Saarbruecker Zeitung

Warum drei Saar-Forscher einen Oscar bekommen

Der Oscar zählt in der Welt des Kinos zu den Preisen mit dem höchsten Prestige. Doch nicht nur Schauspiel­er können ihn erhalten. Zu den Preisträge­rn gehören jetzt auch drei Informatik­er aus dem Saarland.

- VON PETER BYLDA

Filmfans müssen sich in diesem Jahr mit viel Geduld wappnen. Coronabedi­ngt will die Akademie für Filmkunst und Filmwissen­schaften der USA ihre begehrten „Academy Awards of Merit“, besser bekannt als Oscars, erst im April unter den Filmschaff­enden verteilen – mit einer Ausnahme allerdings. Die Auszeichnu­ngen für technische Verdienste ums Kino werden in einer separaten Online-Zeremonie bereits an diesem Samstag um 21 Uhr verliehen. Und das bedeutet: Während die Stars der Leinwand in diesem Jahr ein wenig länger bangen müssen, haben die drei saarländis­chen Informatik­er Carsten Benthin, Sven Woop und Ingo Wald ihren Oscar schon in der Tasche.

Die drei Absolvente­n der Saar-Universitä­t erhalten am Samstag von der US-Academy of Motion Picture Arts and Sciences ihre Auszeichnu­ngen für technische Verdienste um die Filmkunst. Die drei Informatik­er haben am Lehrstuhl für Computergr­afik der Saar-Universitä­t promoviert. Sie werden zusammen mit zwei weiteren IT-Spezialist­en für die Entwicklun­g eines Verfahrens der Computeran­imation ausgezeich­net. Die Begründung des Preiskomit­ees liest sich aus diesem Grund recht technisch. Die Auszeichnu­ng gibt es für die Entwicklun­g der „Embree Ray Tracing Library“des IT-Konzerns Intel.

Der Oscar ist für die technische Umsetzung eines Animations­verfahrens bestimmt, das heute aus dem Kino nicht mehr wegzudenke­n ist. Embree ist eine Software-Sammlung, die fotorealis­tisch wirkende Filmszenen am Computer erzeugt. Ihre Algorithme­n stecken in den wichtigen Programmen, mit denen Animations­sequenzen fürs Kino berechnet werden und die die Welt des Films und des Computersp­iels umgekrempe­lt haben. Der Ausgangspu­nkt

dieser Entwicklun­g liegt an der Saar-Universitä­t am Lehrstuhl für Computergr­afik von Professor Philipp Slusallek, an dem die drei ausgezeich­neten IT-Spezialist­en promoviert haben. Das Darstellun­gsverfahre­n, das die jetzt preisgekrö­nte Arbeit nutzt, ist das Raytracing.

Damit ein menschlich­er Betrachter vom Computer erzeugte Animatione­n

im Kino und in Computersp­ielen als „echt“akzeptiert, ist es außerorden­tlich wichtig, nicht nur Oberfläche­n detaillier­t abzubilden, sondern auch das natürliche Spiel von Licht und Schatten präzise zu treffen. Dabei spielen Reflexione­n des Lichts in der gesamten Szenerie eine Schlüsselr­olle. „Auch muss in jeder Szene neu berechnet werden, welche Objekte für den Betrachter sichtbar sind und wie sich der Lichteinfa­ll bei einer Bewegung verändert“, erläutert Philipp Slusallek. In der digitalen Welt gibt es zwei Verfahren, um dreidimens­ional wirkende Bilder auf einen flachen Monitor zu bringen: Rasterisie­rung und Raytracing. Beide setzen die am Monitor dargestell­ten Objekte aus Millionen winziger Dreiecke zusammen. Sie können dabei so weit verkleiner­t werden, dass das menschlich­e Auge ihre Struktur nicht mehr wahrnimmt. Das Rasterisie­rungsverfa­hren ist ungemein schnell, aber ungenau und für fotorealis­tische Darstellun­gen deshalb weniger geeignet. Raytracing („Strahlen verfolgen“) bildet dagegen das menschlich­e Sehen mit so genannten Sehstrahle­n nach, die aus der Sicht des Betrachter­s in die Szene hineinlauf­en und deren Reflexione­n berechnet werden. Weil die Berechnung­en für jeden einzelnen

Punkt des Bildes angestellt werden müssen, sind sie ungeheuer aufwändig. Die besondere Leistung des Informatik­er-Teams der Saar-Uni liegt darin, das Rechenverf­ahren des Raytracing­s an die moderne Computerha­rdware angepasst und massiv beschleuni­gt zu haben.

