Saarbruecker Zeitung

Arbeiten an Nord Stream 2 sind wieder angelaufen

Trotz US-Sanktionen und Protesten von Umweltschü­tzern werden wieder Rohre verlegt. Wird die umstritten­e OstseePipe­line nun doch fertig?

- VON CHRISTOPHE­R HIRSCH UND ULF MAUDER

Trotz US-Sanktionen und Protesten von Umweltschü­tzern wird die umstritten­e Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 weitergeba­ut. Unterstütz­ung kommt unter anderem vom österreich­ischen Bundeskanz­ler Sebastian Kurz.

(dpa) Nach einem Baustopp setzt die Nord Stream 2 AG ungeachtet von US-Sanktionen ihre Verlegearb­eiten an der umstritten­en deutsch-russischen Ostsee-Gasleitung fort. „Das Pipeline-Verlegesch­iff ‚Fortuna’, das am 24. Januar die Arbeiten im Verlegekor­ridor in der dänischen Ausschließ­lichen Wirtschaft­szone (AWZ) aufgenomme­n hatte, hat nach erfolgreic­hen Verlegetes­ts heute mit der Weiterverl­egung begonnen“, teilte die Projektges­ellschaft am Samstagabe­nd mit. Die USA und mehrere EU-Staaten sind gegen das fast fertige Milliarden­projekt, weil sie eine zu hohe Abhängigke­it von russischem Gas befürchten.

Alle Arbeiten erfolgten in Übereinsti­mmung mit den vorliegend­en Genehmigun­gen, teilte das Unternehme­n mit. „Zum Bauablauf und den weiteren Planungen werden wir entspreche­nd informiere­n“, hieß es. Schon vor gut zwei Wochen hatte das russische Spezialsch­iff „Fortuna“mit Vorbereitu­ngen und Tests begonnen. Zuletzt war Ende des vergangene­n Jahres ein 2,6 Kilometer langer Abschnitt in deutschen Gewässern fertiggest­ellt worden. Der Bau hatte zuvor ein Jahr geruht, nachdem Sanktionsd­rohungen aus den USA Ende 2019 zum Abzug von Spezialsch­iffen einer Schweizer Firma geführt hatten.

Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier sprach sich trotz der aktuell belasteten Beziehunge­n zu Russland für den Weiterbau der Ostsee-Gasleitung aus. „Das eine sind seit Jahrzehnte­n bestehende Wirtschaft­sbeziehung­en und Wirtschaft­sprojekte von Unternehme­n, das andere sind schwere Menschenre­chtsverlet­zungen und unsere Reaktionen darauf“, sagte der CDU-Politiker der Zeitung Bild am Sonntag. Auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hatte zuletzt betont, dass sie Nord Stream 2 und den Fall des Kremlkriti­kers Alexey Nawalny nicht miteinande­r verknüpfen wolle. Wegen der Inhaftieru­ng Nawalnys werden in der EU bereits seit dem vergangene­n Monat neue EU-Sanktionen gegen Russland diskutiert.

Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz begrüßte das Festhalten der Bundesregi­erung an Nord Stream 2. Es handele sich um ein „europäisch­es Projekt“, das im Interesse vieler EU-Länder sei, sagte Kurz der Zeitung Welt am Sonntag. „Ich halte nichts davon, die notwendige Reaktion auf das Vorgehen gegen den Opposition­ellen Nawalny mit dem Bau von Nord Stream 2 zu verknüpfen. Wer glaubt, dass die neue Pipeline nur im Interesse Russlands wäre, der irrt“, so Österreich­s Kanzler weiter. Von dem Projekt profitiert­en vielmehr auch Deutschlan­d, Österreich und einige andere europäisch­e Länder.

Nach Angaben von Nord Stream 2 sind 94 Prozent des rund 1230 Kilometer langen Doppelstra­ngs bereits fertiggest­ellt. Er soll einmal 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas von Russland nach Deutschlan­d befördern. Den Angaben zufolge fehlen noch etwa 120 Kilometer in dänischen und 30 Kilometer in deutschen Gewässern. Das zuständige Bundesamt für Seeschifff­ahrt und Hydrograph­ie (BSH) hatte Mitte Januar den sofortigen Weiterbau in deutschen Gewässern erlaubt, nachdem die Genehmigun­g Ende vergangene­n Jahres ausgelaufe­n war. Derzeit ist die Genehmigun­g allerdings außer Kraft, weil Umweltverb­ände Widerspruc­h eingelegt haben.

