Kritik an Zustand der Saarbrücker Gedenkstätte
Im GestapoGefängnis an der Neuen Bremm folterten die Nazis Hunderte Menschen zu Tode, vor den Augen der Saarbrücker. Wieso findet dieser Ort heute so wenig Beachtung?
Im Gestapo-Gefängnis an der Neuen Bremm folterten die Nazis Hunderte Menschen zu Tode, vor den Augen der Saarbrücker. Wieso findet dieser Ort heute so wenig Beachtung?
Auspuffgestank, vorbeifahrende Autos. Zwei stillgelegte, zugemüllte Fußgängerunterführungen.
An deren Geländer hängen Werbeplakate für ein Bordell. Menschen sieht man hier nur selten außerhalb ihrer Autos. Ohne den Straßenlärm wäre es bedrückend still. Die Neue Bremm in Saarbrücken ist ein Ort, den die Meisten nur vom Vorbeifahren kennen. Eine lange graue Mauer, auf der die blauen Schriftzüge: „HOSTAL HOSTILE HOTEL HOSTAGE GOSTIN HOSTEL HOSTIL HOST“stehen. Einige Buchstaben fehlen, wirken als wären sie abgefallen. Die Worte spielen mit den Begriffen Gastfreundschaft und Feind, in verschiedenen Sprachen. „Keiner versteht das ohne Erklärung. Alle denken, das ist Reklame vom Hotel“, sagt Alexandru Damir . Er betreibt das Restaurant „La Mamma“auf der anderen Straßenseite. Er weiß, was es damit auf sich hat, weil er schon 15 Jahre hier arbeitet. Die Worte markieren den Rand der Gedenkstätte des ehemaligen erweiterten Polizeigefängnisses der Nazis.
Vor mehr als 76 Jahren Stacheldrahtzaun, statt der Mauer, dahinter Baracken. Peitschenhiebe, Todesschreie. Ein Löschteich, in dem die Gestapo ihre Häftlinge ertränkt. Rechts das Frauenlager, links das der Männer. Der Alstinger Weg trennt beide. Ein Weg, auf dem die Saarbrücker gerne zu den Spicherer Höhen spazieren. Durch ein Fernglas können sie von dort aus beobachten, wie die Wärter die Gefangenen foltern und töten. „Lagersport“. Das geht aus den Forschungen des Historikers Rainer Hudemann und seiner Mitarbeiterin Elisabeth Thalhofer hervor. Es sei „schwer nachvollziehbar, dass die Saarbrücker nichts von den Todesqualen mitbekommen haben“, meint Hudemann. Er ist auch der Erste, der 1999 Einblicke in die Aufzeichnungen zum Gestapo-Gefängnis Neue Bremm bekommt. Diese lagern im französischen Staatsarchiv in Paris. Und beinhalten die Aufzeichnungen der Raststatter Prozesse zu den Kriegsverbrechen der Nazis in der späteren französischen Besatzungszone. So konnten die Wissenschaftler durch die Aussagen von ehemaligen Häftlingen, während der Verhandlung, Erkenntnisse über die besondere Grausamkeit des Lagers gewinnen.
„Buchenwald war ein Paradies im Vergleich zur Neuen Bremm“, erzählt der Zeitzeuge Charles Cliquet damals vor dem Generaltribunal. Die Auswertungen von Thalhofer und Hudemann beinhalten einige solcher Aussagen. „Damit sollten die KZ nicht verharmlost werden. Die Zeugen wollten damit die Grausamkeiten dieser kleinen, unbekannteren Gefängnisse verdeutlichen“, vermutet Hudemann. Heute steht auf dem ehemaligen Frauenlager das Mercure Hotel, das 1975 (damals noch als Novotel) erbaut wird. Die Stadt Saarbrücken gibt damals das Gelände frei, weiß Burkhard Jellonnek, Leiter des saarländischen Landesinstituts für Pädagogik und Medien: „Da waren wirtschaftliche Interessen einfach wichtiger.“Ungefähr dort, wo der Löschteich im Frauenlager war, befindet sich heute der Hotelswimming-Pool. Auf makabere Art erinnert der zackige Holzzaun um den Pool herum an den Stacheldraht.
„Das wurde nur so gebaut, damit niemand hineinfallen kann, wenn kein Wasser im Pool ist“, erklärt Sven Keil, Manager des Mercure Hotels. Er gibt sich Mühe, zu informieren. Mit Flyern und Schildern zur Gedenkstätte in der Lobby: „Unsere Gäste wissen aber meistens nichts von der Existenz des Denkmals“.
