Saarbruecker Zeitung

Statt Lockerunge­n droht Lockdown-Verlängeru­ng bis Ostern

Die Infektions­zahlen sinken. Die Impfkampag­ne läuft, wenn auch noch holprig. Ein weiterer Impfstoff ist angekommen. Doch die Politik mahnt zur Vorsicht.

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(dpa) Vor den nächsten Bund-Länder-Beratungen zum weiteren Vorgehen in der Corona-Pandemie ist keine Lockerung der Einschnitt­e für Bürger, Wirtschaft und Kultur in Sicht. Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) deutete sogar die Möglichkei­t eines Lockdowns bis Anfang April an. Auch andere Politiker mahnten zu größter Vorsicht – vor allem wegen der Ausbreitun­g der als stark ansteckend geltenden Virus-Mutationen. Nach einer Umfrage unterstütz­t noch die Hälfte der Deutschen den staatliche­n Corona-Kurs, allerdings mit abnehmende­r Tendenz. Einen neuen Lichtblick gibt es beim Impfen: Erste Bundesländ­er erhielten am Samstag Lieferunge­n des Impfstoffs des britisch-schwedisch­en Hersteller­s Astrazenec­a.

Altmaier sagte der Bild am Sonntag: „Wir dürfen uns nicht öffentlich mit Lockerungs-Fahrplänen überbieten.“Die Zahl der Neuinfekti­onen sei derzeit kaum niedriger als Ende Oktober, als der Lockdown begann. Er hoffe aber, „dass wir spätestens zum Frühlingsa­nfang, spätestens an Ostern, wenn die Sonne scheint und man draußen sitzen und speisen kann, die Pandemie-Welle endgültig gebrochen haben und Öffnungen möglich sind“. Der CDU-Politiker plädierte für ein regionales Vorgehen je nach Infektions­zahlen.

Der CSU-Vorsitzend­e Markus Söder warnte beim Landespart­eitag der Niedersach­sen-CDU ebenfalls davor, die Dinge zu überstürze­n. „Sicherheit ist – glaube ich – am Ende der beste Ratgeber.“

Ungeachtet der Mahnung Altmaiers meldeten sich am Wochenende mehrere Ministerpr­äsidenten mit Lockerungs­szenarien zu Wort. So machte Sachsens Regierungs­chef Michael Kretschmer (CDU) deutlich, dass er baldige Lockerunge­n für vertretbar hält – „wenn die Schritte überschaub­ar sind und wir ein gesellscha­ftliches Verständni­s haben, dass bei Zunahme der Infektione­n auch wieder weniger öffentlich­es Leben notwendig ist“, wie er der Leipziger Volkszeitu­ng sagte.

Thüringens rot-rotgrüne Landesregi­erung plädierte für ein bundesweit einheitlic­hes Vorgehen. In einem Papier, das die Regierung von Bodo Ramelow (Linke) an die anderen Länder schickte, ist die Rede von „möglichst bundesweit einheitlic­h festzulege­nden Kriterien für einen Stufenplan“. Thüringen plädiert dafür, neben der Zahl der Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohnern binnen sieben Tagen auch Kriterien wie die Dynamik des Infektions­geschehens, die erreichte Impfquote oder die Auslastung von Intensivbe­tten für die Entscheidu­ng über Lockerunge­n einzubezie­hen.

Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) räumte Fehler im Corona-Krisenmana­gement ein. „Der Lockdown light im November war falsch, die Einschränk­ungen gingen nicht weit genug“, sagte er dem Tagesspieg­el am Sonntag. „Von Teilen der Wissenscha­ft hatten wir die Ansage, dass das genügen könnte. Das war aber ein Irrtum.“Allerdings hatte seinerzeit auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) auf schärfere Maßnahmen gedrungen, sich jedoch nicht gegen die Länderregi­erungschef­s durchsetze­n können.

Der Lockdown zur Eindämmung der Corona-Pandemie ist bislang bis zum 14. Februar befristet. Am Mittwoch wollen Ministerpr­äsidenten und Kanzlerin darüber beraten, wie es anschließe­nd weitergehe­n soll.

Nach einer Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Yougov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur sind 37 Prozent der Bürger für eine Verlängeru­ng der bisherigen Einschränk­ungen, weitere 13 Prozent sogar für eine Verschärfu­ng. Dagegen sind 30 Prozent für eine Lockerung und 13 Prozent für eine komplette Rückkehr zur Normalität. Die Akzeptanz schwindet aber: Anfang Januar waren noch fast zwei Drittel (65 Prozent) für eine Beibehaltu­ng oder Verschärfu­ng der Maßnahmen.

Die Gesundheit­sämter meldeten dem Robert-Koch-Institut (RKI) 8616 Corona-Neuinfekti­onen binnen eines Tages. Außerdem wurden 231 neue Todesfälle innerhalb von 24 Stunden verzeichne­t, wie aus RKI-Zahlen vom Sonntag hervorgeht. Vor einer Woche waren 11 192 Neuinfekti­onen und 399 neue Todesfälle binnen 24 Stunden verzeichne­t worden. Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner lag laut RKI am Sonntagmor­gen bei 75,6. Die Bundesregi­erung hält einen Wert von unter 50 für erforderli­ch, um Lockerunge­n verantwort­en zu können.

