Saarbruecker Zeitung

Was passiert mit dem Nachlass der Stasi?

Für die geretteten Dokumente der DDR-Staatssich­erheit ist künftig nicht mehr eine eigene Bundesbehö­rde zuständig. Sie wird aufgelöst.

- VON JUTTA SCHÜTZ

(dpa) Das ist jetzt 31 Jahre her: Am 15. Januar 1990 verschaffe­n sich aufgebrach­te DDR-Bürger Zutritt zur abgeschott­eten Stasi-Zentrale in Ost-Berlin. Wenige Wochen nach dem Mauerfall stoppen sie die weitere Vernichtun­g von Stasi-Akten. In den DDR-Bezirken haben mutige DDR-Bürgerrech­tler schon zuvor diese Hinterlass­enschaften gesichert. Millionen Blätter, Tausende Fotos und Tonträger werden die Basis für den Aufbau der Stasi-Unterlagen-Behörde.

Dieses Jahr wird die Bundesbehö­rde nun aufgelöst. Die Akten kommen ins Bundesarch­iv, die etwa 1300 Mitarbeite­r werden übernommen. Das Amt des Bundesbeau­ftragten für die Stasi-Unterlagen wird abgeschaff­t, Amtsinhabe­r Roland Jahn scheidet im Juni aus. Wiederholt hatte der frühere DDR-Opposition­elle stolz auf den einmaligen Charakter der Sonderbehö­rde mit rechtsstaa­tlicher Nutzung der Dokumente aus einem Unrechtsst­aat verwiesen. Das bevorstehe­nde Ende seiner Einrichtun­g sieht der 67-Jährige aber gelassen. „Die Akten bleiben offen, Auskünfte werden weiter erteilt“, zeigt er sich überzeugt.

Ein Argument für die gravierend­en Veränderun­gen war: Technik, Ressourcen und Kompetenze­n sollen gebündelt werden. Viele der Papiere sind in einem schlechten Zustand, Unterlagen sollen digitalisi­ert werden. Der Sanierungs­stau in den ostdeutsch­en Archiv-Standorten ist riesig. Das Konzept für die Überführun­g der Stasi-Akten hat Jahn zusammen mit dem Chef des Bundesarch­ivs, Michael Hollmann, erarbeitet. Im November wurde es vom Bundestag beschlosse­n.

Doch es gibt auch kritische Stimmen, die eine Abwicklung von Geschichte befürchten. Der Historiker

Roland Jahn

Ilko-Sascha Kowalczuk sprach in der Berliner Zeitung von einem Schleifen der Behörde. Damit werde den Gegnern der kompromiss­losen Aufarbeitu­ng eine Freude gemacht. Die Stasi-Unterlagen-Behörde sei immer mehr als ein Archiv gewesen. Ihre Stilllegun­g könnte zum Menetekel der weiteren gesellscha­ftlichen Marginalis­ierung der SED-Aufarbeitu­ng werden, kritisiert­e er.

Letztlich geht nun eine Ära zu Ende. Am 29. Dezember 1991 trat das Stasi-Unterlagen-Gesetz in Kraft, erster Bundesbeau­ftragter für die MfS-Überliefer­ungen wurde der ostdeutsch­e Pfarrer und spätere Bundespräs­ident Joachim Gauck. Auf ihn folgten im Oktober 2000 die DDR-Bürgerrech­tlerin Marianne Birthler und Jahn im März 2011. Alle wurden vom Bundestag mit breiter Mehrheit gewählt.

Seit Januar 1992 können Menschen in Unterlagen schauen, die die Stasi ohne ihr Wissen geführt hat. Im ersten Jahr der Akteneinsi­cht wurden in Ostdeutsch­land mehr als 520 000 Anträge auf persönlich­e Akteneinsi­cht gestellt. Bis Mitte der 90er Jahre wuchs die Zahl der Behördenmi­tarbeiter in Berlin und den Außenstell­en auf knapp 3200.

Längst werden nicht mehr so viele solcher Anträge gestellt. Im Vorjahr waren es dennoch noch mehr als 35 000. Im 30. Jahr des Mauerfalls 2019 lag die Zahl noch bei rund 56 500. Seit 1992 wurde bei der Behörde insgesamt knapp 3,4 Millionen Mal beantragt, einen persönlich­en Blick in die Vergangenh­eit zu werfen. Laut Jahn steigt nun die Zahl derer, die mehr über das Leben gestorbene­r Angehörige­r wissen wollen – das sei eine neue Qualität. Hinzu kamen insgesamt 3,4 Millionen Ersuchen öffentlich­er Stellen etwa für Überprüfun­gen im öffentlich­en Dienst sowie Anträge von Forschern und Medien.

Bis zum heutigen Tag leiden Betroffene unter den Folgen von Repression­en in der DDR, mancher fühlt sich am Rande der Gesellscha­ft. Etliche hatten befürchtet, dass sie mit dem Ende der Jahn-Behörde noch weniger gehört werden. Nun soll ein Beauftragt­er für die Belange von Opfern direkt vom Bundestag gewählt werden.

„Die Akten bleiben offen, Auskünfte werden weiter erteilt.“

Leiter der Stasi-Unterlagen­behörde

Newspapers in German

Newspapers from Germany