Burnout: „Erschöpfung darf man nicht unterschätzen“
Der Chefarzt der Psychiatrie der SHG-Kliniken Sonnenberg, Privatdozent Dr. med. Ulrich Seidl, über die Gefahren von Burnout.
Was versteht man unter Burnout?
Seidl Tatsächlich ist Burnout gar nicht so einheitlich definiert. Der Begriff geht auf einen Psychoanalytiker zurück, der den Zustand in den 70er-Jahren beschrieben hat. Er beschreibt damit eigentlich Mitarbeiter im Gesundheitswesen, die so überengagiert sind, dass sie sich selbst ausbeuten. Irgendwann werden sie dann verbittert und zeigen starke Erschöpfungssymptome. Burnout in dem Sinne ist nicht einheitlich operationalisiert, es gibt keine festen Kriterien dafür. Das ist auch ganz wichtig: Es ist eigentlich keine wirkliche Diagnose, weil es ein Erschöpfungszustand ist, in den jemand gerät. Meist geht diesem Zustand eine Form der Selbstaufopferung zuvor, die über mehrere Jahre hinweg anhält und letztlich dann in einer riesigen Erschöpfung endet.
Ist Burnout immer mit der Arbeit verknüpft?
Seidl Das steht nirgendwo so geschrieben. So wie es ursprünglich beschrieben wurde, steht es aber immer in Verbindung mit der Arbeit. Es kann aber natürlich auch sein, dass jemand Burnout entwickelt, weil er sich für die Familie aufopfert. Wichtig ist aber, dass am Anfang des Burnouts immer eine Haltung steht, bei der man für etwas gebrannt hat. Die Betroffenen gehen nicht einfach ganz normal irgendeiner Arbeit nach und brennen dann plötzlich aus. Es sind Leute, die sehr viel Leidenschaft und Herzblut in eine Sache gesteckt haben und dann irgendwann an den Rahmenbedingungen verzweifeln.
Wie häufig tritt Burnout auf?
Seidl Aufgrund der nicht einheitlichen Definition von Burnout ist das kaum zu beantworten. Wir können diese Statistiken nicht richtig messen. Deshalb gibt es auch keine eindeutigen Studien dazu. Es gibt Burnout-Skalen, aber da gibt es keine ganz klare Festlegung, ab wann man von Burnout sprechen kann. Deswegen geistern immer mal wieder Zahlen herum, wie viele Menschen Burnout-gefährdet sind. Je nachdem, wie niedrig sie hierbei die Schwelle ansetzen, kommen sie aber auf eine riesige Zahl, die vielleicht nicht wirklich realistisch ist.
Wird der Begriff Burnout heutzutage zu inflationär verwendet?
Seidl Ja, auf jeden Fall. Er wird inflationär und auch oft als Selbstzuschreibung verwendet. Patienten sagen von sich selber, dass sie ein Burnout haben, obwohl vielleicht etwas ganz anderes dahinter steckt. Viele meinen damit auch nur, dass sie etwas überfordert oder erschöpft sind.
Woran liegt das?
Seidl Es ist eine einfache Möglichkeit, psychisches Leiden so zu verpacken, dass man gut dasteht. Wenn ich sage, dass ich eine Depression habe, dann ist das immer noch sehr stigmatisiert. Viele assoziieren damit Schwäche. Burnout bedeutet das Gegenteil. Ich habe richtig viel geschafft und deswegen bin ich jetzt ausgebrannt. Es hat ein besseres Image.
An welchen Symptomen äußert sich Burnout bei den Betroffenen?
Seidl Erst einmal an einer starken Erschöpfung. Betroffene können nicht mehr auftanken, selbst ein Urlaub reicht nicht mehr aus. Es ist ein permanentes Angespanntsein. Ganz wichtig ist auch die Haltung zu der Ursache des Burnouts. Man ist tatsächlich enttäuscht und frustriert. Im Arbeitsleben werden die Menschen zynisch und zeigen Anzeichen einer Verbitterung, sprich einer chronischen Form der Enttäuschung. Sie klagen sehr viel über die Umstände und sind bitter darüber, dass es anders gekommen ist, als sie es sich gewünscht hätten.
Im Vergleich zu den anderen Krankheiten, die wir besprechen, klingen die Symptome erst einmal nicht so schlimm. Täuscht das?
