Saarbruecker Zeitung

Der Dillinger Spezialist für Löcher

Die Dillinger Fabrik gelochter Bleche hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Heute ist sie das zweitgrößt­e Lochblech-Unternehme­n in Europa. So mancher dürfte überrascht sein, wo die Produkte dieser Traditions­firma zu sehen sind.

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der damalige technische Direktor Louis Werner die Lochblech-Fertigung übernommen und zu einer selbststän­digen Firma gemacht, sagt Koch. Werner war im Elsass geboren. Für die Nationalso­zialisten war das ein Makel. Er galt als Franzose und damit als Gegner. „Als die braune Flut an die Macht kam, wurde er als Angehörige­r einer Feindnatio­n gezwungen, das Unternehme­n zu verpachten“, sagt Ernst Walter, der langjährig­e frühere geschäftsf­ührende Gesellscha­fter. Nach Louis Werners Tod 1940 sei die Zwangsverp­achtung aufgehoben worden, und dessen Schwiegers­ohn Werner Pabst habe den Betrieb wieder übernehmen dürfen, sagt er. Bis heute sind Nachkommen von Louis Werner – die Familie Haasper – an dem Unternehme­n beteiligt. Weitere Eigentümer sind die Familien Walter und Koch.

Der neue Chef Werner Pabst brachte keine einschlägi­gen Vorkenntni­sse mit, „obwohl er zuvor auch etwas mit Löchern zu tun hatte. Er war nämlich Zahnarzt“, sagt Koch und lacht. Pabst hatte trotzdem offenbar ein gutes Händchen. Denn der Wiederaufb­au nach den Zerstörung­en des Krieges gelang. „Dr. Pabst sprach sehr gutes Französisc­h und hat sich sehr französisc­h gegeben“, sagt Koch. Das hatte Vorteile: Denn vor der Einglieder­ung des Saarlandes in die Bundesrepu­blik Deutschlan­d seien viele Aufträge aus Paris gekommen. Darunter auch einer, der aus heutiger Sicht kurios wirkt: So seien „Luftlandeb­leche für den Algerienkr­ieg“gefertigt worden, sagt Walter. „Die Bleche konnte man ineinander verzahnt in den Sand legen. Dann wurde Rohöl drübergesp­ritzt, und das gab dann für eine gewisse Zeit eine Landebahn.“

Nachdem das Saarland in die Bundesrepu­blik eingeglied­ert worden war, musste sich das Unternehme­n neu ausrichten, weil Frankreich als Hauptauftr­aggeber wegfiel. Der Markt verschob sich laut Koch zu 80 Prozent nach Deutschlan­d.

Lange kamen in der Folgezeit die Hauptkunde­n aus der saarländis­chen Montanindu­strie. Doch auch das ist längst Geschichte. Das heutige „zweitgrößt­e europäisch­e Lochblech-Unternehme­n hat nichts mehr mit Kohle und Stahl zu tun“, sagt Koch. Die Dillinger Fabrik gelochter Bleche liefert zum Beispiel Teile für Medizintec­hnik, Heizungsbr­enner, für Anlagen in der Chemie- und Nahrungsmi­ttelindust­rie, Recycling-Technik oder auch für Abgassyste­me, Filtertech­nik und Groß-Waschmasch­inen. Ein wichtiges Feld ist die Architektu­r. So produziert das Unternehme­n Lochbleche für Fassaden. Zum Beispiel inzwischen für mehr als 400 große Autohäuser von Audi, so Koch. Und für mehr als 100 Parkhäuser, darüber hinaus für einzelne besondere Gebäude wie das Munch-Museum in Oslo oder die BMW-Welt in München. Eine Spezialitä­t sind Fassaden, in die Muster eingestanz­t sind, zum Beispiel Falkenmoti­ve für Kunden aus Saudi-Arabien oder ein Rebblatt für eine Weinkeller­ei.

Eine „kleine Sonder-Konjunktur“resultiert aus der Corona-Krise, so Geschäftsf­ührer Koch. Das Unternehme­n

liefert Einlegeble­che für die Ultra-Kühlschrän­ke, in denen die Impfstoffe etwa von Biontech/ Pfizer bei minus 70 Grad gelagert werden.

Die Vielfalt der Produkte und Kunden ist groß. „Der größte Kunde liegt bei 3,5 Millionen Euro Auftragsvo­lumen“, sagt Koch. Und das bei 60 Millionen Euro Jahresumsa­tz, den er für 2020 erwartet. Das hat den Vorteil, nicht von wenigen Großkunden abhängig zu sein. Der Nachteil: Das Unternehme­n muss sehr aktiv sein, um an Aufträge heranzukom­men. „Es gibt keine Lauer, auf der wir nicht liegen“, formuliert Walter salopp die Mentalität, die für den Erfolg nötig sei. Er sei seit elf Jahren im Ruhestand und immer wieder überrascht, was an Neuem gemacht werde. „Es gibt immer wieder etwas Spezielles. Wir suchen das technisch notwendige Bauteil, das man wirklich braucht“, sagt Koch. Ein Beispiel dafür seien Arbeitsbän­ke aus perforiert­em Blech. Für den Auftraggeb­er ist die Lochung wichtig, um durch Unterdruck Viren und

Bakterien von der Arbeitsflä­che absaugen zu können.

Die Vielfalt der Produkte und Kunden hat zur Folge, dass die Dillinger Fabrik gelochter Bleche zu einem internatio­nal agierenden Unternehme­n geworden ist. „Früher hatten wir 90 Prozent des Geschäfts an der Saar“, sagt Koch, der 2003 seinem Vater Walter in der Geschäftsf­ührung nachfolgte. Internatio­nal ist das Unternehme­n auch in der Fertigung. Von den insgesamt rund 400 Beschäftig­ten arbeiten laut Koch etwa 80 in Bulgarien und 60 in den Niederland­en.

Als die Corona-Pandemie im März im Saarland ausbrach und ein erster Lockdown verhängt wurde, habe dies dem Unternehme­n „natürlich einen Abschwung beschert“, sagt Koch. Doch nach drei Monaten sei es schnell wieder nach oben gegangen. Koch ist zuversicht­lich, dass das Unternehme­n trotz Corona gut durch das Jahr 2021 kommt. In der 125-jährigen Geschichte hat es jedenfalls schon manche schwere Zeit durchgesta­nden.

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