Wird Homeoffice künftig zur Regel?
Die Corona-Krise könnte einen grundlegenden Wandel in der Arbeitswelt bewirken. Insbesondere die Gewerkschaften fordern klare Vorgaben.
(dpa) Es ist für Millionen Beschäftigte die neue Normalität: Arbeiten von zu Hause. Vor Beginn der Corona-Pandemie war Homeoffice die Ausnahme, nun ist die Arbeit im heimischen Wohnzimmer oder am Küchentisch für viele zum Alltag geworden. Aber geht noch mehr? Und soll es statt Appellen der Politik Vorgaben für Firmen geben, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen?
Bund und Länder hatten nach ihren Beratungen am Dienstag die Arbeitgeber „dringend gebeten“, großzügige Homeoffice-Möglichkeiten zu schaffen. Das reiche aber nicht aus, um die Infektionszahlen in den Griff zu bekommen, kritisiert die Grünen-Politikerin Beate Müller-Gemmeke: „Wir brauchen ein Recht auf Homeoffice und ein Homeoffice-Gebot, das sich an die Arbeitgeber richtet.“
Der Präsident des Digitalverbandes Bitkom, Achim Berg, sagt: „Für die gesamte Dauer der Pandemie ist es ein zwingendes Gebot, ausschließlich im Homeoffice zu arbeiten, sofern es die berufliche Tätigkeit zulässt.“Alle Arbeitgeber seien gefordert, großzügige Regelungen zu schaffen, um ihrer Verantwortung in dieser historischen Situation gerecht zu werden.
Aktuell arbeitet jeder vierte Berufstätige ausschließlich im Homeoffice, wie eine repräsentative Befragung im Bitkom-Auftrag von Anfang Dezember ergab. Das entspreche 10,5 Millionen Berufstätigen. Auf weitere 20 Prozent treffe das zumindest teilweise zu. Vor dem Beginn der Pandemie hatten demnach nur drei Prozent der Berufstätigen ausschließlich im Homeoffice gearbeitet, weitere 15 Prozent teilweise. Der am meisten genannte Nachteil: der fehlende persönliche Austausch mit den Kollegen.
Die Bundesregierung würde mit gesetzlichen Vorgaben zum Homeoffice mehr Schaden anrichten als helfen, sagt der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. „Fast 60 Prozent der Beschäftigten in Deutschland können nicht von zu Hause aus arbeiten, häufig weil ihre Arbeit einen Dienst an anderen Menschen beinhaltet. Unternehmen haben bereits jetzt zu kämpfen, diese Pandemie zu überleben.“Die Regierung müsse Unternehmen und Beschäftigte in der Krise stärker unterstützen.
Gewerkschaften fordern klare Regeln. „Niemand will die Arbeit am Band bei Daimler oder die Altenpflege ins Homeoffice verlagern“, sagt der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. „Aber da, wo mobiles Arbeiten möglich ist, sollte man den Menschen einen Anspruch auf mehr Zeitautonomie gewähren.“Das beinhalte beispielsweise das Recht auf Nichterreichbarkeit oder eine geregelte Arbeitszeiterfassung. „In Deutschland werden jährlich mehr als eine Milliarde Überstunden geleistet, die von den Arbeitgebern nicht entlohnt werden. Das ist nichts anderes als Lohndiebstahl. Das darf sich durch mehr Homeoffice nicht weiter verschlimmern“, fordert Hoffmann.
Dazu kommt: „Oft wünschen sich Beschäftigte mobiles Arbeiten, aber der Arbeitgeber erfüllt ihnen diesen Wunsch nicht“, wie Verdi-Chef Frank Werneke sagt. Genau da will Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ansetzen. Ein Gesetzentwurf sieht vor, dass Arbeitnehmer das Recht bekommen sollen, einen Wunsch nach regelmäßigem mobilen Arbeiten
mit ihrem Arbeitgeber zu erörtern. Ein ursprünglich angedachtes Recht auf Homeoffice allerdings ist nicht mehr geplant – die Union ist dagegen.
„Das Homeoffice derzeit ist eher eine Notmaßnahme“, sagt Oliver Stettes vom Institut der deutschen Wirtschaft. „Die Diskussion um Regelungen sollte sich auf das Homeoffice im Regelbetrieb beziehen. Dazu gehören dann auch Fragen der Erreichbarkeit und der technischen Ausstattung.“Ein Rechtsanspruch sei der falsche Ansatz. „Homeoffice kann nur produktiv sein, wenn beide Seiten das für sinnvoll erachten.“
„Homeoffice kann nur produktiv sein, wenn beide Seiten das für sinnvoll erachten.“
Oliver Stettes
Institut der deutschen Wirtschaft