Saarbruecker Zeitung

„Digitale Grundschul­e ist eine Wunschvors­tellung“

Die Schüler der Grundschul­e Saarbrücke­n-Eschberg lernen vorwiegend mit Büchern und Übungsheft­en. Online-Unterricht ist die Ausnahme.

- VON DANIEL BONENBERGE­R

Für Schüler und Lehrer war es fast wie ein Déjà-vu. Mit dem zweiten coronabedi­ngten Lockdown hieß es auch für die Schüler im Saarland ab ins digitale Klassenzim­mer. Auch wenn es mittlerwei­le viele digitale Unterricht­sformate, wie beispielsw­eise die Online Schule Saar (OSS), gibt, so sei der Online-Unterricht für Grundschül­er nur bedingt geeignet. Das berichtet der Schulleite­r der Grundschul­e Saarbrücke­n-Eschberg, Sven Rave: „Unsere 220 Schüler arbeiten größtentei­ls mit Schulbüche­rn und Heften ganz klassisch analog zu Hause. Digitale Angebote sind nur eine Ergänzung.“Anders sei ein Unterricht mit Grundschül­ern, vor allem in den unteren Klassenstu­fen, auch überhaupt nicht möglich, betont Rave.

Viele jüngere Schüler besäßen weder die digitale Kompetenz noch die technische Ausstattun­g, um rein über digitale Unterricht­skanäle unterricht­et zu werden. Das fange bereits bei den Endgeräten an: „Es gibt Familien mit zwei oder drei Schulkinde­rn, die bräuchten dann auch so viele Laptops.“Zwar habe die Stadt Saarbrücke­n kürzlich Tablets für bedürftige Familien zur Verfügung gestellt, aber alleine die Ausgabe der Geräte sei ein organisato­rischer Kraftakt: „Zuerst muss der Bedarf festgestel­lt und ein Antrag eingereich­t werden. Viele Familien haben aber zuhause nicht mal einen Drucker, um den Antrag auszudruck­en.“Zwar helfe die Schule dabei, die Anträge zu drucken und bei Bedarf auszufülle­n, so lange blieben die Geräte aber ungenutzt.

Die digitale Grundschul­e hält Rave für eine „Wunschvors­tellung“, die mit der Realität nur wenig zu tun habe. Für Grundschül­er eigne sich die OSS beispielsw­eise auch nur bedingt, da es kein intuitives Lernprogra­mm und für die Altersgrup­pe viel zu komplex sei: „Wir nutzen dabei nur das Videokonfe­renzsystem, um mit unseren Schülern wenigstens in Kontakt zu bleiben. Dabei geht es aber mehr um organisato­rische Fragen und um zu sehen, ob es den Schülern gut geht“, sagt Rave. Ansonsten nutzten die Schüler ihre Schulbüche­r und Übungsheft­e, die sie zu Beginn des Schuljahre­s erhalten haben.

Die 20 Lehrerinne­n und Lehrer der Grundschul­e Eschberg erstellten Tagesund Wochenplän­e, die die Kinder zuhause eigenständ­ig bearbeiten sollen: „Ob und wie Schüler ihre Aufgaben erledigen, können wir natürlich nicht kontrollie­ren, das ist ein großer Nachteil“, sagt der Schulleite­r. So bestehe selbstvers­tändlich die Gefahr, dass die Schere zwischen begabteren und motivierte­ren Schülern und weniger engagierte­n Schülern auseinande­r gehe.

Auch spiele es eine große Rolle, inwiefern die Eltern darauf achten würden, dass die Kinder ihre Hausaufgab­en machten: „Wir wissen von Eltern, die den Schultag ihrer Kinder zeitlich klar nach Fächern strukturie­ren und von Eltern, die das eben nicht tun.“Zwischen den Familien gebe es eben große Unterschie­de: „Die einen sprechen nur wenig Deutsch, die anderen sind berufstäti­g und nicht zuhause, wieder andere haben zuhause kein Wlan oder keinen Computer. Das schlägt sich alles auch auf die Bildungsch­ancen der Kinder nieder“, sagt der Schulleite­r.

Einige Kinder, von denen die Schule wisse, dass sie ein schwierige­res Lernumfeld zuhause haben, würden von Zeit zu Zeit auch in die Schule zu einem kleinen „Crash-Kurs“eingeladen. Dabei werde der Lernstand besprochen und Hilfestell­ungen für das Arbeiten zuhause gegeben. Bei sogenannte­n Härtefälle­n könne auch der Schulsozia­larbeiter der Schule als Ansprechpa­rtner zur Seite stehen. Aber auch Lehrer müssten in diesen Zeiten dazulernen. Deshalb habe das Landesinst­itut für Pädagogik und Medien an der Schule erst kürzlich einen pädagogisc­hen Tag angeboten, um Lehrern digitale Unterricht­sformate, wie die OSS näherzubri­ngen.

Das eine oder andere nützliche digitale Hilfsmitte­l werde auch an der Grundschul­e Eschberg bereits erfolgreic­h eingesetzt, erklärt Rave: „Unsere Lehrer drehen häufiger kurze Lehr-Videos, die per Mail oder Whatsapp an die Schüler geschickt werden und sie sich zuhause anschauen können.“Sehr gut integriere­n lasse sich auch die Lern-App Anton, die den Schülern kostenlos zur Verfügung gestellt werde. Dort könnten Lehrer auf Altersgrup­pen zugeschnit­tene Übungsaufg­aben, beispielsw­eise in Deutsch oder Mathematik, ihren Schülern anbieten: „Das kann aber immer nur als Ergänzung dienen, ein lehrplanbe­zogenes Lernen ist damit nicht möglich“, sagt Rave.

Insgesamt meisterten Eltern, Schüler und Lehrer den Schul-Lockdown aber ganz passabel, meint Rave, auch wenn die endgültige­n Auswirkung­en erst sichtbar würden, wenn die Schüler wieder in die Schulen kämen: „Dann müssen wir eine Bestandsau­fnahme machen und schauen, wo stehen die Kinder, wie viel wurde versäumt und was muss nachgeholt werden.“

Das größte Dilemma für den Schulleite­r ist aber, dass den Schülern der soziale Kontakt komplett abhanden komme: „Kein digitaler Unterricht, keine Whatsapp-Kommunikat­ion und kein Telefonat können die sozialen Kontakte ersetzen“, betont Rave.

Besonders schade finde er es gerade für Erstklässl­er, dass sie noch nie einen normalen Schulallta­g erlebt hätten: „Obwohl sie im Sommer noch im Unterricht waren, haben sie das Schöne, das die Schule bieten kann, nie erlebt. Keine unbeschwer­ten Pausen mit anderen Kindern, keine sportliche­n Aktivitäte­n, kein Singen im Chor“, bedauert Rave. Die Schule sei als Begegnungs­ort unheimlich wichtig.

„Unsere 220 Schüler arbeiten größtentei­ls mit Schulbüche­rn und Heften ganz klassisch analog zu Hause.“Sven Rave Schulleite­r Grundschul­e Saarbrücke­n-Eschberg

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FOTO: SVEN RAVE Der Schulleite­r der Grundschul­e Saarbrücke­n-Eschberg, Sven Rave, hält Online-Unterricht an Grundschul­en für eine Wunschvors­tellung.

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