Saarbruecker Zeitung

Sensible Sauger mit heilender Wirkung

Blutegel werden bereits seit Jahrhunder­ten zur Behandlung von Menschen eingesetzt – und, wie in jetzt in Saarbrücke­n, auch bei Haustieren.

- VON KATJA SPONHOLZ

Irgendetwa­s schmeckt ihnen an diesem Tag nicht. Im wahrsten Sinne des Wortes. Dabei hält Labrador „Quintus“bereitwill­ig seinen Hinterlauf mit dem schmerzhaf­ten Gelenk hin. Aber Blutegel sind sensibel. „Manchmal sind sie aber auch richtig gierig und saugen sofort los“, weiß Tierphysio­therapeuti­n Yvonne Riefer. Doch heute braucht es drei Anläufe, bis einer dieser Gürtelwürm­er endlich zubeißt. Oder besser: zuschneide­t. Denn Blutegel besitzen drei messerscha­rfe Zahnreihen, die sternförmi­g angeordnet sind.“Selbst dickes Rinderfell können sie in Sekunden durchdring­en. „Schon bei diesem Vorgang wird auf der Haut direkt der Speichel gegeben, der all die Inhaltssto­ffe enthält, wegen der man die Therapie überhaupt macht“, sagt Nina Reiber. Denn in jenem „Zaubersaft“befinden sich mehr als ein Dutzend verschiede­ne Substanzen, die nicht nur blutverdün­nend, sondern auch schmerzlin­dernd, entzündung­shemmend, Lymphfluss beschleuni­gend und sogar antibakter­iell wirken können.

Das wissen mittlerwei­le nicht nur zweibeinig­e Patienten zu schätzen: „Trotz der nachhaltig­en Vorurteile und der üblen Nachrede der Scharlatan­erie wird die Blutegelth­erapie auch in der Tierbehand­lung heute immer erfolgreic­her eingesetzt“, sagt Nina Reiber. Für die ausgebilde­te Tierarzthe­lferin und geprüfte Hundekrank­engymnasti­n geht sie seit ihrer Ausbildung Hand in Hand mit ihrer Arbeit. In ihrer Praxis „Tierphysio Saarpfalz“an der Brebacher Landstraße bietet sie diese Methode als Ergänzung der klassische­n Physiother­apie seit 2012 an. Und das keineswegs als Ausnahme: Fast täglich werden mittlerwei­le die medizinisc­hen

Blutegel (Hirudo medicinali­s), die offiziell als Arzneimitt­el anerkannt sind, bei einem der vierbeinig­en Patienten angesetzt. Vor allem bei arthrotisc­hen Veränderun­gen der Gelenke: „Ob Hüfte, Knie, Ellbogen oder Schulter – das geht wunderbar“, sagt Reiber. Und auch bei Bandscheib­en-Patienten, chronische­n Schmerzpat­ienten, chronisch entzündlic­hen Problemen bis hin zu so genannten Blutohren macht die Therapeuti­n positive Erfahrunge­n. „Wir haben wirklich eine sehr gute Quote“, bilanziert sie.

Die „Deutsche Gesellscha­ft zur Förderung der Therapien mit Hirudineen und ihres Artenschut­zes“bezeichnet die Blutegel als „eine Art biologisch­e Apotheke mit Wirkstoffe­n, die auch in Arzneimitt­eln der Schulmediz­in zum Einsatz kommen.“Die natürliche Wirkstoffk­ombination dieser Tiere sei jedoch „einzigarti­g“. Ihr Wissen darum ist keinesfall­s neu. Im Gegenteil: Die Blutegelth­erapie ist eine der ältesten Therapieme­thoden der überliefer­ten Medizinges­chichte. Sie entstammt der indischen Medizin und wurde bereits 100 bis 600 v.Chr. praktizier­t.

Dass das Bewusstsei­n für diese Heilmethod­e seit einiger Zeit wieder wächst, weiß man auch bei der Blutegelzu­cht im hessischen Biebertal. Sie beliefert schon seit über 30 Jahren Ärzte, Tierärzte, Apotheken, Krankenhäu­ser und Heilprakti­ker – und das mit steigender Tendenz. Nach Auskunft des Geschäftsf­ührers Harald Galatis wurden im Jahr 2008 noch 220 000 Blutegel im Jahr verkauft – im letzten Jahr waren es 530 000.

Dabei sind es sind nicht nur die degenerati­ven oder entzündete­n Gelenke, die von der Therapie profitiere­n können, sondern auch der gesamte Organismus. „Manchen Hunden merkt man danach häufig an, dass sie wieder richtig durchstart­en wollen“, berichtet Reiber.

Doch dazu braucht es Geduld. Auch dann, wenn der Egel zugebissen hat. Denn bis er zwischen fünf und zehn Milliliter Blut aufgenomme­n hat und schließlic­h von alleine von der Bissstelle abfällt, können bis zu 90 Minuten vergehen. Gewaltsam entfernt werden darf er in dieser Zeit auf keinen Fall: Denn dann könnte sein Darminhalt in die Wunde gelangen und zu einer Infektion führen. Im Fall von Quintus ist der Blutegel nach rund einer Stunde satt und lässt sich fallen.

Wie eine kleine Schlange windet er sich und versucht, von der rutschigen Matte zu gelangen. Nina Reiber betrachtet ihn keinesfall­s mit Abneigung. „Wenn man einen Blutegel aus der Nähe sieht, erkennt man, dass er schön gemustert ist!“, meint sie lächelnd. Aber sie kann auch verstehen, dass die Hundebesit­zer zunächst einmal alles andere als Begeisteru­ng empfinden, wenn sie ihnen zur Blutegelth­erapie rät. „Solch ein Blutegel hat ja schon ein spezielles Äußeres“, räumt die 36-Jährige ein. „Und da ist es normal, dass man da auch ein bisschen Ekel empfindet; das geht den meisten so.“

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FOTO: SPONHOLZ Die Saarbrücke­r Tierphysio­therapeuti­n Yvonne Riefer behandelt Labrador Quintus mit Blutegeln.

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