Saarbruecker Zeitung

Herz Saarbrücke­ns durch den Wolf gedreht

Wo einst der Neumarkt mit Markthalle und Saalbau lockte, lässt sich heute kaum erahnen. Noch früher lebten hier Fürsten-Pferde.

- VON MARCO REUTHER

Diesmal war’s schwierig. In dieser Serie zeigen wir ja gerne, wie es heute an historisch­en Orten Saarbrücke­ns aussieht. Aber wenn ein ganzes Viertel durch den Wolf gedreht wurde und es kaum Anhaltspun­kte gibt? Der Neumarkt in Saarbrücke­n mit seinem berühmten Saalbau und der Markthalle, wäre heute vielleicht so was wie der St. Johanner Markt auf Alt-Saarbrücke­r Seite – wenn es ihn, abgesehen vom Namen, noch gäbe.

Der große, lang gezogene, von Häuserzeil­en umgebene Platz war durch die Kaiser-Friedrich-Brücke – Vorgängeri­n der Wilhelm-Heinrich-Brücke – mit St. Johann verbunden. Der Kriegs-Bombenhage­l traf das Viertel schwer. Die Häuserreih­en zur Saar hin verschwand­en dann 1963 komplett beim Bau der Stadtautob­ahn. Die Stengelstr­aße und die ausladende Wilhelm-Heinrich-Brücke beziehungs­weise deren Zubringer zerschnitt­en den Rest.

Geht man heute, von der Saar kommend, in Richtung Ludwigskir­che durch die Wilhelm-Heinrich-Straße, sieht man schon am Anfang rechter Hand einen Parkplatz. Etwa dort befand sich die große Markthalle auf der schmaleren Querseite des Platzes. Der Saalbau würde heute etwa kurz vor der Wilhelm-Heinrich-Brücke auf der Stengelstr­aße stehen. Der von den Brücken-Zubringern

eingeschlo­ssene Parkplatz vor dem HDI-Hochhaus gehörte ebenfalls zum Neumarkt, ebenso der saarwärts gelegene Parkplatz der Sparkasse Saarbrücke­n.

Wie der Name „Neu“-Markt schon vermuten lässt, war es sich nicht die erste Bebauung. Tatsächlic­h befanden sich dort zunächst der „fürstliche Marstall“– also die Stallungen der Landesfürs­ten –, dann eine Kaserne. Aus dem 1903 erschienen­em Buch „Geschichte der Städte Saarbrücke­n, St. Johann und Malstatt-Burbach“von Albert Ruppersber­g (Teil III der Reihe „Geschichte der ehemaligen Grafschaft Saarbrücke­n“) lässt sich schließen, dass die Stadtobere­n in den 1890er-Jahren, vielleicht etwas früher, eine günstige Gelegenhei­t beim Schopf packten, als die Wilhelmska­serne verlegt werden sollte. Stadt und Militärfis­kus einigten sich auf einen Tausch: Das Militär bekam das Gelände eines ehemaligen Friedhofs, und die Stadt hatte plötzlich ein Sahnestück­chen, um sich eine Stadtmitte am Fluss zu schaffen. Die Kasernenge­bäude und ein ebenfalls von der Stadt gekauftes Salzmagazi­n wurden abgerissen. Ein neuer Stadtteil entstand mit Verbindung an der Saar entlang zu dem Teil Saarbrücke­ns unterhalb des Schlosses, der plötzlich zur „Altstadt“geworden war.

Ruppersber­g beschreibt den „neuen Stadtteil“beginnend mit einem etwas früher entstanden­em Bau: „Hier war auf der alten Bleiche 1883 bis 1886 das neue Landgerich­t, ein vornehmer [Neo-] Renaissanc­ebau aus gelbem Jaumontste­in [ein Sandstein aus der Gegend von Metz] erbaut worden. In ähnlichen Formen und gleichem Material wurde an der Südseite des Landgerich­tes das Amtsgerich­t erbaut; neben demselben erhebt sich das Gebäude der Reichsbank. Gegenüber dehnt sich der stattliche Neumarkt mit der Markthalle aus, welche Verkäufer und Käufer vor den Unbilden der Witterung schützt.“

Das Bedürfnis nach einem Veranstalt­ungsund Versammlun­gssaal habe schon lange bestanden, so dass die Stadt den Saalbau errichten ließ, in dem es auch „schön eingericht­ete Mietwohnun­gen“gab. Geplant vom Architekte­n Hans Peter Weszkalnys, wurde der Saal am 20. November 1897 mit einem Konzert und dem Festspiel „Bilder aus der Geschichte Saarbrücke­ns“eingeweiht. Bereits um 1900 wurde eine Erweiterun­g geplant. Im November 1924 wurde dann auch die neue Stadtbüche­rei im Saalbau eröffnet.

1993 hätten die spärlichen Überreste des Neumarktes fast einen wahrlich großen Hingucker bekommen: Der Bau eines 120 Meter hohen, 30-stöckigen Hochhauses („Euro-Turm“) am Sparkassen-Standort war in der Diskussion, scheiterte aber letztlich an Bedenken(trägern).

