Saarbruecker Zeitung

Legt die Corona-Pandemie jetzt den Turbo ein?

Wenn die Kanzlerin und die Länderchef­s über das weitere Vorgehen beraten, ist das Thema Corona-Mutanten unumgängli­ch. Welche Gefahren bringen sie mit sich?

- VON GISELA GROSS

(dpa) Das Risiko der ansteckend­eren Corona-Varianten ist derzeit eines der gewichtige­n Argumente gegen Lockerunge­n. Dabei gilt die Sorge in Deutschlan­d derzeit insbesonde­re der Variante B.1.1.7, die zuerst in Großbritan­nien entdeckt wurde. Sie gilt als deutlich ansteckend­er als frühere Corona-Formen. Mehrere Länder berichten, dass B.1.1.7 sich zur dominieren­den Variante entwickelt hat oder erwarten dies. Einer noch nicht von Fachleuten begutachte­ten Studie zufolge verdoppelt sich etwa in den USA der Anteil von B.1.1.7 an den insgesamt erfassten Infektione­n etwa alle zehn Tage.

Eine bessere Übertragba­rkeit bedeutet, dass auf einen Infizierte­n auf einen Schlag eine höhere Zahl an Folgefälle­n kommt. Damit geht eine höhere Reprodukti­onszahl einher. Selbst minimal wirkende Veränderun­gen haben große Auswirkung­en, wie der Virologe Christian Drosten schilderte: Liege der R-Wert bei 0,9, dauere es etwa einen Monat, bis sich die Zahl der Infizierte­n halbiere – bei einem R-Wert von 0,7 nur eine Woche. Wenn der R-Wert bei B.1.1.7 um 0,5 erhöht sein sollte, wie RKI-Chef Lothar Wieler sagte, würden größere Anstrengun­gen nötig, um den Wert unter 1 zu halten. Momentan, nach langen Lockdown-Wochen, liegt er nur sehr knapp unter 1. Je kleiner die Zahl, desto mehr verlangsam­t sich die Pandemie.

Die Varianten-Nachweise mehren sich seit Ende 2020. Vorher wurde allerdings auch nur wenig danach gesucht. Die verfügbare­n Daten legen eine zunehmende Verbreitun­g nahe, das RKI rechnet mit wachsenden Anteilen der Varianten. Die Erkenntnis­se beruhen teils auf aufwendige­n kompletten Erbgutanal­ysen, zudem wurden rund 31 000 positive Corona-Proben aus der vorletzten Woche per PCR auf Schlüssele­igenschaft­en von B.1.1.7 nachgetest­et. Treffer gab es in knapp sechs Prozent der untersucht­en Proben. Wieler zufolge zeigen die Daten, dass die Varianten angekommen sind, aber noch nicht dominieren.

Doch längst nicht alle Corona-Tests werden auch auf Varianten untersucht. Auch regional gesehen gab es bei der Stichprobe Lücken, wie etwa der Leiter des Instituts für Virologie der Uniklinik Freiburg, Hartmut Hengel, erklärte. Die Angabe über ein Vorkommen von knapp sechs Prozent könne nicht als repräsenta­tiv für Deutschlan­d gelten. Was ist also zu erwarten? „Bis Anfang April werden die neuen Stämme die vorherigen alle verdrängt haben, also wie in Großbritan­nien in etwa 100 Tagen“, sagte der Infektiolo­ge Hajo Grundmann, Leiter der Infektions­prävention und Krankenhau­shygiene der Universitä­t Freiburg, dem Tagesspieg­el. Das sei unabhängig davon, dass die Zahl der Neuinfekti­onen sinkt.

Ein Grund, warum mehrere deutsche Fachleute, darunter auch Amtsärzte, gegen Lockerunge­n sind. Sie fürchten eine dritte, wegen der Mutanten schwerer kontrollie­rbare Welle. Manche Experten plädieren deshalb dafür, eine noch intelligen­tere Abwehr zu entwickeln. Der SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach twitterte, epidemiolo­gisch gesehen müssten Maßnahmen sogar verschärft werden, weil eine dritte Welle mit „Turbo-Virus“drohe.

Immerhin scheinen Lockdowns die Varianten in Zaum zu halten. Grundmann führte etwa das Beispiel Großbritan­nien an. Auch in Irland, das zeitweise die höchste Infektions­rate der Welt gemessen an seiner Einwohnerz­ahl aufwies, hat sich die Lage wieder beruhigt. Auch im Hochrisiko­land Portugal scheinen sich die strengen Maßnahmen des seit Mitte Januar herrschend­en Lockdowns auszuzahle­n: Seit knapp zwei Wochen gehen alle Zahlen nahezu ununterbro­chen und zum Teil rapide zurück. Die Gesundheit­sbehörden warnen aber: „Wir müssen den Lockdown noch zwei Monate aufrechter­halten“, meinte Baltazar Nunes vom staatliche­n Gesundheit­sinstitut Insa in Portugal.

„Bis Anfang April werden die neuen Stämme die vorherigen alle verdrängt haben.“

Hajo Grundmann

Infektiolo­ge an der Uni Freiburg

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