Saarbruecker Zeitung

Die moderne Jeanne d‘Arc des Gewissens

„We shall overcome“: Die Folk-Sängerin, Friedensak­tivistin und Bürgerrech­tlerin Joan Baez wird 80 Jahre alt.

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(kna) Ein paar Gitarrentö­ne, dann setzt eine prägnante, klare Stimme ein. Mit prägnanten, klaren Worten: „We shall overcome“(dt. Wir werden (es) überwinden). Im August 1963 machte die Frau mit der hellen Stimme das Lied berühmt: Joan Baez sang es beim Marsch auf Washington, bei dem über 200000 Menschen für Arbeit und Freiheit demonstrie­rten – und Martin Luther King die berühmte Rede „I have a dream“hielt. Sechs Jahre später – inzwischen das „Gewissen ihrer Generation“– führte Baez den Protestson­g beim Woodstock-Festival auf. An diesem Samstag wird die Künstlerin 80 Jahre alt.

Geboren 1941, machte Joan bereits als Kind prägende Erfahrunge­n, die ihr späteres Engagement für die Bürgerrech­te oder gegen den Vietnamkri­eg beförderte­n. Ihr Vater, ein Physiker, weigerte sich, für die Rüstungsin­dustrie zu arbeiten. Als Joan zehn Jahre alt war, lebte die Familie in Bagdad, wo sie die Armut der Bevölkerun­g aus nächster Nähe miterlebte. Zurück in den USA wurde sie als Tochter eines mexikanisc­hen Einwandere­rs immer wieder beschimpft.

Als Teenager sang Joan auf dem Schulhof – und politisier­te sich. 1956 hörte sie bei einem Quäker-Seminar eine Rede Kings. Ein Jahr später verweigert­e sie in der Schule die Teilnahme an einer Luftschutz­übung mit der

Begründung, die Schutzräum­e seien unmöglich zu erreichen, wenn wirklich sowjetisch­e Raketen im Anflug auf die Stadt seien. In den folgenden Jahren wurde die junge Frau radikaler, etwa in den 1960ern zahlte sie ihre Lohnsteuer aus Protest gegen den Vietnamkri­eg auf ein Sperrkonto ein.

Protestmär­sche und Benefizkon­zerte, aber auch zahlreiche Reisen in Krisengebi­ete prägten Baez‘ Karriere. 1972 überlebte sie in der vietnamesi­schen Stadt Hanoi ein mehrtägige­s Bombardeme­nt durch die Amerikaner. Ein traumatisc­hes Erlebnis, das sie in einem Gedicht verarbeite­te.

Vom Reisen ließ sie sich nicht abhalten: Unter anderem besuchte sie Kambodscha und Bosnien-Herzegowin­a. In der Heimat trat sie in Krankenhäu­sern und Gefängniss­en auf, demonstrie­rte für die Rechte von Homosexuel­len und gründete eine Hilfsorgan­isation für vietnamesi­sche Bootsflüch­tlinge.

Baez‘ Engagement wirkt heute so eindrucksv­oll wie ungewöhnli­ch. Sie selbst bezeichnet sich als Realistin. „Jeder auch nur kleine Sieg ist in der zurzeit angespannt­en Atmosphäre sehr wichtig“, betonte sie in einem Interview. Zuletzt setzte sie sich etwa gegen ein verschärft­es US-Einwanderu­ngsgesetz ein.

Heutige Protestfor­men sieht Baez mit Skepsis. „Es ist sehr leicht, mal eben einen Hashtag zu retweeten“, sagt sie. „Aber um Veränderun­gen herbeizufü­hren, muss man oft Risiken eingehen.“Aktionen in den Sozialen Medien dienten oft eher dazu, das eigene Gewissen zu beruhigen, so die Aktivistin, die von der Punkmusike­rin Patti Smith einmal als moderne Jeanne d‘Arc bezeichnet wurde. Hinzu komme: „Man braucht erst mal ein Fundament, nennen Sie es: Haltung oder Wissen, bevor man Tausende

oder Millionen anderer Menschen erreicht.“Für ihre eigene Haltung wurde Baez von Amnesty Internatio­nal als „Botschafte­rin des Gewissens“ausgezeich­net. 2011 benannte die Menschenre­chtsorgani­sation einen Preis nach ihr; im vergangene­n Sommer erhielt sie den Woody-Gurthrie-Preis für ihr musikalisc­hes Lebenswerk und ihr Engagement.

So wie sie die Politik mit vollem Einsatz anging, ist auch Baez‘ Musik kaum als Hintergrun­drauschen geeignet. Das gilt für die Aufnahmen von „We shall overcome“ebenso wie für ihr bekanntest­es eigenes Stück, „Diamonds and rust“, das ihre unglücklic­he Liebe zum Sängerkoll­egen Bob Dylan thematisie­rt. „diamondsan­drustpro“heißt auch ihr Youtube-Kanal, auf dem sie in Corona-Zeiten Songs hochlud – „for all the heroes“wie die Beschäftig­ten im Gesundheit­ssystem, im Einzelhand­el oder auch Politiker, die schwere Entscheidu­ngen zu treffen hätten.

Auch in Zukunft will sie die Dinge ganz oder gar nicht machen, wie die Sängerin einmal der Zeitung „Die Welt“sagte. „Der Tag wird kommen, an dem ich die Klänge, die aus meinem Hals kommen, selbst nicht mehr hören mag. Das wird‘s dann gewesen sein, mit der Singerei.“Für Baez kein Grund zu verzagen: „Vielleicht fange ich dann mit Malen an.“

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FOTO: DÜRRWALD/DPA
Joan Baez, hier bei einem Auftritt 1973 in Essen, wird noch heute als Folk-Fee der Friedvolle­n verehrt. FOTO: DÜRRWALD/DPA
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FOTO: ROLF ZÖLLNER Als Friedensbo­tschafteri­n reiste Joan Baez in Kriegsgebi­ete.

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