Die Kunst, auf die Autobahn aufzufahren
Beschleunigungsstreifen sollen das Auffahren auf die Autobahn erleichtern. Doch dabei gibt es viele Missverständnisse und Regelverstöße.
(np) Viele Autofahrer wissen aus eigener Erfahrung, dass eines der problematischsten Fahrmanöver im Straßenverkehr das Auffahren auf eine Autobahn ist. Dabei sollte dieser Vorgang im Grunde ganz einfach sein. Neben den eigentlichen Fahrbahnen befindet sich ein Einfädelungsstreifen. Er soll es Autofahrern, die auf die Autobahn auffahren wollen, ermöglichen, ihr Fahrzeug zügig an die Geschwindigkeit des in Fahrtrichtung fließenden Verkehrs anzupassen, um sich dann gefahrlos einreihen zu können. Deshalb wird dieses zusätzliche Stück Fahrbahn an Autobahnauffahrten auch als Beschleunigungsstreifen bezeichnet.
Doch offensichtlich ist das in der Praxis nicht so einfach. An den Autobahnauffahrten trifft man zum Beispiel auf die „Sprinter“, die – koste es, was es wolle – quer über alle Fahrbahnen sofort auf die linke Überholspur durchstarten. Die „Ängstlichen“wiederum fahren vorsichtig bis zum Ende des Einfädelungsstreifens und warten dort, bis sich im Verkehrsfluss eine Lücke auftut, die ihnen groß genug erscheint, um sich einzureihen. Andere wiederum biegen sofort vom Auffahrstreifen auf die Autobahn ein und beschleunigen erst dort.
Alle diese Autofahrer sind offenbar überzeugt, dass sie beim Auffahren Vorfahrt haben oder ihnen wie beim sogenannten Reißverschlussverfahren an Engstellen Platz gemacht werden muss, wenn sie nur den Blinker betätigen. Dadurch kommt es oft zu brenzligen Situationen. Ein großes Problem sind die Geschwindigkeitsunterschiede zwischen den Fahrzeugen, die mit Autobahngeschwindigkeit unterwegs sind, und den auffahrenden. Gefahr für sich und andere beschwören aber auch diejenigen „zuvorkommenden“Autofahrer herauf, die auf Autobahnen abbremsen, um einem Auffahrenden das Einfädeln zu ermöglichen. Ein solches Verhalten zwingt die Hintermänner oft zu heftigen Bremsmanövern und in einigen Fällen ist ein Auffahrunfall nicht mehr zu vermeiden.
Autos, die auf die Autobahn auffahren, haben keine Vorfahrt. Daher haben sie auch kein Recht, von anderen Fahrzeugen zu verlangen, ihnen das Einfädeln zu erleichtern oder gar Platz zu machen. Laut Paragraf 18, Absatz 3, der Straßenverkehrsordnung hat der Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn Vorfahrt. Wer sich also vom Beschleunigungsstreifen auf die Autobahn einfädeln will, muss beachten, dass der fließende Verkehr Vorrang hat.
Beim Auffahren auf die Autobahn gilt auch nicht das Reißverschlussverfahren. Deshalb sollten sich Autofahrer, die durch einen Spurwechsel einem auffahrenden Fahrzeug das Einfädeln erleichtern wollen, vorher unbedingt versichern, dass sie damit nicht den nachfolgenden Verkehr behindern oder sogar gefährden. Solche Manöver können die Unfallgefahr massiv erhöhen.
Auffahrende Autofahrer dürfen sich Platz nicht erzwingen, indem sie sich rücksichtslos in den fließenden Verkehr hineinquetschen. Wer so andere Verkehrsteilnehmer zu einem Spurwechsel oder abruptem Bremsen zwingt und auf diese Weise einen Unfall auslöst, macht sich straf- und auch haftbar. Grundsätzlich gilt, dass jeder Kraftfahrer gegebenenfalls warten muss, bis ein Einfädeln ohne Gefährdung anderer möglich ist. Dies gilt auch im Stau oder bei dichtem Verkehr.
Erlaubt ist hingegen, auf dem Beschleunigungsstreifen außerhalb geschlossener Ortschaften schneller zu fahren als auf den durchgehenden Fahrspuren von Autobahnen und Schnellstraßen. Das bedeutet, dass langsamere Fahrzeuge auf der Autobahn von einem Fahrzeug auf dem Einfädelungsstreifen im Unterschied zum sonst geltenden Recht rechts überholt werden dürfen, um sich vor ihnen einzufädeln. Doch auch diese Ausnahmeregelung gilt nur, wenn dies risikolos möglich ist.
In der Regel sollte der meist 250 Meter lange Einfädelungsstreifen ausreichen, um durch zügiges Beschleunigen auf ein Tempo zu kommen, das ein gefahrloses Einfädeln in den fließenden Verkehr erlaubt. Sollte sich jedoch vor dem Ende des Beschleunigungsstreifens keine Gelegenheit zum Einreihen ergeben, muss der Fahrer gemäß Straßenverkehrsordnung am Ende des Einfädelungsstreifens anhalten und abwarten, bis sich für ihn eine Lücke auftut.
Da dies jedoch mit einem großen Gefährdungspotenzial einhergeht, empfehlen Experten, in solchen Fällen ausnahmsweise die Vorschrift zu ignorieren, die ein Befahren des Standstreifens verbietet. Es sei in einem solchen Ausnahmefall besser, statt anzuhalten auf dem Standstreifen weiterzufahren und sich von dort baldmöglichst ohne Gefährdung in den fließenden Verkehr einzuordnen, raten Verkehrssicherheits-Fachleute. Dafür plädieren zum Beispiel die Experten des Goslar-Instituts, der Studiengesellschaft für verbrauchergerechtes Versichern, gegründet von der HUK-Coburg-Versicherung.