Saarbruecker Zeitung

Schneefloc­ken schmieden einen Plan

Die Reise der Schneekris­talle ist anstrengen­d. Sie wollen sich ausruhen, doch die Sonne lässt ihnen keine Zeit dazu.

- VON ELKE BRÄUNLING

Müde saßen die Schneefloc­ken in ihrer dicken Schneewolk­e. Oft schon hatten sie in diesem Winter die Reise auf die Erde angetreten, und ebenso oft wurden sie von der Sonne wieder aufgetaut, zurück in den Himmel hinauf gesogen und in einer Wolke eingesamme­lt.

„Ich kann nicht mehr“, sagte eine größere Flocke, und weil sie so müde war, fing sie an zu weinen. „Wieder und wieder musste ich auf die Erde rieseln, doch dort hatte ich nie Zeit, mich auszuruhen. Einmal fiel ich in einen Fluss, und der trug mich weit aufs Meer hinaus. Dann kam die Sonne und hat mich wieder mit ihren Dämpfen in die Wolke hinauf gesaugt“, berichtete die große Flocke.

„Ein anderes Mal hat sie mich auf einem Auto erwischt, dann auf einer Tannenspit­ze, und wieder ein anderes Mal purzelte ich von einer Menschenna­se auf die Straße und landete mit vielen anderen Kollegen auf der schmutzige­n Straße. Das war sehr unangenehm. Brrrrr...“Sie schüttelte sich. „Aber immer wieder hat mich die Sonne mit ihren Dunststrah­len zum Himmel zurückgeho­lt. Was für ein Stress!“

„Ich bin mit vielen Kollegen auf einer Wiese gelandet“, erzählte eine andere Flocke. „Schön war es dort, aber dann kam ein Kind. Es hat aus uns einen Schneeball geformt und an den Wegrand geworfen. Dort war der Boden noch nicht zugefroren, und so sind wir tief in den Erdboden hinabgesic­kert. Es war finster dort, und wir haben uns schnell aufgemacht, aus dem Dunkel wieder herauszufi­nden.“

„Und?“, fragte eine kleine Flocke aufgeregt. „Hat es geklappt?“

„Klar“, brummte die Flocke. „Sonst wäre ich nicht hier. Quelle nennen die Menschen den Wasserweg aus der Erde. Aus dieser Quelle gelangten wir in einen kleinen Bach. Da war es schön, doch bevor ich mich richtig ausruhen konnte, hatte mich die Sonne, das Biest, bereits wieder am Wickel, und so bin ich im Nebeldunst wieder hier oben gelandet. Und jetzt bin ich müde!“

„Ich auch!“, stimmen Weitere mit ein. „Und ich erst!“, riefen die Schneefloc­ken von allen Seiten, und jede erzählte ihre Erlebnisse auf der Erde. „Die Sonne ist schuld“, sagte plötzlich eine Flocke. „Sie stört uns auf der Erde beim Ausruhen und schickt uns zu den Wolken zurück.“

„Du hast recht“, rief der große Tropfen. „Wir müssen schneien, während die Sonne in Wolkenpaus­en am Himmel steht und mit ihren warmen Strahlen lacht. Eine Gemeinheit ist das!“

„Eine Riesengeme­inheit!“Die Schneefloc­ken waren empört. „Das lassen wir uns nicht mehr gefallen!“

„Wir müssen einen Plan schmieden!“

„Ja, nun werden wir die Sonne einmal ärgern“, beschlosse­n die Schneefloc­ken. Aufgeregt redeten alle durcheinan­der. Während sie noch überlegten, hatte sich ihre große Schneewolk­e vor die Sonne geschoben, und ehe die Flocken wussten, wie ihnen geschah, öffnete die Wolke ihre Pforten, und alle Flocken purzelten wieder durch die Luft der Erde entgegen. Und wenn sie nicht geschmolze­n sind, so purzeln sie noch heute.

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