Die Gestapo foltert in der „Hölle von Saarbrücken“1943 und 1944 bis zu 20 000 Regime-Gegner und Ausländer. Schätzungsweise 500 von ihnen sterben qualvoll. Der Löschteich im Männerlager ist heute in Beton gegossen. Dafür hat die VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten) gesorgt. Zu NS-Zeiten treiben die Wärter die Lager-Insassen oft stundenlang im „Entengang“um ihn herum, peitschen sie aus, schlagen sie. Bis zur Bewusstlosigkeit oder zum Tod. Eine kleine steinerne Gedenktafel mit französischer Inschrift erinnert daran. 1985 brachte die VVN eine deutschsprachige Ergänzungs-Tafel an. „Das Denkmal war nie ein deutsches. Ein Zeichen für die Verdrängungskultur, die sich bis in die 80er Jahre zog. Man wollte einfach nichts davon wissen“, erklärt Jellonnek. Bis er 1998 die Initiative Neue Bremm gründet, das Thema in die Öffentlichkeit rückt und „plötzlich auch Politiker Interesse daran finden“.
Wo die Franzosen 1947 die Einweihung des trapezförmigen Gedenk-Platzes festlich inszenieren, wollen die Menschen heute nur schnell Richtung Frankreich fahren. Er reicht damals bis zum 30 Meter hohen weißen Mahnmal, dem „Mast“. Dass dieser „bajonettförmig“sei, ist reine Spekulation. Sie könnte aus der ablehnenden Wahrnehmung der Gedenkstätte, als „französische Siegerstätte“hervorgegangen sein. Französische Interpretationen deuten ihn eher als „Wegweiser“oder „Monument“, schreibt Thalhofer. Der Straßen-Ausbau in den 60er Jahren lässt den Trapez-Platz schließlich völlig verschwinden. Nun steht der Mast „verloren“auf der anderen Straßenseite. Direkt vor dem Restaurant „La Mamma“. „Das erste Mal seit zehn Jahren wurde dieser Mast neulich gereinigt“, beklagt Alexandru Damir. Was der schornsteinartige Obelisk bedeutet, weiß er nur vom Hausbesitzer: „Die Foltergeräusche und Todesschreie waren bis nach Frankreich zu hören, hat mir der Eigentümer erzählt.“
2004 gestalten die drei Architekten Roland Poppensieker, Nils Ballhausen und Johann Schulze-Icking das Denkmal neu. Teil davon ist auch eine leer erscheinende, überdimensionale, graue Beton-Tafel neben dem Eingang. Erst auf den zweiten oder dritten Blick erkennt man ein Foto. Eine Frau mit Kind auf dem Rücken liegt lachend vor dem Gestapo-Lager in der Wiese. Idylle neben Folter. Alltag in der Nazi-Zeit, meint Jellonnek. „Besser wäre ein auffälliges Schild, bei dem man wirklich erkennt, dass es ein Denkmal ist“, meint ein weiterer Denkmal-Nachbar. Mehmet Öztürk betreibt den „Goldenen Grill“schräg gegenüber. Er bedauert, dass das Denkmal in so einer „verwahrlosten Umgebung“steht. „Es ist ein sehr trauriger Teil der deutschen Geschichte. Trotzdem gehört er dazu. Und es ist wichtig daran zu erinnern.“Auf der Innenseite der ebenfalls grauen Mauer sind Plaketten angebracht. Sie sind bedruckt mit der Lager-Geschichte. „Das Gefängnis wurde damals von der Saarbrücker Gestapo-Stelle befehligt, nicht von der straff organisierten Verwaltung der SS in Berlin, so wie es in den KZs der Fall war. Die Wärter hatten hier praktisch freie Hand. Ein noch viel unkontrollierterer Terror“, erklärt Hudemann. Von den vielen vorbeifahrenden Menschen ahnen wohl die Wenigsten etwas davon. Der Verkehr hier ist unangenehm laut. Doch sicher nicht so durchdringend wie die Todesschreie vor 76 Jahren.
„Man wollte einfach nichts davon wissen.“
Burkhard Jellonnek
Leiter der Initiative Neue Bremm
„Schwer nachvollziehbar, dass die Saarbrücker nichts von den Todesqualen mitbekommen haben.“
Professor Rainer Hudemann
Historiker