Geht der Saar-Wirtschaft die Puste aus?
Die Verlängerung des Lockdowns trifft einige Branchen schwer, die Auszahlung der Hilfen stockt. Viele rechnen mit einer Insolvenzwelle.
Der verlängerte Lockdown, auf den sich Bund und Länder am Dienstag verständigt haben, trifft einige Branchen der Saar-Wirtschaft erneut schwer. Vertreter der Gewerkschaften und Verbände aus Einzelhandel und Gastronomie kritisieren unter anderem die schleppende Auszahlung der Hilfen und fordern eine
Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, aber vor allem eines: eine Perspektive.
Aufgrund der hohen Infektionszahlen und Todesfälle sei eine Verlängerung des Lockdowns unausweichlich, sagt der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer im Saarland, Frank Thomé. In der Folge spitze sich die Situation für wichtige Branchen der Saar-Wirtschaft allerdings immer stärker zu. Vor allem im stationären Einzelhandel, in Gastronomie und Hotellerie sowie in der Freizeit- und Kulturwirtschaft und den zugehörigen Dienstleistern. „Viele dieser Betriebe haben längst alle Reserven aufgebraucht und geraten jetzt aufgrund mangelnder Liquidität in akute Existenznot“,
sagt er. „Die Situation wird noch verschärft, weil zugesagte staatliche Hilfen nur sehr schleppend fließen. Hier muss dringend nachgesteuert werden.“
Diesen Punkt kritisiert auch der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands im Saarland (HDE), Fabian Schulz. Er rechnet daher mit einer größeren Insolvenzwelle. Noch müssen Betriebe, die coronabedingt in die Zahlungsunfähigkeit gerutscht sind, keinen Insolvenzantrag stellen. Diese Aussetzung der Antragspflicht gilt aktuell noch bis Ende des Monats. Schulz fordert eine Verlängerung. Besonders betroffen sei die Modebranche. „Sie haben die Herbst- und Wintermode noch nicht verkauft und sitzen schon auf der Frühjahrsmode.“Einige Unternehmen hätten zwar einen Online-Handel aufgebaut, vom normalen Umsatz seien sie aber weit entfernt. Dabei kritisiert er fehlende Unterstützung. So gebe es zwar mit „digital starter“einen Fördertopf zur Digitalisierung kleinerer und mittlerer Unternehmen im Saarland. „Der Fördertopf ist aber leer und müsste aufgefüllt werden.“
Auf Online-Handel umschwenken kann die Gastronomie-Branche nicht. Wie der HDE kritisiert auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) im Saarland, Michael Buchna, Verzögerungen bei der Auszahlung der Hilfen. Selbst die Abschlagszahlungen der Novemberhilfen seien noch nicht in jedem Betrieb angekommen, die Überbrückungshilfe III noch im Aufbau. Um eine Insolvenzwelle in der Saar-Gastro zu vermeiden, hält auch er eine Verlängerung der Antragsaussetzung bis mindestens Dezember für zwingend erforderlich. Vor allem aber fordert der Dehoga-Vertreter eins: eine Perspektive und mehr Planbarkeit. Damit die Betriebe verbindlicher wissen, wann sie wieder öffnen dürfen, schlägt er eine Orientierung an Inzidenzen vor – beispielsweise einem Inzidenzwert von 50. „Gehen die Infektionszahlen runter, könnten die Betriebe sich langsam wieder auf Öffnung einstellen.“
Den rund 15 000 Mitarbeitern der saarländischen Gastro-Branche „steht das Wasser bis zum Hals“, sagt der Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gasstätten (NGG), Mark Baumeister. Nach wie vor fordert die Gewerkschaft daher eine Corona-Sofort-Nothilfe in Höhe von 1000 Euro und ein Mindestkurzarbeitergeld von 1200 Euro. Denn oft reichen die Löhne nur „Knopf auf Naht“, wie Buchna sagt. Mit der Aktion „Wir müssen den Löffel abgeben“hatte die Gewerkschaft im vergangenen Monat versucht, auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Eigentlich sollten die gesammelten Löffel symbolisch an Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) übergeben werden. „Er weigert sich, die Löffel anzunehmen“, sagt Baumeister und fordert den Ministerpräsidenten zum Gespräch auf.
Im saarländischen Handwerk sind insbesondere körpernahe Dienstleistungen vom Lockdown betroffen. „Aus Gesprächen mit Friseuren geht klar hervor, dass viele meiner Kollegen kaum noch Rücklagen haben“, sagt der Landesinnungsmeister Mike
Ulrich. „Die Angst, ihr Geschäft für immer schließen zu müssen, wächst mit jedem Tag, an dem ihr Betrieb geschlossen ist.“Die Landesinnung hoffe daher auf einen Beschluss der Regierung zur unkomplizierten Stundung von Krediten. Die Überbrückungshilfe III reiche nicht aus.
„Richtigerweise sind weitere Hilfen vorgesehen“, sagt der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer des Saarlandes, Bernd Reis. „Allerdings reicht deren bloße Ankündigung nicht aus, wenn die Auszahlung ausbleibt oder an viel zu komplizierten Zulassungsvoraussetzungen scheitert. Wenn also die Liquidität zu spät kommt, kann es sein, dass sie nichts mehr nützt und der Betrieb ‚verdurstet‘.“