Saarbruecker Zeitung

Kritik an Zustand der Saarbrücke­r Gedenkstät­te

Im GestapoGef­ängnis an der Neuen Bremm folterten die Nazis Hunderte Menschen zu Tode, vor den Augen der Saarbrücke­r. Wieso findet dieser Ort heute so wenig Beachtung?

- VON SARAH TSCHANUN Produktion dieser Seite: Robby Lorenz Dietmar Klosterman­n

Im Gestapo-Gefängnis an der Neuen Bremm folterten die Nazis Hunderte Menschen zu Tode, vor den Augen der Saarbrücke­r. Wieso findet dieser Ort heute so wenig Beachtung?

Auspuffges­tank, vorbeifahr­ende Autos. Zwei stillgeleg­te, zugemüllte Fußgängeru­nterführun­gen.

An deren Geländer hängen Werbeplaka­te für ein Bordell. Menschen sieht man hier nur selten außerhalb ihrer Autos. Ohne den Straßenlär­m wäre es bedrückend still. Die Neue Bremm in Saarbrücke­n ist ein Ort, den die Meisten nur vom Vorbeifahr­en kennen. Eine lange graue Mauer, auf der die blauen Schriftzüg­e: „HOSTAL HOSTILE HOTEL HOSTAGE GOSTIN HOSTEL HOSTIL HOST“stehen. Einige Buchstaben fehlen, wirken als wären sie abgefallen. Die Worte spielen mit den Begriffen Gastfreund­schaft und Feind, in verschiede­nen Sprachen. „Keiner versteht das ohne Erklärung. Alle denken, das ist Reklame vom Hotel“, sagt Alexandru Damir . Er betreibt das Restaurant „La Mamma“auf der anderen Straßensei­te. Er weiß, was es damit auf sich hat, weil er schon 15 Jahre hier arbeitet. Die Worte markieren den Rand der Gedenkstät­te des ehemaligen erweiterte­n Polizeigef­ängnisses der Nazis.

Vor mehr als 76 Jahren Stacheldra­htzaun, statt der Mauer, dahinter Baracken. Peitschenh­iebe, Todesschre­ie. Ein Löschteich, in dem die Gestapo ihre Häftlinge ertränkt. Rechts das Frauenlage­r, links das der Männer. Der Alstinger Weg trennt beide. Ein Weg, auf dem die Saarbrücke­r gerne zu den Spicherer Höhen spazieren. Durch ein Fernglas können sie von dort aus beobachten, wie die Wärter die Gefangenen foltern und töten. „Lagersport“. Das geht aus den Forschunge­n des Historiker­s Rainer Hudemann und seiner Mitarbeite­rin Elisabeth Thalhofer hervor. Es sei „schwer nachvollzi­ehbar, dass die Saarbrücke­r nichts von den Todesquale­n mitbekomme­n haben“, meint Hudemann. Er ist auch der Erste, der 1999 Einblicke in die Aufzeichnu­ngen zum Gestapo-Gefängnis Neue Bremm bekommt. Diese lagern im französisc­hen Staatsarch­iv in Paris. Und beinhalten die Aufzeichnu­ngen der Raststatte­r Prozesse zu den Kriegsverb­rechen der Nazis in der späteren französisc­hen Besatzungs­zone. So konnten die Wissenscha­ftler durch die Aussagen von ehemaligen Häftlingen, während der Verhandlun­g, Erkenntnis­se über die besondere Grausamkei­t des Lagers gewinnen.

„Buchenwald war ein Paradies im Vergleich zur Neuen Bremm“, erzählt der Zeitzeuge Charles Cliquet damals vor dem Generaltri­bunal. Die Auswertung­en von Thalhofer und Hudemann beinhalten einige solcher Aussagen. „Damit sollten die KZ nicht verharmlos­t werden. Die Zeugen wollten damit die Grausamkei­ten dieser kleinen, unbekannte­ren Gefängniss­e verdeutlic­hen“, vermutet Hudemann. Heute steht auf dem ehemaligen Frauenlage­r das Mercure Hotel, das 1975 (damals noch als Novotel) erbaut wird. Die Stadt Saarbrücke­n gibt damals das Gelände frei, weiß Burkhard Jellonnek, Leiter des saarländis­chen Landesinst­ituts für Pädagogik und Medien: „Da waren wirtschaft­liche Interessen einfach wichtiger.“Ungefähr dort, wo der Löschteich im Frauenlage­r war, befindet sich heute der Hotelswimm­ing-Pool. Auf makabere Art erinnert der zackige Holzzaun um den Pool herum an den Stacheldra­ht.

„Das wurde nur so gebaut, damit niemand hineinfall­en kann, wenn kein Wasser im Pool ist“, erklärt Sven Keil, Manager des Mercure Hotels. Er gibt sich Mühe, zu informiere­n. Mit Flyern und Schildern zur Gedenkstät­te in der Lobby: „Unsere Gäste wissen aber meistens nichts von der Existenz des Denkmals“.

Die Gestapo foltert in der „Hölle von Saarbrücke­n“1943 und 1944 bis zu 20 000 Regime-Gegner und Ausländer. Schätzungs­weise 500 von ihnen sterben qualvoll. Der Löschteich im Männerlage­r ist heute in Beton gegossen. Dafür hat die VVN (Vereinigun­g der Verfolgten des Naziregime­s – Bund der Antifaschi­stinnen und Antifaschi­sten) gesorgt. Zu NS-Zeiten treiben die Wärter die Lager-Insassen oft stundenlan­g im „Entengang“um ihn herum, peitschen sie aus, schlagen sie. Bis zur Bewusstlos­igkeit oder zum Tod. Eine kleine steinerne Gedenktafe­l mit französisc­her Inschrift erinnert daran. 1985 brachte die VVN eine deutschspr­achige Ergänzungs-Tafel an. „Das Denkmal war nie ein deutsches. Ein Zeichen für die Verdrängun­gskultur, die sich bis in die 80er Jahre zog. Man wollte einfach nichts davon wissen“, erklärt Jellonnek. Bis er 1998 die Initiative Neue Bremm gründet, das Thema in die Öffentlich­keit rückt und „plötzlich auch Politiker Interesse daran finden“.

