Mit Macht und Inhalt ins Kanzleramt
Noch halten beide still. Noch sind Annalena Baerbock und Robert Habeck nicht wirklich aus der Deckung gegangen. Gut, beide haben in Interviews betont, dass sie sich das Bundeskanzleramt jeweils zutrauen. Das ist bemerkenswert, weil die Grünen in den inzwischen 41 Jahren ihrer Parteigeschichte einen solchen Anspruch bislang nie formuliert hatten. Wehe denen, die regieren wollen! So war die Mentalität in den Gründerjahren der einstigen Ökopaxe. Maximale Opposition war der Auftrag. Doch bei ihrem langen Marsch durch die Institutionen sind die Grünen längst an den Schalthebeln der Macht angekommen. Und auch in einem Lager neuer Bürgerlichkeit.
Mit der Verabschiedung ihres neuen Grundsatzprogrammes beim ersten digitalen Bundesparteitag im vergangenen November hat die Partei einen neuen Anspruch erhoben. Die Grünen wollen dieses Land (an)führen, sie glauben an den Staat – vor allem an einen grünen Staat. Eine ihrer Kernaussagen: Stabilität sei letztlich nur durch grünen Wandel möglich.
Die Grünen schwimmen weiter auf einer erstaunlichen Welle der Zustimmung. Mit stabilen Werten um die 20 Prozent haben sie die traditionsreiche SPD überholt. Nur anders als die SPD wollen die Grünen eines nicht sein: Volkspartei. Sie verstehen sich – entsprechend ihrem Namen – als Bündnispartei und suchen für ihre Vorstellung von Politik zur Gestaltung des Landes Bündnisse mit unterschiedlichsten Partnern. Das Kalkül ist klar: Je breiter die Basis, desto größer auch die mögliche Mehrheit. Mit Baerbock und Habeck werden die Grünen vor Wahlen jedenfalls keine Aufreger mehr durch die Republik schicken. Beschlüsse von der Art eines Fleischlos-Tages („Veggie-Day“) oder Steuererhöhungen für die Mittelschicht wie im Wahlkampf 2013 sind bei ihnen nicht zu erwarten.
Baerbock und Habeck wirken auf ihre Weise zumindest nach außen als eingespieltes Duo. Anders als frühere Doppelspitzen treten sie nicht zerstritten auf, sondern symbolisieren Geschlossenheit, verkörpern dabei Aufbruch ebenso wie Widerspruchsgeist, was bei den Grünen bis heute nicht ganz unwichtig ist. Dabei dürften beide seit geraumer Zeit in einem nicht unerheblichen Konkurrenzkampf zueinanderstehen. Beide wollen mit Macht und Inhalt in eine nächste Bundesregierung. Wer von beiden im kommenden Wahlkampf tatsächlich den Grünen-Sturm auf die Regierungszentrale anführen will, ist weiter offen. Erst einmal wollen sie abwarten, wer an diesem Wochenende nächster CDU-Vorsitzender wird. Und auch eine Entscheidung über den Kanzlerkandidaten der Unionsparteien wäre hilfreich, bevor die beiden Grünen-Chefs selbst entscheiden, wer die besseren Wahlchancen hat. Lange schien vieles auf Habeck zuzulaufen, doch Baerbock, die als sattelfest in ihren Themen gilt, hat aufgeholt. Die Grünen dieser Tage sind erstaunlich zurückhaltend mit ihrer Kritik an der Impfstrategie der Bundesregierung, fast so, als sei Schwarz-Grün mehr als nur eine Hoffnung.