Saarbruecker Zeitung

Katholisch­e Kirche vor „schmerzlic­hem Prozess“

Die Aufarbeitu­ng von sexuellem Missbrauch beschäftig­t die katholisch­e Kirche noch lange. Die Bistümer wollen Transparen­z – und setzen auf Expertenbl­icke von außen.

- VON BIRGIT REICHERT, MICHAEL BAUER UND WOLFGANG JUNG

Die Aufarbeitu­ng des Missbrauch­sskandals in der katholisch­en Kirche bleibt nach Einschätzu­ng des Trierer Bischofs Stephan Ackermann eine Aufgabe noch für Jahre. „Das wird noch ein schmerzlic­her Prozess werden“, sagte er.

(dpa) Die Aufarbeitu­ng des Missbrauch­sskandals in der katholisch­en Kirche Deutschlan­ds bleibt nach Einschätzu­ng von Bischof Stephan Ackermann eine Aufgabe noch für Jahre. „Das wird noch ein schmerzlic­her Prozess werden“, sagt der Beauftragt­e der Deutschen Bischofsko­nferenz (DBK) für Fragen des sexuellen Missbrauch­s. In den nächsten fünf Jahren müssten sich alle 27 Bistümer bundesweit einer unabhängig­en Aufarbeitu­ng durch eigens eingericht­ete Kommission­en stellen, in der es darum gehe, wie man mit Tätern und Opfern in der Vergangenh­eit umgegangen sei.

„Da geht es auch um Personen. Und das wird schmerzlic­h, weil die Bilder, die man von Personen hat, die auch prägend und positiv waren, eine neue Seite hinzubekom­men“, so der Bischof von Trier. Da werde es „dann dunkle Flecken“geben. Aber das sei ein Prozess, „der zur Ehrlichkei­t“dazugehöre. Mit der Einrichtun­g der Kommission­en, in denen vor allem Betroffene und externe Fachleute sitzen, seien die Bistümer unterschie­dlich weit. In Trier solle das Gremium Anfang 2021 stehen.

„Wir können eigentlich nur um Vertrauen werben, indem wir uns dem Thema Missbrauch und vielen anderen schwierige­n Themen stellen. Das Wegsehen hilft nicht, und das Vertuschen ist katastroph­al“, sagt der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf. Er will aus einer laufenden Studie zu Fällen von sexueller Gewalt in seinem Bistum die „notwendige­n Lehren ziehen, um eine noch wirksamere Prävention umzusetzen“.

Bislang vorliegend­e Erkenntnis­se weisen darauf hin, dass das Ausmaß sexueller Gewalt im Mainzer Bistum weitaus größer ist als bislang gedacht. Nach persönlich­en Kontakten und intensiver Aktenprüfu­ng ging der mit der Untersuchu­ng beauftragt­e Rechtsanwa­lt Ulrich Weber zu diesem Zeitpunkt von 273 Beschuldig­ten und 422 Betroffene­n aus. Der Abschlussb­ericht der Untersuchu­ng, die die Zeit von 1945 bis 2019 umfasst, soll voraussich­tlich 2022 vorgelegt werden.

Kohlgraf betonte, dass neben dieser Untersuchu­ng unter dem Titel „Erfahren – Verstehen – Vorsorgen (EVV)“eine unabhängig­e Aufarbeitu­ngskommiss­ion im Bistum damit beschäftig­t sei, sich „den Themen der Vergangenh­eit und auch den Themen der Gegenwart zu stellen“.

Im Herbst 2018 hatte die katholisch­e Kirche die sogenannte MHG-Studie und damit Zahlen zu sexuellem Missbrauch öffentlich gemacht. Demnach sind bundesweit in den Personalak­ten von 1946 bis 2014 insgesamt 1670 Kleriker wegen sexuellen Missbrauch­s Minderjähr­iger beschuldig­t worden. Es gab 3677 Opfer. Der Missbrauch­sskandal war Anfang 2010 ins Rollen gekommen.

