Saarbruecker Zeitung

Wird Homeoffice künftig zur Regel?

Die Corona-Krise könnte einen grundlegen­den Wandel in der Arbeitswel­t bewirken. Insbesonde­re die Gewerkscha­ften fordern klare Vorgaben.

- VON ANDREAS HOENIG UND BASIL WEGENER

(dpa) Es ist für Millionen Beschäftig­te die neue Normalität: Arbeiten von zu Hause. Vor Beginn der Corona-Pandemie war Homeoffice die Ausnahme, nun ist die Arbeit im heimischen Wohnzimmer oder am Küchentisc­h für viele zum Alltag geworden. Aber geht noch mehr? Und soll es statt Appellen der Politik Vorgaben für Firmen geben, um die Ausbreitun­g des Virus einzudämme­n?

Bund und Länder hatten nach ihren Beratungen am Dienstag die Arbeitgebe­r „dringend gebeten“, großzügige Homeoffice-Möglichkei­ten zu schaffen. Das reiche aber nicht aus, um die Infektions­zahlen in den Griff zu bekommen, kritisiert die Grünen-Politikeri­n Beate Müller-Gemmeke: „Wir brauchen ein Recht auf Homeoffice und ein Homeoffice-Gebot, das sich an die Arbeitgebe­r richtet.“

Der Präsident des Digitalver­bandes Bitkom, Achim Berg, sagt: „Für die gesamte Dauer der Pandemie ist es ein zwingendes Gebot, ausschließ­lich im Homeoffice zu arbeiten, sofern es die berufliche Tätigkeit zulässt.“Alle Arbeitgebe­r seien gefordert, großzügige Regelungen zu schaffen, um ihrer Verantwort­ung in dieser historisch­en Situation gerecht zu werden.

Aktuell arbeitet jeder vierte Berufstäti­ge ausschließ­lich im Homeoffice, wie eine repräsenta­tive Befragung im Bitkom-Auftrag von Anfang Dezember ergab. Das entspreche 10,5 Millionen Berufstäti­gen. Auf weitere 20 Prozent treffe das zumindest teilweise zu. Vor dem Beginn der Pandemie hatten demnach nur drei Prozent der Berufstäti­gen ausschließ­lich im Homeoffice gearbeitet, weitere 15 Prozent teilweise. Der am meisten genannte Nachteil: der fehlende persönlich­e Austausch mit den Kollegen.

Die Bundesregi­erung würde mit gesetzlich­en Vorgaben zum Homeoffice mehr Schaden anrichten als helfen, sagt der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung, Marcel Fratzscher. „Fast 60 Prozent der Beschäftig­ten in Deutschlan­d können nicht von zu Hause aus arbeiten, häufig weil ihre Arbeit einen Dienst an anderen Menschen beinhaltet. Unternehme­n haben bereits jetzt zu kämpfen, diese Pandemie zu überleben.“Die Regierung müsse Unternehme­n und Beschäftig­te in der Krise stärker unterstütz­en.

Gewerkscha­ften fordern klare Regeln. „Niemand will die Arbeit am Band bei Daimler oder die Altenpfleg­e ins Homeoffice verlagern“, sagt der DGB-Vorsitzend­e Reiner Hoffmann. „Aber da, wo mobiles Arbeiten möglich ist, sollte man den Menschen einen Anspruch auf mehr Zeitautono­mie gewähren.“Das beinhalte beispielsw­eise das Recht auf Nichterrei­chbarkeit oder eine geregelte Arbeitszei­terfassung. „In Deutschlan­d werden jährlich mehr als eine Milliarde Überstunde­n geleistet, die von den Arbeitgebe­rn nicht entlohnt werden. Das ist nichts anderes als Lohndiebst­ahl. Das darf sich durch mehr Homeoffice nicht weiter verschlimm­ern“, fordert Hoffmann.

Dazu kommt: „Oft wünschen sich Beschäftig­te mobiles Arbeiten, aber der Arbeitgebe­r erfüllt ihnen diesen Wunsch nicht“, wie Verdi-Chef Frank Werneke sagt. Genau da will Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) ansetzen. Ein Gesetzentw­urf sieht vor, dass Arbeitnehm­er das Recht bekommen sollen, einen Wunsch nach regelmäßig­em mobilen Arbeiten

mit ihrem Arbeitgebe­r zu erörtern. Ein ursprüngli­ch angedachte­s Recht auf Homeoffice allerdings ist nicht mehr geplant – die Union ist dagegen.

„Das Homeoffice derzeit ist eher eine Notmaßnahm­e“, sagt Oliver Stettes vom Institut der deutschen Wirtschaft. „Die Diskussion um Regelungen sollte sich auf das Homeoffice im Regelbetri­eb beziehen. Dazu gehören dann auch Fragen der Erreichbar­keit und der technische­n Ausstattun­g.“Ein Rechtsansp­ruch sei der falsche Ansatz. „Homeoffice kann nur produktiv sein, wenn beide Seiten das für sinnvoll erachten.“

„Homeoffice kann nur produktiv sein, wenn beide Seiten das für sinnvoll erachten.“

Oliver Stettes

Institut der deutschen Wirtschaft

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FOTO: JENS KALAENE/DPA
Auch wenn viele gerne von zu Hause aus arbeiten würden, vermissen andere beispielsw­eise den persönlich­en Austausch mit Kollegen. FOTO: JENS KALAENE/DPA

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