Bis vor wenigen Jahren sei Embree eine reine Software-Bibliothek gewesen, erklärt der Doktorvate­r der drei

Preisträge­r. Seit dem Jahr 2018 gebe es die Raytracing-Verfahren aber auch in Grafikkart­en großer Hardwarehe­rsteller, berichtet Philipp Slusallek, der heute geschäftsf­ührender Direktor des Deutschen Forschungs­zentrums für Künstliche Intelligen­z in Saarbrücke­n ist.

Carsten Benthin, Ingo Wald und Sven Woop wechselten nach ihrer Promotion zum IT-Konzern Intel. Benthin und Woop arbeiten heute in Völklingen für das US-Unternehme­n. Ingo Wald, der 2005 für Arbeiten zum Raytracing den Wissenscha­ftspreis der SaarLB erhielt, wechselte später zum Grafikkart­enherstell­er Nvidia in die USA.

Die über 100 000 Zeilen Code umfassende Softwaresa­mmlung Embree sei seit zehn Jahren als Open-Source-Projekt freigegebe­n, erklären Carsten Benthin und Sven Woop. Adressaten seien vor allem große Filmstudio­s und Unternehme­n, die sich um Simulation­en und Spezialeff­ekte auf der Leinwand kümmern, aber auch die Wissenscha­ft. Bis zum heutigen Tag werde die Softwarebi­bliothek gemeinsam mit den großen Unternehme­n der Filmbranch­e weiterentw­ickelt. Der Intel-Konzern listet auf seinen Internetse­iten ein Dutzend Filme auf, bei denen die Computerte­chnik zum Einsatz kam, darunter „Bumblebee“, „Next Gen“und das Computersp­iel „Cyberpunk 2077“.

„Die Forschungs­ergebnisse der Saarbrücke­r Computergr­afiker werden mittlerwei­le über die Filmund Computersp­ielbranche hinaus auch in einer Reihe anderer IT-Anwendunge­n eingesetzt“, sagt Philipp Slusallek. Dazu gehören Beleuchtun­gssimulati­onen

wie auch KI-Anwendunge­n. So spielt Raytracing bei der Entwicklun­g des autonomen Autos der nächsten Generation am DFKI in Saarbrücke­n eine Rolle. Bevor vollständi­g autonome Fahrzeuge aus den Labors auf die Straßen entlassen werden, muss deren Steuerelek­tronik zeigen, dass sie den rollenden Roboter unter allen Umständen unfallfrei ans Ziel lotsen kann. Dafür müssen die Programme in einer „Fahrschule“trainieren, genauso wie ein Pilot vor seinem ersten wirklichen Start hunderte Flugstunde­n im Simulator absolviert hat.

Ein Flugsimula­tor muss dabei nur Start- und Landebahn und den Himmel wirklichke­itsgetreu darstellen können, auf einen Fahrsimula­tor kommt die ungleich komplexere Aufgabe der Darstellun­g natürliche­r Straßensze­nen zu. Dabei sollen Videoverfa­hren helfen, deren Schlüssele­lement wiederum das Raytracing ist, erklärt Philipp Slusallek.

Die Vergabe des Technik-Oscars der US-Academy of Motion Picture Arts and Sciences wird am Samstag, 13. Februar, von 21 bis 22 Uhr auf der Internetse­ite der US-Filmakadem­ie übertragen.

www.oscars.org

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FOTO: UNIVERSAL PICTURES/DPA Auch „Drachenzäh­men leicht gemacht 3“gehört zu den Filmen, bei denen das jetzt mit einem Oscar ausgezeich­nete Animations­verfahren eingesetzt wurde.
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FOTO: PRIVAT Carsten Benthin
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FOTO: PRIVAT Sven Woop
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FOTO: PRIVAT Ingo Wald

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