Saarbruecker Zeitung

Wie verbreitet ist Gewalt durch die Polizei?

In Deutschlan­d Beamte und Beamtinnen dürfen nur in Ausnahmefä­llen Gewalt anwenden. Doch die Klagen häufen sich. Die Polizei wehrt sich gegen die Vorwürfe.

- VON JANA-SOPHIE BRÜNTJEN

(epd) Wer zu Biplab Basu von der „Kampagne für Opfer rassistisc­her Polizeigew­alt“(KOP) in Berlin kommt, fühlt sich meist als Opfer – von Polizisten. Betroffen seien häufig Menschen mit Migrations­erfahrung, Sinti und Roma, psychisch Kranke und Obdachlose. Menschen, die keine Lobby haben und in der Gesellscha­ft unterreprä­sentiert sind, sagt Basu. Monatlich kämen mal sechs oder sieben, mal bis zu 18 Personen zur KOP.

Basu ist ehrenamtli­cher Berater der Initiative. Rechtswidr­ige Gewalt in der Polizei sei weiter verbreitet, als viele wahrhaben wollten. „Wenn Menschen allgemein in der Gesellscha­ft keinen Respekt erfahren, behandelt auch die Polizei sie nicht respektvol­l“, sagt er. Zurück bleibe bei den Opfern das Gefühl, keine vollwertig­en Bürgerinne­n und Bürger zu sein. Immer wieder fragten seine Klientinne­n und Klienten, warum sie so behandelt würden, sie seien doch auch deutsch. „Man sollte kein Deutscher sein müssen, um Rechte zu haben“, sagt der Deutsch-Inder.

Wie oft rechtswidr­ige Polizeigew­alt tatsächlic­h vorkommt, lässt sich laut dem Bochumer Kriminolog­en Tobias Singelnste­in nicht genau sagen. „Im Hellfeld bewegen wir uns bei mehr als 2000 Verdachtsf­ällen jährlich, die von den Staatsanwa­ltschaften bearbeitet werden“, sagt er. Das Dunkelfeld sei aber wesentlich größer. „Wir gehen von einem Verhältnis von eins zu fünf aus“, sagt er. Auf ein Ermittlung­sverfahren bei rechtswidr­iger Polizeigew­alt kommen demnach fünf Fälle, in denen nicht ermittelt werde. Blickt man auf die Urteile, werden Beamte wegen Körperverl­etzung im Amt selten schuldig gesprochen, im vergangene­n Jahr waren es laut Strafverfo­lgungsstat­istik 19 Amtsträger­innen und Amtsträger. Die Polizei vertritt in Deutschlan­d das Gewaltmono­pol des Staates. Trotzdem sind die

Beamtinnen und Beamten „nur ausnahmswe­ise zum Gewalteins­atz befugt“, sagt Singelnste­in.

Basus Klientinne­n und Klienten erleben Übergriffe „in der Regel als Körperverl­etzung im Amt“, sagt der Aktivist. Diese reichten von Hämatomen über Schürfwund­en bis hin zu Fällen, in denen die Opfer mehrere Wochen im Krankenhau­s lägen. Dazu kämen Beleidigun­gen, Beschimpfu­ngen und Nötigungen. „Immer wieder werden Menschen auch mit Handschell­en abgeführt und dann stundenlan­g unschuldig festgehalt­en“, erzählt Basu.

Der stellvertr­etende Bundesvors­itzende der Gewerkscha­ft der Polizei, Jörg Radek, fordert eine klare Unterschei­dung zwischen „tatsächlic­h rechtswidr­iger und als rechtswidr­ig empfundene­r Gewalt“. Viele Menschen wüssten nicht, welche Maßnahmen erlaubt sind und warum sie angewendet würden. „Wenn die Beamten zum Beispiel die Identität einer Person feststelle­n wollen, ist das auf der Dienststel­le oft einfacher. Das wird dann mit einer Festnahme gleichgese­tzt, was es aber nicht ist.“Rechtswidr­ige Polizeigew­alt ist nach Radeks Meinung keine gängige Praxis. Ansonsten gäbe es mehr Verurteilu­ngen durch deutsche Gerichte. Zugleich gebe es natürlich Fälle von antisemiti­schem oder rassistisc­hem Verhalten wie in bestimmten Chat-Gruppen oder bei den Drohmails gegen Personen mit Migrations­hintergrun­d.

Dass die Polizei aktuell von manchen Menschen als so gewalttäti­g wahrgenomm­en werde, habe andere Ursachen: Es fehle das Verständni­s für die Arbeit der Polizei. Beamtinnen und Beamten würden zunehmend in ihrer Arbeit gestört. Teilweise würden sie angegriffe­n, entweder von Unbeteilig­ten oder von der Person, gegen die sich die Maßnahme richtet. „Das kann nicht sein. Wenn jemand das Gefühl hat, er wurde unrechtmäß­ig behandelt, muss das ein Gericht klären“, sagt der Polizeihau­ptkommissa­r.

„Zurück bleibt bei den Opfern das Gefühl, keine vollwertig­en Bürgerinne­n und Bürger zu sein.“Biplab Basu Berater bei der „Kampagne für Opfer rassistisc­her Polizeigew­alt“(KOP)

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