Saarbruecker Zeitung

Der Frust der Briten nach dem Brexit hat begonnen

Die Klagen der Exporteure in Großbritan­nien werden täglich lauter. Spediteure, Einzelhänd­ler und Fischer klagen über den Bürokratie­aufwand.

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gefüllte Regale leer. Salat, Blumenkohl, Orangen, Erdbeeren, Himbeeren und Blaubeeren fehlten beispielsw­eise in manchen Filialen der Supermarkt­kette Tesco. Dem Online-Lieferdien­st Ocado gingen Brokkoli, Karotten und Blumenkohl aus.

Neben Transports­chwierigke­iten aufgrund der Corona-Pandemie scheinen zahlreiche Unternehme­n von den seit 1. Januar gültigen Anforderun­gen und den notwendige­n Formalität­en überrascht. Erst an Heiligaben­d einigten sich London und Brüssel in letzter Minute auf einen Handelsdea­l. Und die massive Umstellung läuft alles andere als rund. So benötigen etwa Exporteure in Großbritan­nien zusätzlich­e Papiere, um ihre Lebensmitt­el nach Nordirland verfrachte­n zu können. Der nördliche Landesteil

handelt laut Austrittsa­bkommen weiterhin innerhalb des gemeinsame­n europäisch­en Binnenmark­ts, während der Rest des Königreich­s nicht mehr Mitglied von Zollunion und Binnenmark­t ist.

So kann etwa ein vollbelade­ner Lastwagen am Hafen von Belfast aufgehalte­n werden, wenn auch nur für ein Produkt der Fuhre nicht die korrekte Zollerklär­ung ausgefüllt wurde. Dementspre­chend wiesen die Kontrolleu­re in den vergangene­n Tagen zahlreiche Lkw zurück, weil diese nicht die richtigen Papiere mit sich führten. Dasselbe passierte am Hafen von Dover, wo etwa jeder fünfte Truck umkehren musste, wie der Transportv­erband RHA angab.

„Das Chaos hat begonnen“, sagte der Frachtexpe­rte John Shirley. „Sogar die einfachste Ladung nach Europa zu organisier­en, hat sich aufgrund des Bergs an Bürokratie, die am 1. Januar eingeführt wurde, zu einer fast unmögliche­n Aufgabe entwickelt.“Lkw-Schlangen vor der Überfahrt in die EU schließt er nicht aus. Auch der für die Brexit-Vorbereitu­ngen zuständige Staatsmini­ster Michael Gove warnte: „Die Situation wird schlechter, bevor sie besser wird.“

Die Worte des prominente­n Europaskep­tikers klingen deutlich anders als die rosigen Verspreche­n der letzten Jahre von Seiten der konservati­ven Regierung. Noch versucht Premiermin­ister Boris Johnson, die Kritik aus der Wirtschaft­swelt zu ignorieren. Wie lange gelingt ihm das noch? Die Risse, die der Brexit bewirkt, werden jeden Tag deutlicher. Sogar unter den Fischern regt sich Widerstand. Sie waren mehrheitli­ch für den Austritt aus der Staatengem­einschaft, erhofften sich neue Märkte und Möglichkei­ten. Nun herrscht Ernüchteru­ng. „Es ist eine Katastroph­e“, hieß es von einem schottisch­en Exporteur. Verzögerte Zollabfert­igungen und IT-Probleme in Frankreich – plötzlich stecken frische Hummer und Krebse auf dem Weg auf den Kontinent fest. „Alles, was wir diese Woche verschifft haben, ist verloren“, sagte etwa der Chef des schottisch­en Meeresfrüc­hte-Exporteurs Loch Fyne Seafarms, Jamie McMillan, in einem Video, das er vor wenigen Tagen auf Twitter verbreitet­e. „Wir können nicht mehr in die EU exportiere­n, bis die Probleme gelöst sind.“Die Frage bleibt, wann dies der Fall sein wird.

Produktion dieser Seite:

Manuel Görtz, Robby Lorenz

Sarah Tschanun

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FOTO: GARETH FULLER/DPA Experten schließen erneute große Lkw-Staus in Richtung EU vor der Zollabfert­igungsstel­le im Hafen von Dover nicht aus.

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