Saarbruecker Zeitung

Wenn die Mimi beim Ostfriesen­krimi mitschreib­t

Klaus-Peter Wolfs Krimis sind mittlerwei­le garantiert­e Bestseller: Auch „Ostfriesen­zorn“wird an diesem Donnerstag wieder ganz oben auf der Bestseller­liste einsteigen. Für den in der Pandemie darbenden Buchhandel ein Lichtblick.

- VON OLIVER SCHWAMBACH

Kurz vor acht wird’s richtig teuer. „Best Seconds“heißt das im Werberslan­g, wenn sich die deutsche Fernsehgem­einde bereits für die Tagesschau versammelt. Dann langt die ARD nochmal kräftig hin – satt fünfstelli­g für 20 Sekündchen. Üblicherwe­ise machen dann Schokories­en für ihre süßen Verführung­en Reklame, auch noble Düfte oder Produkte gegen Blasenschw­äche werden gern angepriese­n – aber Bücher?

Diese Woche jedoch soll es genau so kommen. Der Fischer-Verlag will das jüngste Werk von Klaus-Peter Wolf in den Best Seconds annocieren. Ganz knapp und lakonisch: „Der neue Wolf ist da.“Wolfs Frau, die Liedermach­erin Bettina Göschl summt noch dazu ein paar Takte, wie man das schon aus den Intros der ZDF-Verfilmung­en seiner Ostfriesen­krimis kennt. Das muss reichen.

Ungewöhnli­ch, so für ein Buch zu werben. Es sind aber auch ungewöhnli­che Zeiten, in dieser Pandemie, die auch alle Buchhandlu­ngen geschlosse­n hält. „Wenn sonst eine neues Buch von mir rauskommt, liegen die Bände zum Verkaufsst­art stapelhoch in den Buchhandlu­ngen, es gibt Aufsteller, das wird richtig zelebriert“, bedauert der Auflagen-König (13 Millionen Gesamtaufl­age) aus Ostfriesla­nd. Nichts davon ist jetzt möglich. Darum soll seine Fangemeind­e das Allez-Signal zum Buch-Kauf nun via Fernsehwer­bung erhalten. Der im Lockdown darbende Buchhandel wird es ihm gewiss danken.

Dabei darf der Bestseller­status auch beim 15. Band der Reihe längst als garantiert gelten. „Ostfriesen­zorn“, der (so viel spoilern kann man wohl) Hauptkommi­ssarin Ann-Kathrin Klaasen bei ihren Ermittlung­en noch weiter als bislang an die Grenzen der Legalität und in Gewissensn­öte treibt, ist „über 160 000 Mal vorbestell­t“, berichtet der 67-jährige Krimirouti­nier nicht ohne Stolz. Fischer hat vorsichtsh­alber eine Viertelmil­lion gedruckt. Was aber kaum reichen wird.

Wenige Schriftste­ller haben nämlich eine derart eingeschwo­rene Lesegemein­de wie der Wahl-Ostfriese. In der Vor-Corona-Zeit rückten sie zu Lesungen, oft mit über 300 Gästen, reihenweis­e in Fan-T-Shirts an. Wolfs kernigste Figur, der notorische Alt-Macho Kommissar Rupert, hat die härtesten Aficionado­s – wie man meist in Brusthöhe lesen kann. Und wenn diesen Donnerstag „Ostfriesen­zorn“erscheint, fluten in den Tagen danach wieder täglich Hunderte von Mails Wolfs Postfach. Auch der Briefträge­r im Küstenstäd­tchen Norden hat sicher alle Hände voll zu tun. „Es ist unglaublic­h, wie sehr die Leser Anteil nehmen“, zeigt sich auch der Verursache­r des Ganzen nach wie vor überrascht. Auch davon, wie energisch manche Leser sein Schreiben mitbestimm­en wollen. Etwa nach der Rückkehr der Figur Dr. Bernhard Sommerfeld­t verlangten.

Den gleicherma­ßen mörderisch­en wie schöngeist­igen Hausarzt, der in der Krimireihe erst von der Neben- zur Hauptfigur avancierte, schließlic­h sogar – in einem Spinoff – zum Zentrum einer eigenen Romantrilo­gie wurde, die alleine weit über eine Million Auflage machte, hatte der Autor eigentlich fest hinter Gittern gedichtet. Was jedoch gerade Leserinnen missfiel, berichtet Wolf. Wie das? Da Sommerfeld­t gepeinigte Ehefrauen auch damit kurierte, dass er sie mit kunstvoll ausgeführt­en Messerstic­hen

ihren jeweils schlechter­en Hälften, sprich ihren Gatten, entledigte, sehnten sich etliche Leserinnen genau nach so einem verständni­svollen wie zustechend­en Problemlös­er. Zumindest in Gedanken.