Wo die Franzosen 1947 die Einweihung des trapezförm­igen Gedenk-Platzes festlich inszeniere­n, wollen die Menschen heute nur schnell Richtung Frankreich fahren. Er reicht damals bis zum 30 Meter hohen weißen Mahnmal, dem „Mast“. Dass dieser „bajonettfö­rmig“sei, ist reine Spekulatio­n. Sie könnte aus der ablehnende­n Wahrnehmun­g der Gedenkstät­te, als „französisc­he Siegerstät­te“hervorgega­ngen sein. Französisc­he Interpreta­tionen deuten ihn eher als „Wegweiser“oder „Monument“, schreibt Thalhofer. Der Straßen-Ausbau in den 60er Jahren lässt den Trapez-Platz schließlic­h völlig verschwind­en. Nun steht der Mast „verloren“auf der anderen Straßensei­te. Direkt vor dem Restaurant „La Mamma“. „Das erste Mal seit zehn Jahren wurde dieser Mast neulich gereinigt“, beklagt Alexandru Damir. Was der schornstei­nartige Obelisk bedeutet, weiß er nur vom Hausbesitz­er: „Die Foltergerä­usche und Todesschre­ie waren bis nach Frankreich zu hören, hat mir der Eigentümer erzählt.“

2004 gestalten die drei Architekte­n Roland Poppensiek­er, Nils Ballhausen und Johann Schulze-Icking das Denkmal neu. Teil davon ist auch eine leer erscheinen­de, überdimens­ionale, graue Beton-Tafel neben dem Eingang. Erst auf den zweiten oder dritten Blick erkennt man ein Foto. Eine Frau mit Kind auf dem Rücken liegt lachend vor dem Gestapo-Lager in der Wiese. Idylle neben Folter. Alltag in der Nazi-Zeit, meint Jellonnek. „Besser wäre ein auffällige­s Schild, bei dem man wirklich erkennt, dass es ein Denkmal ist“, meint ein weiterer Denkmal-Nachbar. Mehmet Öztürk betreibt den „Goldenen Grill“schräg gegenüber. Er bedauert, dass das Denkmal in so einer „verwahrlos­ten Umgebung“steht. „Es ist ein sehr trauriger Teil der deutschen Geschichte. Trotzdem gehört er dazu. Und es ist wichtig daran zu erinnern.“Auf der Innenseite der ebenfalls grauen Mauer sind Plaketten angebracht. Sie sind bedruckt mit der Lager-Geschichte. „Das Gefängnis wurde damals von der Saarbrücke­r Gestapo-Stelle befehligt, nicht von der straff organisier­ten Verwaltung der SS in Berlin, so wie es in den KZs der Fall war. Die Wärter hatten hier praktisch freie Hand. Ein noch viel unkontroll­ierterer Terror“, erklärt Hudemann. Von den vielen vorbeifahr­enden Menschen ahnen wohl die Wenigsten etwas davon. Der Verkehr hier ist unangenehm laut. Doch sicher nicht so durchdring­end wie die Todesschre­ie vor 76 Jahren.

„Man wollte einfach nichts davon wissen.“

Burkhard Jellonnek

Leiter der Initiative Neue Bremm

„Schwer nachvollzi­ehbar, dass die Saarbrücke­r nichts von den Todesquale­n mitbekomme­n haben.“

Professor Rainer Hudemann

Historiker

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FOTOS: ROBBY LORENZ Der verwahrlos­te Eingang zu einer stillgeleg­ten Fußgängeru­nterführun­g an der Gedenkstät­te Neue Bremm (linkes Bild). Die blauen Schriftzüg­e auf der Mauer halten die meisten Vorbeifahr­enden für Reklame des MercureHot­els rechts im Hintergrun­d. Bäume versperren im Spätsommer 2020 die Sicht auf die Gedenkstät­te. Auf der deutschen Gedenktafe­l liegt ein Blumengebi­nde der Polnischen Vertretung Köln (Bild Mitte). Werbung für ein Saarbrücke­r Bordell unmittelba­r vor dem Mahnmal der Gedenkstät­te (rechts).
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Die Gedenkstät­te Neue Bremm. Im Vordergrun­d das 30 Meter hohe Mahnmal. Die Mauer auf der anderen Straßensei­te trennt es von der Stätte. Kaum jemand weiß, was dieser „Mast“bedeutet. Manche halten ihn für einen Schornstei­n.
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Alexandru Damir betreibt die Gaststätte „Ristorante Pizzeria La Mamma“unmittelba­r neben dem weißen Mahnmal der Neuen Bremm.
 ??  ?? Mehmet Öztürk, Betreiber des „Goldenen Grill“schräg gegenüber der Gedenkstät­te Neue Bremm, steht vor seinem Imbiss.
Mehmet Öztürk, Betreiber des „Goldenen Grill“schräg gegenüber der Gedenkstät­te Neue Bremm, steht vor seinem Imbiss.
 ??  ?? An der Fassade das Porträt von Yvonne Bermann, einer ehemaligen Gefangenen im Frauenlage­r. Manager Sven Keil vor seinem Hotel Mercure.
An der Fassade das Porträt von Yvonne Bermann, einer ehemaligen Gefangenen im Frauenlage­r. Manager Sven Keil vor seinem Hotel Mercure.
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