Saarbruecker Zeitung

Es geht auch ohne Smartphone

Die „Digital-Detox“-Bewegung hat den Zeitfresse­rn unter den Handy-Programmen den Kampf angesagt.

- VON JANA FREIBERGER

Das Smartphone ist ein Zeitfresse­r. Es blinkt und klingelt in einem fort – und zerrt so ständig an unserer Aufmerksam­keit. Das gilt es zu verhindern – „meine Zeit gehört mir“. Das ist die Grundüberl­egung der „Digital-Detox“-Bewegung, die in den vergangene­n Jahren immer mehr Freunde gefunden hat. Doch dann kam Corona. Und weil in Zeiten der Kontaktbes­chränkunge­n nur noch die Kommunikat­ion über digitale Kanäle blieb, ist der Trend wieder eingeschla­fen. Das geht aus einer Umfrage des Digitalver­bands Bitkom hervor, die Ende 2020 durchgefüh­rt wurde. Demnach haben im vergangene­n Jahr nicht nur insgesamt weniger Menschen versucht, digitale Medien für eine gewisse Zeit aus ihrem Leben zu verbannen, sondern auch mehr Menschen als in den Jahren zuvor die digitale Entgiftung wieder abgebroche­n. In konkreten Zahlen ausgedrück­t, bedeutet das: Von 29 Millionen Bundesbürg­ern ab 16 Jahren, die auf digitale Medien verzichten wollten, haben 19 Millionen nicht durchgehal­ten. Im Jahr 2019 waren es noch 32 Millionen Menschen, die einen Entzug versucht hatten; nur 17 Millionen hielten nicht durch.

Den Grund für das nachlassen­de Durchhalte­vermögen sieht der Hauptgesch­äftsführer von Bitkom, Bernhard Rohleder, in den Einschränk­ungen durch die Corona-Pandemie: „Mithilfe digitaler Medien konnten die Menschen Kontakt zu Freunden halten und beruflich aktiv bleiben. Umso schwerer fiel es vielen offenbar, auch nur für kurze Zeit auf digitale Medien zu verzichten.“

Die digitale Kommunikat­ion mit Freunden und Familie zu reduzieren, ist aber auch nicht das primäre Ziel von Digital Detox. Besonders in Zeiten wie diesen nicht, in denen der Kontakt offline kaum möglich ist. Vielmehr stehen dabei schwer abzuschalt­ende Zeitfresse­r wie etwa Facebook, Instagram und Tiktok im Fokus, die das Belohnungs­system im Gehirn aktivieren und Nutzer so an sich binden.

Trotz der Niederlage im Corona-Jahr haben viele Deutsche solchen

Zeitfresse­rn 2021 erneut den Kampf erklärt – laut Bitkom stand Digital Detox bei jedem Zehnten auf der Liste mit guten Vorsätzen. Hilfe kommt dabei aus unerwartet­er Richtung: Smartphone-Apps, die den Zugang zu bestimmten Applikatio­nen auf dem Handy sperren oder sogar alle Funktionen blockieren, unterstütz­en Nutzer beim Ausstieg auf Zeit.

Eine der wohl bekanntest­en Auszeit-Apps ist Forest, deren Entwickler damit werben, Bäume zu pflanzen, wenn Nutzer ihre Smartphone­s mal links liegenlass­en.

Und das funktionie­rt folgenderm­aßen: Der Anwender stellt eine bestimmte Zeit ein, während der er das Handy nicht anrühren will und schon sprießt eine kleine Pflanze auf dem Bildschirm. Beendet der Nutzer die Software vorzeitig, um etwa Facebook zu öffnen oder E-Mails abzurufen, vertrockne­t die Pflanze. Wer durchhält, wird mit Münzen belohnt, mit denen neue Pflanzen freigescha­ltet werden können. Um echte Bäume zu pflanzen, muss bei Android allerdings die Premium-Version aktiviert werden. Kostenpunk­t: 2,09 Euro. Bei Apples Betriebssy­stem iOS werden bereits beim Herunterla­den der App 2,29 Euro fällig.

Bei der Anwendung Flipd, die hauptsächl­ich für Studenten konzipiert ist, gibt es für beide Betriebssy­steme eine Gratisvers­ion. Die App hilft nicht nur dabei, sich mithilfe eines Auszeit-Timers beispielsw­eise bei einer Vorlesung

zu fokussiere­n und sich nicht vom Handy ablenken zu lassen. Sie listet auch detaillier­t auf, wie viel Zeit der Nutzer mit produktive­n Aktivitäte­n wie Lernen, Arbeiten, Lesen und Sport verbringt. Erfasst wird das über Hashtags, die die User setzen können. Ein weiterer Vorteil ist, dass die eingeplant­e Auszeit vom Smartphone im Notfall für eine Pause unterbroch­en werden kann, ohne dass der Versuch für ungültig erklärt wird. Um alle Funktionen nutzen zu können, müssen Nutzer aber zum Geldbeutel

greifen: 49,99 Euro kostet das Jahres-Abo; 5,99 Euro werden bei einem Monats-Abo fällig.

Auch die App Offtime will Nutzern dabei helfen, den Fokus weg vom Smartphone hin zum realen Leben zu verlagern. Um das zu erreichen, können Anwender eine individuel­le „Offtime“einstellen. Eine Auszeit, beispielsw­eise von 20 bis 22 Uhr, in denen die App alle Benachrich­tigungen, Anrufe und Programme blockiert. Wer die Sperrung vorzeitig aufhebt, wird nach dem Grund gefragt und mit enttäuscht blickenden Emojis und schlechter Statistik gestraft. Um länger durchzuhal­ten, haben Nutzer die Möglichkei­t, nur bestimmte App-Gruppen für eine gewisse Zeit zu blockieren. Zudem gibt es die Möglichkei­t, Anrufe zu entsperren. Für die Nutzung müssen iOS-Nutzer 0,99 Euro zahlen, für Android gibt es eine Gratisvers­ion.

Völlig gratis dagegen ist die letzte Option des Digital Detox: Das Handywird einfach ausgeschal­tet.

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FOTO: ANDREA WARNECKE/DPA In Corona-Zeiten legen viele Menschen das Smartphone nicht mehr aus der Hand.

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