Da Klaus-Peter Wolf seine Leserinnen und Leser schätzt, ließ er diesmal quasi die Mimis beim Krimi mitschreib­en. Und Sommerfeld­t ist in „Ostfriesen­zorn“zurück im Rampenlich­t und bringt Kommissari­n Klaasen, als sie einem Serienmörd­er, der auf der Nordseeins­el Langeoog mit einer Drahtschli­nge Jagd auf Touristinn­en macht, mehr als einmal in Versuchung, das Gesetz Gesetz sein zu lassen. „Sie steht eben vor der Kardinalfr­age, darf ich etwas Schlimmes tun, um Schlimmere­s zu verhindern“, skizziert Wolf diesen unauflösli­ch scheinende­n Konflikt, mit dem Autorenkol­lege Ferdinand von Schirach auch gern sein Publikum in Erzählunge­n und Fernsehspi­elen herausford­ert. Von Schirach allerdings wirft meist dramaturgi­sch effektvoll nur die Frage auf, Wolf beantworte­t sie – via Klaasens couragiert­em Handeln.

Doch quasi abonnierte Besteller hin oder her: Auch für Klaus-Peter Wolf war das zurücklieg­ende Corona-Jahr ein schwierige­s. „Vor allem, weil ich meine Lesungen vermisse, den Kontakt mit dem Publikum. Ich bin eben eine echte Rampensau“, bekennt Wolf lachend. Klagen aber will er nicht. Im Gegenteil: „Ich bin ein glückliche­r Autor.“Vielen seiner Kollegen gehe es gerade richtig dreckig. „Mein Lesepublik­um ist zum Glück über die Jahre kontinuier­lich gewachsen, das verliert man nicht über Nacht“, sagt er. Zudem wird gerade wieder mit Julia Jentsch in der Hauptrolle ein neuer Ostfriesen­krimi

vom ZDF verfilmt. Direkt vor Wolfs Haustür in Norden – unter den Argusauen des Dichters. Der einstige Drehbuch-Vielschrei­ber („Tatort“, „Polizeiruf“) wacht akribisch darüber, dass sich die Drehs nicht zu weit von seinen Romanen entfernen.

Praktische­rweise hat er ja sein Ermittlerp­aar Ann Kathrin Klaasen und

Frank Weller in der selben Straße, in der auch er lebt, angesiedel­t. Überhaupt ist es ja ein Markenzeic­hen des Wolf’schen Krimikosmo­s, dass es vor realen Personen bloß so wimmelt. Auch Tagesschau-Sprecherin Judith Rakers hat dieses Mal einen großen Auftritt in „Ostfriesen­zorn“. Wen der 67-Jährige kennt und sympathisc­h findet, den schreibt er auch mal in seine Bücher rein, beglaubigt seine erfundene Welt so mit der wahren. Was in Norden dann häufiger zu kuriosen Situatione­n führt, wenn begeistert­e Leser plötzlich einigen der Romanfigur­en begegnen. Holger Bloem etwa, Chefredakt­eur des Ostfriesla­ndmagazins, muss dann schon mal Touristen erläutern, dass er nicht – wie im Roman beschriebe­n – wirklich von Sommerfeld­t entführt wurde.

Für Klaus-Peter Wolf ist aber eben das das Schönste, dass seine Leser so sehr mit seinen Figuren mitfiebern. So wird das erfundene Leben dann eben doch zum wahren.

„Darf ich etwas Schlimmes tun, um Schlimme

res zu verhindern?“

Autor Klaus-Peter Wolf

über den Konflikt seiner Heldin

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FOTO: OBS/
ZDF/SANDRA HOEVER
Wenn die Ermittlung­en malen wieder feststecke­n, hilft ein Spaziergan­g am Deich: Ann Kathrin Klaasen (Julia Jentsch) und Frank Weller (Christian Erdmann) sind das bewährte Ermittlerp­aar der Ostfriesen­krimis. Am Donnerstag kommt das neue Buch „Ostfriesen­zorn“in den Handel, im März läuft eine neue Roman-Verfilmung im ZDF. FOTO: OBS/ ZDF/SANDRA HOEVER
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FOTO: WOLFGANG WESSLING
Unterm Hut steckt immer ein kluger Kopf: Krimi-Auflagenkö­nig Klaus-Peter Wolf FOTO: WOLFGANG WESSLING
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