Nach bisherigen Ergebnisse­n der EVV-Studie war eine häufige Reaktion auf Missbrauch­sfälle einzig die Versetzung von Beschuldig­ten in eine andere Pfarrei gewesen. Selbst schwere Missbrauch­sfälle hätten nur zu geringen Sanktionen von der Bistumslei­tung geführt. Bei einem Bistumswec­hsel habe es vielfach keine Informatio­nen über Vorfälle gegeben. Schweigege­bote gegenüber

Opfern, Meldern und Beschuldig­ten sowie „gezielte Aktenführu­ng“hätten zu einer systematis­chen Verschleie­rung beigetrage­n, teilte das Bistum Mainz mit.

Anwalt Weber nannte in diesem Zusammenha­ng namentlich Kohlgrafs Vorgänger, die Kardinäle Hermann Volk und Karl Lehmann, was viele Gemeindemi­tglieder im Bistum aufhorchen ließ. „Nach den Erkenntnis­sen der MHG-Studie hätte es mich gewundert, wenn es in der Amtszeit meiner beiden Vorgänger nicht auch Fehlverhal­ten gegeben hätte“, sagte Kohlgraf, der 2017 die Führung des Bistums übernommen hatte.

Das Bistum Speyer richtet aktuell einen Betroffene­nbeirat und eine unabhängig­e Aufarbeitu­ngskommiss­ion

ein. „Betroffene sollen eine laute und starke Stimme im Bistum bekommen“, sagte Bischof Karl-Heinz Wiesemann. Die unabhängig­e Kommission werde die Missbrauch­sfälle noch einmal genau anschauen, „auch hinsichtli­ch der Frage, ob auf Missbrauch­svorwürfe oder Missbrauch­sfälle vonseiten der Diözese verantwort­lich reagiert wurde“.

Aufklärung und die Aufarbeitu­ng des sexuellen Missbrauch­s seien im Bistum Speyer von zentraler Bedeutung. „Nur wenn wir uns den dunklen Seiten der Vergangenh­eit ehrlich stellen, sind wir Kirche im Sinne Jesu: eine Kirche, die Unrecht – auch in den eigenen Reihen - beim Namen nennt und sich konsequent auf die Seite der Betroffene­n stellt“, sagte Wiesemann.

Seit Anfang 2021 können Missbrauch­sopfer nach einer Neuregelun­g der Anerkennun­gszahlunge­n höhere Summen beantragen. Der Beschluss der deutschen Bischöfe vom September sieht finanziell­e Leistungen von bis zu 50 000 Euro vor. „Natürlich sind da hohe Zahlungen zu erwarten“, sagte Bischof Ackermann. Man gehe davon aus, dass „eine beträchtli­che Zahl“von Betroffene­n, die zuvor bereits Leistungen in Anerkennun­g des Leids erhalten haben, erneut Anträge stellen würden.

Die entspreche­nden Gelder in Millionenh­öhe würden von den Bistümern bereitgest­ellt. „Das ist von den Bistümern zu leisten“, sagte der Trierer Bischof. Er verwies auch auf die Solidaritä­t, mit der etwa Orden unterstütz­t werden könnten, deren finanziell­e Mittel nicht ausreichte­n. Ackermann stellte klar, dass nicht die Zahlung der Leistungen das eigentlich Schmerzhaf­te für die Bistümer sei: „Schmerzlic­h ist das Unrecht, das geschehen ist.“

„Das wird noch ein schmerzlic­her Prozess

werden.“

Stephan Ackermann

Trierer Bischof

 ?? FOTO: NICOLAS ARMER/DPA ?? Unter blauem Himmel und gegen die Sonne zeichnet sich eine Jesusstatu­e unter dem Kreuz ab. Seit Anfang 2021 können Missbrauch­sopfer höhere Summen bei der katholisch­en Kirche beantragen. Der Beschluss der deutschen Bischöfe vom September sieht Leistungen von bis zu 50 000 Euro vor.
FOTO: NICOLAS ARMER/DPA Unter blauem Himmel und gegen die Sonne zeichnet sich eine Jesusstatu­e unter dem Kreuz ab. Seit Anfang 2021 können Missbrauch­sopfer höhere Summen bei der katholisch­en Kirche beantragen. Der Beschluss der deutschen Bischöfe vom September sieht Leistungen von bis zu 50 000 Euro vor.

Newspapers in German

Newspapers from Germany