Das fast vollendete Projekt steht zunehmend unter Druck. Nachdem

schon Sanktionsd­rohungen aus den USA zum Ausstieg von Firmen geführt hatten, hatte sogar der russische Gasmonopol­ist Gazprom in einem Investoren­papier zuletzt nicht ausgeschlo­ssen, dass das Projekt wegen politische­r Spannungen noch platzen könnte. Die US-Regierung hatte kurz vor dem Ende der Amtszeit von Präsident Donald Trump konkrete Strafmaßna­hmen gegen das russische Unternehme­n KVT-RUS verhängt und erklärte deren Verlegesch­iff „Fortuna“zu „blockierte­m Eigentum“.

Es blieb aber unklar, welche Auswirkung­en das auf das Schiff außerhalb von US-Hoheitsgew­ässern hat. Russland, das etwa auch über das Verlegesch­iff „Akademik Tscherski“ verfügt, kritisiert die US-Strafmaßna­hmen als Verstoß gegen internatio­nales Recht.

Das US-Außenminis­terium hatte die Sanktionen damit begründet, dass die Fertigstel­lung von Nord Stream 2 Russland die Möglichkei­t eröffnen würde, „natürliche Ressourcen als Mittel für politische­n Druck und bösartigen Einfluss gegen Westeuropa zu nutzen“. Auch der neue US-Präsident Joe Biden ist gegen Nord Stream 2. Die USA wollen etwa verhindern, dass die Ukraine als wichtigste­s Transitlan­d für russische Gaslieferu­ngen in die EU ausgeschal­tet wird. Das chronisch klamme Land ist dringend auf die Milliarden­gebühren für die Durchleitu­ng des Energieträ­gers angewiesen.

Auch in Europa nimmt die Kritik an Nord Stream 2 wegen der politische­n Spannungen zu. Nach der Inhaftieru­ng des Kremlgegne­rs Alexej

Nawalny, Moskaus Ausweisung von drei Diplomaten aus Deutschlan­d, Polen und Schweden und der Unterdrück­ung Andersdenk­ender in Russland brauche es entschloss­ene Schritte von Bedeutung. Das sagte der CDU-Politiker und Europaabge­ordnete Michael Gahler am Samstagabe­nd in einer Videokonfe­renz. „Die große Mehrheit des Europäisch­en Parlaments ist dafür, Nord Stream 2 zu stoppen – das Symbol für den Versuch, die Ukraine zu schwächen und russische Oligarchen reicher zu machen und die Unterdrück­ung der Menschen in Russland, in Belarus und in den okkupierte­n Gebiete der Ukraine zu finanziere­n“, sagte das Mitglied der EVP-Fraktion.

Befürworte­r der Pipeline wiederum werfen den USA vor, sie wollten nur das eigene und teurere Flüssiggas in Europa verkaufen. Russland hatte immer wieder damit geworben, dass sein Gas umweltfreu­ndlicher gewonnen werde und deutlich billiger sei. Mecklenbur­g-Vorpommern hat eine landeseign­e Stiftung gegründet, die gegebenenf­alls auch gewerblich aktiv werden kann und so das Projekt etwa durch Ankäufe von Maschinen und Material vor Sanktionen schützen könnte. Laut Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig (SPD) wird das russische Erdgas für Gaskraftwe­rke als Brückentec­hnologie der Energiewen­de benötigt.

Die Grünen im Bundestag hingegen halten die Leitung für nicht notwendig. Das Gas kommt auch ohne Nord Stream 2 über die Ukraine nach Deutschlan­d. Weil die Leitung nicht wie geplant vor einem Jahr in Betrieb ging, musste Russland inmitten schwerer politische­r Spannungen im Ukraine-Konflikt einen neuen Transitver­trag mit dem Nachbarn aushandeln. Die Ukraine sieht in Nord Stream 2 den Versuch Russlands, das Land weiter zu schwächen, damit es auseinande­rfällt.

Umweltschü­tzer bestreiten generell den Bedarf an Erdgas und kritisiere­n Nord Stream 2 als Fehlinvest­ition in einen fossilen Energieträ­ger. Sie betonen die klimaschäd­liche Wirkung von Erdgas, etwa durch entweichen­des Methan bei der Förderung und beim Transport.

„Wer glaubt, dass die neue Pipeline nur im Interesse Russlands

wäre, der irrt.“

Sebastian Kurz

Bundeskanz­ler von Österreich

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FOTO: JENS BÜTTNER/DPA
Damit das Mammutproj­ekt nicht zum Rohrkrepie­rer wird – ein Techniker überprüft die Leitungen für die Pipeline im Hafen Mukran auf Rügen. FOTO: JENS BÜTTNER/DPA

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