„Digitale Grundschule ist eine Wunschvorstellung“
Die Schüler der Grundschule Saarbrücken-Eschberg lernen vorwiegend mit Büchern und Übungsheften. Online-Unterricht ist die Ausnahme.
Für Schüler und Lehrer war es fast wie ein Déjà-vu. Mit dem zweiten coronabedingten Lockdown hieß es auch für die Schüler im Saarland ab ins digitale Klassenzimmer. Auch wenn es mittlerweile viele digitale Unterrichtsformate, wie beispielsweise die Online Schule Saar (OSS), gibt, so sei der Online-Unterricht für Grundschüler nur bedingt geeignet. Das berichtet der Schulleiter der Grundschule Saarbrücken-Eschberg, Sven Rave: „Unsere 220 Schüler arbeiten größtenteils mit Schulbüchern und Heften ganz klassisch analog zu Hause. Digitale Angebote sind nur eine Ergänzung.“Anders sei ein Unterricht mit Grundschülern, vor allem in den unteren Klassenstufen, auch überhaupt nicht möglich, betont Rave.
Viele jüngere Schüler besäßen weder die digitale Kompetenz noch die technische Ausstattung, um rein über digitale Unterrichtskanäle unterrichtet zu werden. Das fange bereits bei den Endgeräten an: „Es gibt Familien mit zwei oder drei Schulkindern, die bräuchten dann auch so viele Laptops.“Zwar habe die Stadt Saarbrücken kürzlich Tablets für bedürftige Familien zur Verfügung gestellt, aber alleine die Ausgabe der Geräte sei ein organisatorischer Kraftakt: „Zuerst muss der Bedarf festgestellt und ein Antrag eingereicht werden. Viele Familien haben aber zuhause nicht mal einen Drucker, um den Antrag auszudrucken.“Zwar helfe die Schule dabei, die Anträge zu drucken und bei Bedarf auszufüllen, so lange blieben die Geräte aber ungenutzt.
Die digitale Grundschule hält Rave für eine „Wunschvorstellung“, die mit der Realität nur wenig zu tun habe. Für Grundschüler eigne sich die OSS beispielsweise auch nur bedingt, da es kein intuitives Lernprogramm und für die Altersgruppe viel zu komplex sei: „Wir nutzen dabei nur das Videokonferenzsystem, um mit unseren Schülern wenigstens in Kontakt zu bleiben. Dabei geht es aber mehr um organisatorische Fragen und um zu sehen, ob es den Schülern gut geht“, sagt Rave. Ansonsten nutzten die Schüler ihre Schulbücher und Übungshefte, die sie zu Beginn des Schuljahres erhalten haben.
Die 20 Lehrerinnen und Lehrer der Grundschule Eschberg erstellten Tagesund Wochenpläne, die die Kinder zuhause eigenständig bearbeiten sollen: „Ob und wie Schüler ihre Aufgaben erledigen, können wir natürlich nicht kontrollieren, das ist ein großer Nachteil“, sagt der Schulleiter. So bestehe selbstverständlich die Gefahr, dass die Schere zwischen begabteren und motivierteren Schülern und weniger engagierten Schülern auseinander gehe.
Auch spiele es eine große Rolle, inwiefern die Eltern darauf achten würden, dass die Kinder ihre Hausaufgaben machten: „Wir wissen von Eltern, die den Schultag ihrer Kinder zeitlich klar nach Fächern strukturieren und von Eltern, die das eben nicht tun.“Zwischen den Familien gebe es eben große Unterschiede: „Die einen sprechen nur wenig Deutsch, die anderen sind berufstätig und nicht zuhause, wieder andere haben zuhause kein Wlan oder keinen Computer. Das schlägt sich alles auch auf die Bildungschancen der Kinder nieder“, sagt der Schulleiter.
Einige Kinder, von denen die Schule wisse, dass sie ein schwierigeres Lernumfeld zuhause haben, würden von Zeit zu Zeit auch in die Schule zu einem kleinen „Crash-Kurs“eingeladen. Dabei werde der Lernstand besprochen und Hilfestellungen für das Arbeiten zuhause gegeben. Bei sogenannten Härtefällen könne auch der Schulsozialarbeiter der Schule als Ansprechpartner zur Seite stehen. Aber auch Lehrer müssten in diesen Zeiten dazulernen. Deshalb habe das Landesinstitut für Pädagogik und Medien an der Schule erst kürzlich einen pädagogischen Tag angeboten, um Lehrern digitale Unterrichtsformate, wie die OSS näherzubringen.
Das eine oder andere nützliche digitale Hilfsmittel werde auch an der Grundschule Eschberg bereits erfolgreich eingesetzt, erklärt Rave: „Unsere Lehrer drehen häufiger kurze Lehr-Videos, die per Mail oder Whatsapp an die Schüler geschickt werden und sie sich zuhause anschauen können.“Sehr gut integrieren lasse sich auch die Lern-App Anton, die den Schülern kostenlos zur Verfügung gestellt werde. Dort könnten Lehrer auf Altersgruppen zugeschnittene Übungsaufgaben, beispielsweise in Deutsch oder Mathematik, ihren Schülern anbieten: „Das kann aber immer nur als Ergänzung dienen, ein lehrplanbezogenes Lernen ist damit nicht möglich“, sagt Rave.
Insgesamt meisterten Eltern, Schüler und Lehrer den Schul-Lockdown aber ganz passabel, meint Rave, auch wenn die endgültigen Auswirkungen erst sichtbar würden, wenn die Schüler wieder in die Schulen kämen: „Dann müssen wir eine Bestandsaufnahme machen und schauen, wo stehen die Kinder, wie viel wurde versäumt und was muss nachgeholt werden.“
Das größte Dilemma für den Schulleiter ist aber, dass den Schülern der soziale Kontakt komplett abhanden komme: „Kein digitaler Unterricht, keine Whatsapp-Kommunikation und kein Telefonat können die sozialen Kontakte ersetzen“, betont Rave.
Besonders schade finde er es gerade für Erstklässler, dass sie noch nie einen normalen Schulalltag erlebt hätten: „Obwohl sie im Sommer noch im Unterricht waren, haben sie das Schöne, das die Schule bieten kann, nie erlebt. Keine unbeschwerten Pausen mit anderen Kindern, keine sportlichen Aktivitäten, kein Singen im Chor“, bedauert Rave. Die Schule sei als Begegnungsort unheimlich wichtig.
„Unsere 220 Schüler arbeiten größtenteils mit Schulbüchern und Heften ganz klassisch analog zu Hause.“Sven Rave Schulleiter Grundschule Saarbrücken-Eschberg