Saarbruecker Zeitung

Wie ein Saarländer den Weg aus dem Burnout sucht

Beruf, Hobbys, soziale Kontakte – ein Saarländer berichtet, wie ihm sein erfülltes Leben zu viel wurde und ihn schließlic­h komplett lähmte.

- VON ISABELL SCHIRRA

AEs ls Timo Conrad (Name von der Redaktion geändert) zum Termin erscheint, ist er erschöpft.

ist die Art von Müdigkeit, die wir wohl alle kennen. Die, die einem nach einem langen Arbeitstag überfällt. Doch Timo Conrad kennt auch die andere Art von Erschöpfun­g: die totale, unumgängli­che, alles vereinnahm­ende. Oder anders gesagt: Das Burnout-Syndrom. Wer Conrad schon lange kennt, würde ihn wohl als Energiebün­del bezeichnen. Engagiert im Beruf, sozial-politisch aktiv. Als kreativer Akteur der lokalen Szene stets präsent und voller Ideen.

Es war im Sommer vor zwei Jahren, erinnert sich Conrad, als dieses scheinbar so perfekte Leben irgendwie aus den Fugen geriet, ihm alles irgendwie über den Kopf wuchs. Es waren Freunde und Bekannte, die als erstes Alarm schlugen: „‚Timo, du musst langsam machen‘, haben die gesagt“. Schon seit 22 Jahren arbeitete Conrad damals als Erzieher, im sechsten Jahr leitete er eine Brennpunkt-Kita. „Wir hatten 55 Familien aus verschiede­nen Nationen, einen hohen Flüchtling­santeil, teilweise schlimme Schicksale“, erinnert er sich. Und für alle fühlte sich Conrad verantwort­lich, schließlic­h mache er seinen Job „aus Überzeugun­g“, wie er sagt. „Ich habe für einige Familien sehr viel getan“, sagt er.

„Natürlich habe ich auch irgendwann gemerkt, dass ich auf die Bremse treten müsste“, gibt Timo Conrad zu, „stattdesse­n habe ich immer mehr gemacht, ich wollte das nicht akzeptiere­n“. Nicht nur auf der Arbeit habe er weitere Projekte übernommen, auch im Privaten habe er sich immer mehr aufgehalst: Sport, Hobbys, Freunde, Theaterspi­elen am Saarländis­chen Staatsthea­ter, soziales Engagement. „Ich wollte einen Ausgleich zum Job schaffen“, erklärt Conrad. Doch auch der Ausgleich wurde bald zur Belastung. Tage, an denen Conrad bis zu 14 Stunden unterwegs war, waren irgendwann keine Seltenheit mehr, sondern Normalität.

Bis zum großen Crash sollte es dennoch fast ein ganzes Jahr dauern. Schon in den Sommerferi­en 2019 habe er sich begonnen „zu überschlag­en“, so formuliert es Conrad: „Ich habe viele Dinge angefangen und konnte sie nie fertig machen, auch die Genauigkei­t fehlte“. Schon bevor die Kita wieder losging, habe er plötzlich an Bauchschme­rzen gelitten, Durchfall gehabt. Am ersten Tag nach den Ferien habe er dann Stunden gebraucht, um ein Dutzend Briefe zu öffnen, erinnert sich Conrad. Schon am nächsten Tag sei es ihm unmöglich geworden, überhaupt irgendwo eine Unterschri­ft darunterzu­setzen. „Ich war wie gelähmt“, erinnert Conrad sich. „Nichts ging mehr – mein Körper hat gesagt: ‚Jetzt ist Schluss‘“.

Dass Conrad sich keine Grippe eingefange­n hatte, war für die Ärzte schnell klar. Er wurde aufgrund eines chronische­n Erschöpfun­gssyndroms krankgesch­rieben, eine Reha wurde beantragt. Während er auf deren Beginn wartete, sei er in ein tiefes Loch gefallen, erzählt er. „Ich habe vier Wochen keine Rollläden aufgemacht, nur Fernsehen geschaut“, erinnert er sich. „Obwohl ich diese Ruhe gebraucht habe, hatte ich ein schlechtes Gewissen, wollte mir nicht erlauben, krank zu sein, wollte mein Nicht-Funktionie­ren nicht akzeptiere­n“. Doch irgendwann begann er in dieser Zeit auch seine Geschichte in den sozialen Medien zu teilen. „Der Zuspruch war wahnsinnig“, betont Timo Conrad, „Es gab so viele Bekannte, die plötzlich damit herausbrac­hen, dass sie das auch schon durchgemac­ht haben, dass ich nicht alleine bin“. „Burnout ist glaube ich immer noch ein Tabu-Thema“, ergänzt er.

Neben einem gesunden Umgang mit sich selbst – etwa durch Sport – habe er in der Therapie vor allem auch gemerkt, wie viel Unverarbei­tetes es in seinem Leben gab, das er mit der Arbeit versucht habe zu überdecken. „Ich empfehle jedem eine Therapie zu machen, die Angebote und Hilfe anzunehmen“, betont Conrad. Dennoch: „Erst als ich rauskam, hat mein Weg angefangen“, sagt er. Von der leitenden Position hat er sich direkt verabschie­det, sich zurück in den Gruppendie­nst versetzen lassen. Doch auch dort musste er einsehen, dass „acht Stunden am Tag Dienst am Kind“, wie er sagt, ihn überforder­ten. „Ich habe gemerkt, wie ich ein Jahr später in dieselbe Falle rein renne“, erklärt Conrad. Um sein Leben wieder in den Griff zu bekommen, hat er deswegen zunächst für ein Jahr auf eine 75-Prozent-Stelle reduziert. Auch Wechselsch­ichten hat er keine mehr, eine feste tägliche Routine, am Theater will er nur noch in einer Produktion pro Saison mitwirken.

Räumlich musste er sich aufgrund dieser Entscheidu­ngen verkleiner­n. „Die finanziell­e Frage ist glaube ich für viele Burnout-Patienten schwierig“, gibt Conrad zu. „Entweder hat man mehr Geld, hält durch und wird vielleicht irgendwann wieder krank oder man hat weniger Geld und dafür mehr Lebensqual­ität“.

In die Zukunft kann Timo Conrad jetzt mit Zuversicht blicken, er begreift sich gerade in seinem „Leben im totalen Wandel“: „Mein ganzes Leben wird sich jetzt ändern, sowohl finanziell als auch privat. Ich kann nicht mehr für alle da sein, für einen Partner ist aktuell erst recht kein Platz“, sagt er, „aber endlich sind die Weichen gestellt, um mich aus dem Burnout raus zu kämpfen“.

 ??  ?? Psychische Krankheite­n können unbegreifl­ich und unzugängli­ch sein – genau wie die Natur um uns herum. Die Fotos der Serie zeigen wirre Naturgebil­de und den Versuch, die Krankheite­n bildhaft darzustell­en.
FOTO: ROBBY LORENZ
Psychische Krankheite­n können unbegreifl­ich und unzugängli­ch sein – genau wie die Natur um uns herum. Die Fotos der Serie zeigen wirre Naturgebil­de und den Versuch, die Krankheite­n bildhaft darzustell­en. FOTO: ROBBY LORENZ

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