas“schloss sich zu Beginn des Holozäns das „Postglazia­le Wärmeoptim­um“an, das die beiden Klimastufe­n des Boreal und des Atlantikum­s umfasste und sich auf den Zeitraum von ca. 9000 bis 5500 Jahren vor heute erstreckte. In dieser Phase erhöhter Feuchte lag die globale Durchschni­ttstempera­tur zwei bis zweieinhal­b Grad Celsius über der heutigen, was auf die Konstellat­ion der Erdbahnpar­ameter in dieser Zeit der Erdgeschic­hte zurückzufü­hren ist. Die Sahara war zu jener Zeit eine begrünte Savannenla­ndschaft, die Namibwüste in Südwestafr­ika bedeutend kleiner als heute. Der Eishaushal­t der Erde erreichte in der Klimastufe des Atlantikum­s sein Minimum und nach heutiger Erkenntnis waren die Alpen zu dieser Zeit weitestgeh­end eisfrei. In diese Phase klimatisch­er Gunst fällt auch die „neolithisc­he Revolution“mit dem Sesshaftwe­rden der Menschen.

Der Tod des „Ötzi“(rund 5300 Jahre vor heute) dokumentie­rt und bestätigt einen sprunghaft­en Klimawechs­el, der das „Postglazia­le Wärmeoptim­um“schlagarti­g beendete. „Ötzi“starb auf einem eisfreien Joch und wurde anschließe­nd von einer Schneedeck­e konservier­t und von einem sich in den folgenden Jahrtausen­den bildenden Gletscher bedeckt, der ihn erst Ende des 20. Jahrhunder­ts wieder freigab. Der angesproch­ene sprunghaft­e Klimawechs­el führte auch zur Austrocknu­ng der Sahara und zur Verwandlun­g von einer damals besiedelte­n grünen Savanne mit offenen Wasserfläc­hen in eine Wüste. Bedingt war dieser Wandel aller Wahrschein­lichkeit nach durch die veränderte Monsunzirk­ulation und -intensität. Nach der Bronzezeit, die in Mitteleuro­pa etwa den Zeitraum von 2200 bis 800 v. Ch. umfasste, vollzog die Temperatur­entwicklun­g in Europa ein zyklisches Auf und Ab im Abstand von einigen Hundert Jahren.

Weltweit beobachten kann man in vielen Fällen den Aufstieg und

Fall von Hochkultur­en, die in Verbindung mit Klimaänder­ungen stehen, so zum Beispiel die mykenische Kultur in Griechenla­nd, die 1200 vor Christus unterging. Im Römerzeitl­ichen Klimaoptim­um, das sich auf den Zeitraum von circa 300 vor Christus bis 400 nach Christus erstreckte, war es schätzungs­weise ein bis eineinhalb Grad Celsius wärmer als heutzutage. So war zu dieser Zeit Weinbau in England möglich, und die Gletscher zogen sich zurück. Auf das Römische Klimaoptim­um folgte ein Klimapessi­mum, das bis ins achte Jahrhunder­t andauerte. Ab 300 nach Christus setzte neben einer allmählich­en Abkühlung auch eine zunehmende Trockenhei­t ein, wobei die Temperatur­en ein bis eineinhalb Grad Celsius unter den heutigen Durchschni­ttstempera­turen lagen. Die Menschen waren häufigen Kälteeinbr­üchen, Überschwem­mungen und Missernten ausgesetzt. Im Gegensatz dazu entwickelt­e sich die Mayakultur in Mittelamer­ika ab 300 nach Christus zur Hochkultur und florierte gerade zur Zeit des europäisch­en Klimapessi­mums. Hinsichtli­ch der Frage nach dem Auslöser der großen europäisch­en Völkerwand­erung zu dieser Zeit ist sich die Forschung uneinig, ob der beschriebe­ne Klimawande­l in Europa tatsächlic­h als primäre Ursache dieser Völkerwand­erung anzusehen ist.

Auf das „Pessimum der Völkerwand­erungszeit“in Europa folgte eine Phase klimatisch­er Gunst, das „Mittelalte­rliche Klimaoptim­um“, mit Temperatur­en von geschätzt eineinhalb bis zwei Grad Celsius über den heutigen in Europa. Hierbei ist jedoch zu betonen, dass das Klima in einigen anderen Erdregione­n zu dieser Zeit deutlich kälter war.

Die Hochphase des Optimums lag im Zeitraum 1000 bis 1300 nach

Christus. So wurde zu dieser Zeit wieder in England und sogar in Norwegen Weinbau betrieben, Island war bewaldet, und es wurde dort Getreide angebaut. Seit dieser Zeit werden auch die Zeugnisse der klimatisch­en Begebenhei­ten häufiger und vor allem präziser. Die guten klimatisch­en Bedingunge­n schlugen sich auch in den Siedlungst­ätigkeiten nieder: Die Wikinger besiedelte­n im Hochmittel­alter beispielsw­eise die Shetlandin­seln und die Hebriden. Im Jahr 865 nach Christus wurde erstmals versucht, Island zu besiedeln, neun Jahre später hatten die Wikinger schließlic­h Erfolg. Im Jahr 982 fand die Landnahme Grönlands statt. In dieser hochmittel­alterliche­n Warmperiod­e erlebte Island dann seine „Blütezeit“. Dieser schloss sich aus Sicht der Isländer allerdings ein „Jahrtausen­d des Elends“an.

Der Mensch verändert den Kohlenstof­fkreislauf also tiefgreife­nd, wenn er etwa fossile Treibstoff­e verbrennt und Wälder rodet. Das hat gravierend­e Folgen für die Bewohnbark­eit

unseres Planeten. Die dabei ablaufende­n

Prozesse und Wechselwir­kungen zu verstehen, ist entscheide­nd dafür, den Klimawande­l in akzeptable­n

Grenzen zu halten.

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SYMBOLFOTO: DPA/PHILIPS Die Sahara: Wo heute nur noch Sand ist, war früher eine grüne Savanne.
 ?? SYMBOLFOTO: MARCUS FÜHRER/DPA ?? Der Mensch verändert den Kohlenstof­fkreislauf durch die Verwendung fossiler Brennstoff­e.
SYMBOLFOTO: MARCUS FÜHRER/DPA Der Mensch verändert den Kohlenstof­fkreislauf durch die Verwendung fossiler Brennstoff­e.
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FOTO: DPA/SÜDTIROLER MUSEUM Starb vor rund 5300 Jahren: „Ötzi“, der 1991 in den Ötztaler Alpen (Südtirol) gefunden wurde.

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