Ein neues Standardwerk stellt 200 Burgen und Schlösser der Großregion anschaulich vor.
Das Historische Museum Saar legt ein monumentales Standardwerk mit zahlreichen sensationellen Abbildungen zu 200 Burgen und Schlössern der Großregion vor.
Sie war eine tollkühne Unternehmung, die Ausstellung „Steinerne Macht“im Historischen Museum Saar vor rund zwei Jahren am Saarbrücker Schlossplatz. Museumschef Simon Matzerath drehte das ganz große Forschungs- und Kooperationsrad, um alle 200 Burgen, Festungen und Schlösser des Saar-Lor-Lux-Raumes ins Auge zu nehmen. Ein Fachkolloquium ging der musealen Präsentation voraus, mit Wissenschaftlern aus Luxemburg und Frankreich, nichts weniger als „Grundlagenforschung“sollte erstmals grenzüberschreitend geleistet werden, manches verlorene Denkmal in Simulationen wieder auferstehen. Die Inszenierung im Museum am Schlossplatz schaffte unter Ächzen den Spagat zwischen wissenschaftlichem Ehrgeiz und publikumsfreundlicher Inszenierung, ähnliches wiederholt sich nun mit dem Katalogband, den das Historische Museum Saar mit immenser Verspätung vorlegt. – Sie sei ob der Monumentalität des ersten „reich illustrierten Standardwerkes zu Burgen, Festungen und Schlössern des Saar-Lor-Lux-Raumes“geschenkt. Abgeschritten wird die Herrschafts- und Baugeschichte vom 9. bis ins 20. Jahrhundert.
Herausgeber des Buches sind der Saarbrücker Museumschef Matzerath
und der Festungs-Spezialist Guido van Buren (Museum Jülich). Die von ihnen gewählte nüchterne Bezeichnung „Standardwerk“sollte man ernst nehmen, so ansprechend gestaltet und reich bebildert das Buch auch sein mag. Allein die Fülle – 680 Seiten, 52 Beiträge, 29 Autoren – macht deutlich, dass es hier nicht um schnell konsumierbare, breitentaugliche Informationen geht. Vielmehr legen Matzerath und sein Co-Herausgeber ein historisches Nachschlagewerk vor, das für alle Fachinteressierten, die zu bestimmten Bauwerken gezielt nach vertiefendem Detailwissen und dem neuesten Forschungsstand
suchen, beste Dienste leistet. Denn nahezu alle Texte zeichnen die Bau-, Grabungs- und Wiederaufbau-Prozesse einzelner Burgen und Schlösser und deren Besitzerwechsel akribisch nach. Vieles ist schon bekannt, umso lesefreundlicher wäre es gewesen, die Forschungs-Neuigkeiten in den Texten besonders hervorzuheben, etwa für den Wehrturm in Ottweiler (13. Jahrhundert) oder zur Burg Alt-Montclair. Nicht-Fachkundige halten sich sowieso besser an die typologischen Analysen, sei es zu Schlössern der Renaissance oder zu Jagd- und Lustschlössern in der Region. Freilich sind diese lohnenden Überblicks-Beiträge weit in der Minderzahl.
Freude bereitet auf jeden Fall die Begegnung mit gemeinhin eher unbekannten Orten, hier vor allem in Luxemburg und Lothringen: der Niederadelssitz in Colpach-Bas, Schloss Aspelt, das „feste Haus“in Louvigny und viele andere mehr. Geradezu atemberaubend liest sich der Beitrag zum gigantesken Mansfeld-Schloss („La Fontaine“) im luxemburgischen Clausen auf einem heute überbauten, acht Hektar (!) großen Areal. So gesehen mag der Band durchaus Anreize für touristische Entdeckungsfahrten bieten. Gelobt werden muss die ungewöhnlich reiche optische Aufbereitung der Themen, mit annähernd 450 Karten und Abbildungen historischer Dokumente und Zeichnungen. Vor allem sind es aber Fotos, die überraschen. Erstmals erlebt man die oftmals nur noch als Ruinen erhaltenen Burgen und Schlösser aus der Drohnen-Perspektive, sieht sie von oben im landschaftlich-städtischen Gesamtbild.
Zudem wurden unzählige Computer-simulierte Rekonstruktionen in das Buch integriert, die man gut und gerne sensationell nennen darf. So ersteht beispielsweise die „Lutzelbourg“um 1200 in Lothringen wieder, „Burg Dagstuhl“wandelt sich in mehreren Zeitschnitten zwischen 1290 und 1466, und der Schaumberg bei Tholey erscheint ebenso wie das „Feenschloss“Carlsberg in Homburg wie eine Film-Kulisse. Von 1777 an wurde das Carlsberg-Schloss für Herzog Carl II. August von Pfalz-Zweibrücken erbaut. Am gelungenen Beitrag zu dieser märchenhaft prächtigen und ruinös teuren Anlage, die während der Revolution 1793 gänzlich niederbrannte, lässt sich erkennen, was den meisten anderen Texten fehlt: Anschaulichkeit, Menschen, Zeitkolorit, Leben. Viel hat man bereits über Schloss Carlsberg gelesen, über dessen Reitbahn für 1000 Pferde, die Gemäldegalerie für 2000 Kunstwerke, das Bühnenhaus, die Orangerie, das „Cabinet“für 1200 ausgestopfte Vögel… In diesem Buch wird der bombastische „asiatische Luxus“, gerade weil mit Akribie und fachlicher Distanz geschildert, zu einem schier unglaublichen Faktum hiesiger Regionalgeschichte.
Simon Matzerath und Guido von Bü
ren (Hrsg.): Steinerne Macht. Burgen, Festungen, Schlösser in Lothringen, Luxemburg und im Saarland, 680 S., 447 Abbildungen, Schnell & Steiner, 45 €.