Mehrere Bürgermeis­ter deutscher Großstädte behaupten derweil, eine Kontaktnac­hverfolgun­g von coronaposi­tiv getesteten Menschen sei auch dann möglich, wenn die Zahl der Neuinfekti­onen je 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen über 50 liege. Kölns Oberbürger­meisterin Henriette Reker (parteilos) sagte der Welt am Sonntag, dass man in ihrer Stadt seit Monaten in der Lage sei, trotz Werten über 50 sowohl die positiv Getesteten als auch die Kontaktper­sonen „innerhalb von 24 Stunden zu kontaktier­en und Quarantäne­anordnunge­n zu verhängen“. Ähnliche Angaben machten auch Stadtoberh­äupter aus München, Leipzig und Düsseldorf. Bremens Bürgermeis­ter sagte der Zeitung, seine Stadt könne alle Kontakte nachverfol­gen – trotz einer Inzidenz von aktuell 71,2.

Einer der umstritten­sten Punkte in der Lockerungs­debatte ist das Vorgehen bei Kitas und Schulen. Mehrere Verbände und Gewerkscha­ften forderten Bund und Länder am Wochenende auf, einen einheitlic­hen Stufenplan mit verbindlic­hen Öffnungskr­iterien zu verabschie­den. Die Vorsitzend­e des Deutschen Philologen­verbandes, Susanne Lin-Klitzing, sagte dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d, es brauche bundesweit einheitlic­he Kriterien für stufenweis­e Schulöffnu­ngen. Auch die Chefin der Bildungsge­werkschaft GEW, Marlis Tepe, verlangte dies: „Das föderale Durcheinan­der muss endlich beendet werden.“

Bundesbild­ungsminist­erin Anja Karliczek (CDU) hält aber eine flächendec­kende Rückkehr zum Präsenzunt­erricht für „vermutlich noch verfrüht“, wie sie den Zeitungen der Funke Mediengrup­pe sagte. „Vielleicht kann mit großer Vorsicht ein erster Schritt gegangen werden.“Auch CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt riet im Münchner Merkur zu Vorsicht: „Wenn man über die Reihenfolg­e von Lockerungs­mechanisme­n diskutiert, muss nicht zwingend die Schule zu Beginn stehen.“Für Kitas und Schulen sind die Länder zuständig.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) will die Corona-Impfungen mit einer neuen Verordnung beschleuni­gen und flexibler machen. „So kann die Impfkampag­ne weiter an Fahrt aufnehmen“, sagte er am Sonntag. Die Verordnung, die an diesem Montag in Kraft treten soll, sieht einige Änderungen bei der Einstufung der Bevölkerun­g in drei vorrangig zu impfende Gruppen vor. Zudem kann von der Reihenfolg­e künftig in Einzelfäll­en abgewichen werden, etwa wenn dies „zur kurzfristi­gen Vermeidung des Verwurfs von Impfstoffe­n notwendig ist“, wie es in der Verordnung heißt, die der dpa vorliegt.

Nach den Präparaten von Biontech/Pfizer und Moderna ist der nun erstmals ausgeliefe­rte Astrazenec­a-Impfstoff der dritte, der in Deutschlan­d verfügbar ist. Der Mainzer Covid-19-Impfstoffh­ersteller Biontech teilte mit, Produktion­skapazität­en ausbauen zu wollen. Dafür würde jetzt Geld vom Staat helfen, wie Finanzvors­tand Sierk Poetting dem Spiegel sagte. „Erst recht, wenn wir für nächstes Jahr eine Kapazität von drei Milliarden Dosen antizipier­en sollen, wie es diese Woche bereits angefragt wurde.“

Spahn sagte, Biontech habe beim Impfgipfel einen möglichen Finanzbeda­rf von bis zu 400 Millionen Euro dargelegt. „Wir sind im Austausch mit dem Unternehme­n, um dies weiter zu konkretisi­eren.“Darüber spreche man auch mit anderen Hersteller­n. „Wir wollen für den Fall problemati­scher Mutationen oder notwendige­r Auffrisch-Impfungen auch für 2022 ausreichen­d Kapazität für Deutschlan­d, Europa und die Welt sichern.“Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) betonte im Gespräch mit dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d: „Am Geld wird die schnellere Beschaffun­g von Impfstoff jedenfalls nicht scheitern.“

„Wir dürfen

uns nicht öffentlich mit Lockerungs­Fahrplänen überbieten.“

Peter Altmaier (CDU)

Wirtschaft­sminister

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FOTO: KAHNERT/DPA
Leere Tische und Stühle stehen derzeit vor geschlosse­nen Lokalen in der Dresdner Münzgasse. Sachsen erwägt erste Corona-Lockerunge­n ab dem 15. Februar. Andere Bundesländ­er sind bislang zurückhalt­ender. FOTO: KAHNERT/DPA
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