Wie ein Saarländer den Weg aus dem Burnout sucht
Beruf, Hobbys, soziale Kontakte – ein Saarländer berichtet, wie ihm sein erfülltes Leben zu viel wurde und ihn schließlich komplett lähmte.
AEs ls Timo Conrad (Name von der Redaktion geändert) zum Termin erscheint, ist er erschöpft.
ist die Art von Müdigkeit, die wir wohl alle kennen. Die, die einem nach einem langen Arbeitstag überfällt. Doch Timo Conrad kennt auch die andere Art von Erschöpfung: die totale, unumgängliche, alles vereinnahmende. Oder anders gesagt: Das Burnout-Syndrom. Wer Conrad schon lange kennt, würde ihn wohl als Energiebündel bezeichnen. Engagiert im Beruf, sozial-politisch aktiv. Als kreativer Akteur der lokalen Szene stets präsent und voller Ideen.
Es war im Sommer vor zwei Jahren, erinnert sich Conrad, als dieses scheinbar so perfekte Leben irgendwie aus den Fugen geriet, ihm alles irgendwie über den Kopf wuchs. Es waren Freunde und Bekannte, die als erstes Alarm schlugen: „‚Timo, du musst langsam machen‘, haben die gesagt“. Schon seit 22 Jahren arbeitete Conrad damals als Erzieher, im sechsten Jahr leitete er eine Brennpunkt-Kita. „Wir hatten 55 Familien aus verschiedenen Nationen, einen hohen Flüchtlingsanteil, teilweise schlimme Schicksale“, erinnert er sich. Und für alle fühlte sich Conrad verantwortlich, schließlich mache er seinen Job „aus Überzeugung“, wie er sagt. „Ich habe für einige Familien sehr viel getan“, sagt er.
„Natürlich habe ich auch irgendwann gemerkt, dass ich auf die Bremse treten müsste“, gibt Timo Conrad zu, „stattdessen habe ich immer mehr gemacht, ich wollte das nicht akzeptieren“. Nicht nur auf der Arbeit habe er weitere Projekte übernommen, auch im Privaten habe er sich immer mehr aufgehalst: Sport, Hobbys, Freunde, Theaterspielen am Saarländischen Staatstheater, soziales Engagement. „Ich wollte einen Ausgleich zum Job schaffen“, erklärt Conrad. Doch auch der Ausgleich wurde bald zur Belastung. Tage, an denen Conrad bis zu 14 Stunden unterwegs war, waren irgendwann keine Seltenheit mehr, sondern Normalität.
Bis zum großen Crash sollte es dennoch fast ein ganzes Jahr dauern. Schon in den Sommerferien 2019 habe er sich begonnen „zu überschlagen“, so formuliert es Conrad: „Ich habe viele Dinge angefangen und konnte sie nie fertig machen, auch die Genauigkeit fehlte“. Schon bevor die Kita wieder losging, habe er plötzlich an Bauchschmerzen gelitten, Durchfall gehabt. Am ersten Tag nach den Ferien habe er dann Stunden gebraucht, um ein Dutzend Briefe zu öffnen, erinnert sich Conrad. Schon am nächsten Tag sei es ihm unmöglich geworden, überhaupt irgendwo eine Unterschrift darunterzusetzen. „Ich war wie gelähmt“, erinnert Conrad sich. „Nichts ging mehr – mein Körper hat gesagt: ‚Jetzt ist Schluss‘“.
Dass Conrad sich keine Grippe eingefangen hatte, war für die Ärzte schnell klar. Er wurde aufgrund eines chronischen Erschöpfungssyndroms krankgeschrieben, eine Reha wurde beantragt. Während er auf deren Beginn wartete, sei er in ein tiefes Loch gefallen, erzählt er. „Ich habe vier Wochen keine Rollläden aufgemacht, nur Fernsehen geschaut“, erinnert er sich. „Obwohl ich diese Ruhe gebraucht habe, hatte ich ein schlechtes Gewissen, wollte mir nicht erlauben, krank zu sein, wollte mein Nicht-Funktionieren nicht akzeptieren“. Doch irgendwann begann er in dieser Zeit auch seine Geschichte in den sozialen Medien zu teilen. „Der Zuspruch war wahnsinnig“, betont Timo Conrad, „Es gab so viele Bekannte, die plötzlich damit herausbrachen, dass sie das auch schon durchgemacht haben, dass ich nicht alleine bin“. „Burnout ist glaube ich immer noch ein Tabu-Thema“, ergänzt er.
Neben einem gesunden Umgang mit sich selbst – etwa durch Sport – habe er in der Therapie vor allem auch gemerkt, wie viel Unverarbeitetes es in seinem Leben gab, das er mit der Arbeit versucht habe zu überdecken. „Ich empfehle jedem eine Therapie zu machen, die Angebote und Hilfe anzunehmen“, betont Conrad. Dennoch: „Erst als ich rauskam, hat mein Weg angefangen“, sagt er. Von der leitenden Position hat er sich direkt verabschiedet, sich zurück in den Gruppendienst versetzen lassen. Doch auch dort musste er einsehen, dass „acht Stunden am Tag Dienst am Kind“, wie er sagt, ihn überforderten. „Ich habe gemerkt, wie ich ein Jahr später in dieselbe Falle rein renne“, erklärt Conrad. Um sein Leben wieder in den Griff zu bekommen, hat er deswegen zunächst für ein Jahr auf eine 75-Prozent-Stelle reduziert. Auch Wechselschichten hat er keine mehr, eine feste tägliche Routine, am Theater will er nur noch in einer Produktion pro Saison mitwirken.
Räumlich musste er sich aufgrund dieser Entscheidungen verkleinern. „Die finanzielle Frage ist glaube ich für viele Burnout-Patienten schwierig“, gibt Conrad zu. „Entweder hat man mehr Geld, hält durch und wird vielleicht irgendwann wieder krank oder man hat weniger Geld und dafür mehr Lebensqualität“.
In die Zukunft kann Timo Conrad jetzt mit Zuversicht blicken, er begreift sich gerade in seinem „Leben im totalen Wandel“: „Mein ganzes Leben wird sich jetzt ändern, sowohl finanziell als auch privat. Ich kann nicht mehr für alle da sein, für einen Partner ist aktuell erst recht kein Platz“, sagt er, „aber endlich sind die Weichen gestellt, um mich aus dem Burnout raus zu kämpfen“.