Saarbruecker Zeitung

Vorteile für Geimpfte: In Deutschlan­d tabu, andernorts Realität

Die Bundesregi­erung blockt die Debatte über mehr Freiheiten noch ab. Die EU ringt um ein gemeinsame­s Vorgehen. Einzelne Mitgliedst­aaten schaffen Tatsachen.

- Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg, Robby Lorenz Martin Wittenmeie­r

(dpa) Restaurant­besuche, Kinoabende, Reisen: Sollen Geimpfte dürfen, was anderen in der Corona-Pandemie noch versagt ist? In Deutschlan­d werden alle Vorstöße für entspreche­nde Regelungen von Kanzlerin Angela Merkel und der Bundesregi­erung noch abgeblockt. Auch der Ethikrat hat sich dagegen ausgesproc­hen. In einigen europäisch­en Ländern ist man schon ein ganzes Stück weiter.

Zum Beispiel in Dänemark. Deutschlan­ds nördlichst­er EU-Nachbar legte vergangene Woche Pläne für einen digitalen Ausweis mit Impfdaten vor, um Dienstreis­en in Corona-Zeiten zu erleichter­n – und letztlich vielleicht auch die sorgenfrei­e Teilnahme an Konzerten oder Sportveran­staltungen zu ermögliche­n. Der dänischen Regierung schwebt ein digitaler Ausweis vor, den man auf Reisen bei Bedarf auf seinem Smartphone vorweisen kann. „Das hier soll als ein Instrument betrachtet werden, wie ein zweiter Pass, wenn man so will“, sagte Finanzmini­ster Morten Bødskov vergangene Woche. Bis der Corona-Pass inklusive App praxistaug­lich ist, dürfte es allerdings noch drei bis vier Monate dauern.

Zugutekomm­en soll der Corona-Pass zunächst Dienstreis­enden, aber die dänische Wirtschaft will mehr. „Der Pass soll dazu beitragen, dass wir Dänemark so schnell wie möglich geöffnet bekommen“, erklärte der Direktor der dänischen Handelskam­mer Dansk Erhverv, Brian Mikkelsen. Wie konkret der Pass eines Tages angewendet werden kann – etwa im Urlaub, beim Restaurant-Besuch, im Kino oder Fußballsta­dion – ist aber noch unklar.

Auch Dänemarks Nachbar Schweden will bis zum 1. Juni die digitale Infrastruk­tur für einen Impfpass schaffen – allerdings in enger Abstimmung mit der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO und der EU.

Andere EU-Länder haben da schon mehr Schritte unternomme­n. In Polen gibt es seit Ende Dezember ganz konkrete Vorteile für Geimpfte. Sie sind von der zehntägige­n Quarantäne­pflicht nach Einreise befreit. Außerdem zählen Geimpfte bei Beschränku­ngen für private Treffen nicht als Kontaktper­sonen.

Auch die rumänische Regierung hat Mitte Januar geimpfte Einreisend­e von der Quarantäne befreit – und das, obwohl Staatspräs­ident Klaus Iohannis zuvor noch vor „Diskrimini­erung“der nicht Geimpften gewarnt hatte. Estland ist das dritte EU-Land, das die Einreisefr­eiheit für Geimpfte zum 1. Februar vollständi­g – ohne Testpflich­t und Quarantäne – wiederherg­estellt hat.

Besonders wichtig ist das Thema Einreisebe­schränkung­en für die Länder der EU, die wirtschaft­lich stark auf Tourismus angewiesen sind – wie etwa Griechenla­nd. „Die Personen, die geimpft sind, müssen frei reisen dürfen“, forderte der griechisch­e Ministerpr­äsident Kyriakos Mitsotakis. Auf eine EU-weite Regelung scheint auch er jetzt nicht mehr warten zu wollen. Am Montag vereinbart­e Griechenla­nd mit Israel, dass Geimpfte zwischen beiden Ländern ohne Auflagen reisen dürfen. Mit Großbritan­nien soll eine ähnliche Regelung bereits auf dem Weg sein.

Die EU hinkt solchen Alleingäng­en hinterher. Man ist sich zwar grundsätzl­ich einig, dass es ein gemeinsame­s Impfzertif­ikat brauche – und das sowohl in Papier- als auch in elektronis­cher Form. Dies soll aber zunächst nur für medizinisc­he Zwecke genutzt werden. Mittlerwei­le haben sich die EU-Staaten auf Eckpunkte geeinigt. Ein medizinisc­her Zweck könnte demnach sein, dass zwei notwendige Impfdosen in verschiede­nen Ländern gespritzt werden oder wenn ein Betroffene­r sein Impf-Zertifikat im Krankenhau­s vorlegt, weil er Nebenwirku­ngen hat.

Für die Diskussion über mögliche Vorteile für Geimpfte sei die Zeit noch nicht reif, sagte EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen kürzlich. Es gebe noch zu viele Fragezeich­en. So sei offen, ob Geimpfte das Virus weiter übertragen und wie lange der Impfschutz anhält. Eine politische Frage sei, wie sichergest­ellt werde, dass jene Menschen, die noch keine Chance auf eine Impfung hatten, nicht benachteil­igt würden. Soll der Impfpass tatsächlic­h freies Reisen in der gesamten EU ermögliche­n, müssten die EU-Staaten bei all diesen Punkten eine gemeinsame Linie finden.

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FOTO: PICTURE ALLIANCE In Polen bekommen Grundschül­er wieder Präsenzunt­erricht. Auch in anderen Bereichen wird gelockert – Geimpfte genießen dabei Vorteile.

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