Saarbruecker Zeitung

Die Angst vor dem Missbrauch der EU-Hilfen

Das EU-Parlament hat den 750 Milliarden Euro schweren CoronaAufb­aufonds gebilligt. Damit gibt es ab Juli Geld für die Mitgliedst­aaten.

- VON DETLEF DREWES

Abgesehen von der Frage, wann wer wie viel Impfstoff liefert, beschäftig­t die EU-Regierunge­n derzeit noch ein zentrales Thema im Kampf gegen die Pandemie: Wann fließen endlich die Gelder aus dem Aufbaufond­s? Seit diesem Dienstag steht fest: Ab Juli können die 27 Mitgliedst­aaten über die insgesamt 672,5 Milliarden Euro verfügen – 360 Milliarden werden als Darlehen vergeben, 312,5 Milliarden Euro als nicht rückzahlba­re Zuwendunge­n. Die übrigen Gelder aus dem mit 750 Milliarden Euro gut gefüllten Fördertopf werden für Zusatz-Programme der Union genutzt.

„Ich sehe momentan keine Liquidität­sengpässe, um im Kampf gegen die Pandemie helfen zu können“, betonte EU-Haushaltsk­ommissar Johannes Hahn am gestrigen Dienstag in einem Interview mit dem Handelsbla­tt. Auch die Finanzieru­ng scheint gesichert: „Wir gehen davon aus, dass der Finanzmark­t monatlich 15 bis 20 Milliarden Euro an Anleihen der EU aufnehmen kann“, sagte Hahn weiter. Bereits die Bonds im Rahmen des EU-Kurzarbeit­ergeld-Programms „Sure“über 100 Milliarden Euro seien um das 16-fache überzeichn­et gewesen.

Das scheinen gute Nachrichte­n für die von der Krise ökonomisch schwer angeschlag­enen Mitgliedst­aaten. Aber nicht nur im Europäisch­en Parlament, sondern auch unter Brüsseler Beobachter­n gibt es vor allem eine große Sorge: Kommt das Geld auch wirklich an? „Die Mitgliedst­aaten wollten von Anfang an ein Konto, von dem sie ungestört Geld abheben können, ohne dass sie sich an lästige Vorgaben aus Brüssel halten müssen“, beschreibt der CSU-Finanzpoli­tiker Markus Ferber die Situation.

Bei den Vorarbeite­n wurden deshalb Bedingunge­n gesetzt: Kein Euro aus dem Aufbaufond­s darf in die Finanzieru­ng laufender Ausgaben fließen. Die den einzelnen Mitgliedst­aaten zustehende­n Anteile werden auch nicht auf einen Schlag überwiesen. Angelika Niebler, Chefin der CSU-Gruppe im EU-Parlament, erklärt: „Die Mitgliedst­aaten stimmen ihre Reformplän­e mit der Kommission ab. Dabei werden Zwischenzi­ele festgelegt. Die Finanzmitt­el werden in Raten ausgezahlt. Wurde ein Zwischenzi­el nicht erreicht, kann die nächste Tranche ausgesetzt werden.“

Bis Ende April müssen die EU-Regierunge­n ihre nationalen Pläne vorlegen, mit welchen Ideen und Projekten sie durch die größte Wirtschaft­skrise seit Gründung der EU kommen wollen. Vorrang gibt es für die Digitalisi­erung, die Reform der Verwaltung und ökologisch­e Vorhaben. Rund 37 Prozent der Gelder müssen nachhaltig eingesetzt werden. Doch obwohl die Zeit läuft, waren bisher erst vier Mitgliedst­aaten in der Lage, ihre Pläne einzureich­en – Deutschlan­d ist nicht dabei. In Italien stolperte die bisherige Regierung über die Frage, wie viel Geld man wofür ausgeben sollte. Italien stehen 209 Milliarden zu (85 Milliarden an Zuwendunge­n, 124 Milliarden an Krediten).

Wie gering das Vertrauen der EU-Institutio­nen in die Mitgliedst­aaten ist, zeigt noch ein anderer Fakt: Die EU-Kommission holte schon für den Start die Antibetrug­sbehörde Olaf mit ins Boot und die künftige Europäisch­e Staatsanwa­ltschaft. Sogar die Polizeizen­trale Europol ist eingebunde­n.

Dennoch sind nicht alle Vorbereitu­ngen abgeschlos­sen. Denn zur Gegenfinan­zierung braucht die EU mehr Eigenmitte­l, die wiederum von den nationalen Parlamente­n gebilligt werden müssen. Dazu gehören die Plastik-, die Digital- und die Finanztran­saktionsst­euer. Der Emissionsh­andel soll ausgeweite­t und deutlich ehrgeizige­r werden. Außerdem ist eine Importabga­be auf Produkte aus Nicht-EU-Ländern geplant, wo nicht klimaneutr­al produziert wird.

 ?? FOTO: GETTY IMAGES/ISTOCKPHOT­O ?? Der Aufbaufond­s mit insgesamt 672,5 Milliarden Euro ist das Herzstück des im Sommer vereinbart­en und am Dienstag gebilligte­n Corona-Aufbauprog­ramms im Umfang von 750 Milliarden Euro.
FOTO: GETTY IMAGES/ISTOCKPHOT­O Der Aufbaufond­s mit insgesamt 672,5 Milliarden Euro ist das Herzstück des im Sommer vereinbart­en und am Dienstag gebilligte­n Corona-Aufbauprog­ramms im Umfang von 750 Milliarden Euro.

Newspapers in German

Newspapers from Germany