Seidl
Aus der Beschreibung mag es zuerst harmlos klingen, aber all das sind ganz lange Prozesse über Jahre hinweg, die ganz massive Veränderungen bei den Personen auslösen. Wenn man lange Leidenschaft für ein Thema hatte und dann nach Jahren tief enttäuscht und ausgebrannt ist, dann ist das sehr dramatisch. Natürlich ist es eine andere Qualität als bei Krankheiten wie Schizophrenie, aber für die Betroffenen sind die Umstände sehr hart. Extreme Enttäuschung und die Erschöpfung darf man nicht unterschätzen. Die schlimmste Folge ist sicherlich, dass die Betroffenen potenziell am Ende keine Lebensqualität mehr haben. Und mit einem Burnout geht auch immer das Risiko einher, dass sich zusätzlich noch eine Depression oder zusätzliche körperliche Krankheiten entwickeln, sei es jetzt Bluthochdruck oder ein Magenleiden.
Worin liegt der Unterschied zu einer Depression?
Seidl Bei der Depression haben sie immer viele verschiedene Faktoren, die zusammenkommen, aber letztlich nie die eine Erklärung für die Krankheit. Sie haben ganz bestimmte Symptome, typischerweise auch sehr biologisch geprägte Symptome wie Kraftlosigkeit oder Appetitlosigkeit. Diese biologischen Symptome sind beim Burnout erst eine Folge der Entwicklung. Burnout ist außerdem besser nachvollziehbar, es hat klare Ursachen. Darüber hinaus entwickelt sich eine Depression nicht über Jahre, sondern schneller als ein Burnout. Der Verlauf bis hinein in die schwere Depression zieht sich üblicherweise über Monate. Auch die Grundsymptomatik
ist natürlich eine andere. Ein Verblassen der Gefühle gibt es beim Burnout nicht unbedingt, da geht es eher um Wut und Angst.
Wann gehen betroffene Personen zum Arzt?
Seidl Meistens gehen diese Personen erst zum Arzt, wenn sich Folgekrankheiten entwickelt haben. Sie haben dann mit körperlichen Krankheiten zu kämpfen oder sind tatsächlich in einen depressiven Zustand gefallen.
Wie sieht die Behandlung aus?
Seidl Ob man von Behandlung sprechen kann, ist in diesem Fall wohl wieder strittig. Es geht vielmehr um Beratung und Coaching. Sie müssen lernen, auch mal zurückzutreten. Manche Leute müssen sich auch gänzlich umorientieren. Vorher wurde sich komplett für den Beruf aufgeopfert, jetzt müssen andere Dinge an diese Stelle treten. Oder ich muss lernen, dem nicht mehr diese Bedeutung zu geben. Gleichzeitig braucht es natürlich auch erhebliche Zeit, um sich zu erholen. Und gerade das ist am Anfang schwierig, weil die Betroffenen nicht in einen Erholungszustand kommen. In die Beruhigung muss erst einmal hineingefunden werden.
Was würden Sie für Tipps geben, um ein Burnout zu vermeiden?
Seidl Man muss achtsam mit sich selbst sein und ein Gespür für sich selbst haben. Die Grenzen der eigenen Belastbarkeit sollte man kennen und sich selbst auch immer wieder kritisch hinterfragen. Wenn ich viel in etwas hineingebe, bekomme ich da auch genug zurück? Das ist eine der großen Gefahren im Gesundheitswesen. Man spricht häufig von einer Art Helfer-Komplex. Die Menschen versuchen anderen Leuten etwas zu geben, bekommen dafür aber selber nichts. Wenn ich merke, dass so was passiert und ich bin enttäuscht, dann muss ich vorsichtig sein. Ausgleich ist auch sehr wichtig. Man darf sich nicht für ein oder zwei Sachen gänzlich aufreiben, sondern muss immer auch noch andere Sachen haben, die Ausgleiche bieten, seien es Hobbys oder soziale Kontakte.
Ist Burnout heute ein größeres Problem als noch vor einigen Jahren?
Seidl Es gibt einen Vortrag von einem Herrn Wilhelm Heinrich Erb, der auf einen Zustand der Überreiztheit aufgrund von technologischen Fortschritten, zunehmender internationaler Vernetztheit und Beschleunigung hinweist. Erb hat diesen Zustand damals Nervosität genannt und hat den Vortrag 1875 gehalten. Burnout ist kein Phänomen der heutigen Zeit. Menschen, die sich überarbeiten, gab es auch früher schon.