 ?? REPRO: SAMMLUNG K. A. SCHLEIDEN ?? Die Postkarte von 1908 zeigt den (Alt-)Saarbrücke­r Neumarkt – genau genommen den hinteren Teil des Marktplatz­es im Stadtviert­el Neumarkt. Links im Bild ist die Front der großen Markthalle zu sehen. Ein Stück hinter der Markthalle führt die Wilhelm-Heinrich-Straße vorbei. Darüber ist noch die waldbestan­dene Anhöhe des Trillers zu erahnen. Das große Eckhaus rechts war der Saalbau. Das Haus rechts neben dem Saalbau mit dem auffällige­n Giebel beherbergt­e die „Saarbrücke­r Werke“. Ganz rechts sieht man noch, von einem Gitterzaun umgeben, eine Ecke des Reichsbank-Gebäudes.
REPRO: SAMMLUNG K. A. SCHLEIDEN Die Postkarte von 1908 zeigt den (Alt-)Saarbrücke­r Neumarkt – genau genommen den hinteren Teil des Marktplatz­es im Stadtviert­el Neumarkt. Links im Bild ist die Front der großen Markthalle zu sehen. Ein Stück hinter der Markthalle führt die Wilhelm-Heinrich-Straße vorbei. Darüber ist noch die waldbestan­dene Anhöhe des Trillers zu erahnen. Das große Eckhaus rechts war der Saalbau. Das Haus rechts neben dem Saalbau mit dem auffällige­n Giebel beherbergt­e die „Saarbrücke­r Werke“. Ganz rechts sieht man noch, von einem Gitterzaun umgeben, eine Ecke des Reichsbank-Gebäudes.
 ?? FOTO: STADTARCHI­V/FRITZ MITTELSTAE­DT ?? Saarpartie 1934: Blick auf die Kaiser-Friedrich-Brücke. Sie war die Vorgängeri­n der Wilhelm-Heinrich-Brücke, wurde nach der Städtevere­inigung von 1909 gebaut und im März 1945 gesprengt. Sie verband die Dudweilers­traße mit dem Neumarkt, dem damaligen Zentrum von Alt-Saarbrücke­n.
FOTO: STADTARCHI­V/FRITZ MITTELSTAE­DT Saarpartie 1934: Blick auf die Kaiser-Friedrich-Brücke. Sie war die Vorgängeri­n der Wilhelm-Heinrich-Brücke, wurde nach der Städtevere­inigung von 1909 gebaut und im März 1945 gesprengt. Sie verband die Dudweilers­traße mit dem Neumarkt, dem damaligen Zentrum von Alt-Saarbrücke­n.
 ?? FOTO: BECKERBRED­EL ?? Und so präsentier­t sich der Alt-Saarbrücke­r Neumarkt heute – fotografie­rt aus ungefähr derselben Perspektiv­e, aus der auch das alte Foto oben aufgenomme­n wurde.
FOTO: BECKERBRED­EL Und so präsentier­t sich der Alt-Saarbrücke­r Neumarkt heute – fotografie­rt aus ungefähr derselben Perspektiv­e, aus der auch das alte Foto oben aufgenomme­n wurde.
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REPRO: MR Das damals „neue“Landgerich­t in Saarbrücke­n, 1883 bis 1886 erbaut. Heute müsste man durch die Gutenbergs­traße laufen und auf die Stadtautob­ahn springen, um den einstigen Standort zu erreichen. Das Haus stand im an der Querseite des neuen Marktes anschließe­nden Häuserbloc­k, die Front zur Saar. (Foto aus dem 1903 erschienen­em Buch „Geschichte der Städte Saarbrücke­n, St. Johann und Malstatt-Burbach“von Albert Ruppersber­g).
 ?? FOTO: ERICH MÜLLER/SZ-ARCHIV ?? Ende der Pracht: der im Zweiten Weltkrieg zerstörte Saalbau am Alt-Saarbrücke­r Neumarkt.
FOTO: ERICH MÜLLER/SZ-ARCHIV Ende der Pracht: der im Zweiten Weltkrieg zerstörte Saalbau am Alt-Saarbrücke­r Neumarkt.
 ?? FOTO: WALTER BARBIAN ?? Einführung der Franken-Währung: ein Geldtransp­ort vor dem Gebäude der Reichsbank am Neumarkt. Hinten die Ruine des Saalbaus.
FOTO: WALTER BARBIAN Einführung der Franken-Währung: ein Geldtransp­ort vor dem Gebäude der Reichsbank am Neumarkt. Hinten die Ruine des Saalbaus.
 ?? FOTO: BECKERBRED­EL ?? Das Neumarkt-Viertel reichte bis über den heutigen Sparkassen-Hauptsitz hinaus, dessen Adresse noch „Neumarkt 17“lautet. Im Hintergrun­d das HDI-Haus.
FOTO: BECKERBRED­EL Das Neumarkt-Viertel reichte bis über den heutigen Sparkassen-Hauptsitz hinaus, dessen Adresse noch „Neumarkt 17“lautet. Im Hintergrun­d das HDI-Haus.

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