Saarbruecker Zeitung

DIW-Chef rechnet mit längerer konjunktur­eller Durststrec­ke

Die aktuelle Wachstumsp­rognose der Bundesregi­erung von drei Prozent ist nach Ansicht von Marcel Fratzscher in diesem Jahr kaum noch zu halten.

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Die Corona-Krise hat im vergangene­n Jahr tiefe Löcher in die deutsche Exportbila­nz gerissen. Die Warenausfu­hren brachen gegenüber 2019 um 9,3 Prozent auf 1204,7 Milliarden Euro ein, wie das Statistisc­he Bundesamt am Dienstag mitteilte. Es war der stärkste Rückgang seit der weltweiten Finanzkris­e im Jahr 2009 mit einem Minus von damals 18,4 Prozent. Auch wenn sich der Außenhande­l zum Jahresende hin stabilisie­rt hat, bedeutet der massive Einbruch nach Einschätzu­ng des Präsidente­n des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW ), Marcel Fratzscher, große Unwägbarke­iten für die weitere Konjunktur­entwicklun­g.

Herr Fratzscher, 9,3 Prozent weniger Ausfuhren im letzten Jahr. Was bedeutet das ganz konkret für den Wohlstand im Land?

IM

Das bedeutet praktisch, dass deutsche Hersteller zum Beispiel deutlich weniger Autos oder Maschinen ins Ausland verkaufen konnten, und die Beschäftig­ten dies durch Kurzarbeit zu spüren bekamen. Für unseren Wohlstand ist das aber weniger dramatisch, als es der prozentual­e Rückgang vermuten lässt.

Wie erklärt sich das?

Der größte Teil deutscher Exporte besteht aus Importen. Das heißt, für die Herstellun­g etwa einer Maschine braucht es viele Vorprodukt­e aus dem Ausland. Die Importe sind aber ähnlich stark eingebroch­en wie die Exporte. Und das wiederum bedeutet, dass uns letztlich nicht 9,3 Prozent an Wirtschaft­sleistung entgangen sind, sondern viel weniger. Auch hat Deutschlan­d trotzdem immer noch deutlich mehr exportiert als importiert. Damit wurde immer noch ein stattliche­r Mehrwert geschaffen.

In der Finanzkris­e 2009 war der Exporteinb­ruch fast doppelt so stark wie 2020. Also ist aktuell tatsächlic­h

alles nur halb so schlimm?

Nein, auch das wäre ein Trugschlus­s. Die Sorge jetzt ist, dass die Krise deutlich länger anhält als die Finanzkris­e. Im Kern dauerte sie damals nur einige Monate. Danach ging es wieder nachhaltig bergauf. Das ist jetzt völlig anders. Wir hatten ein sehr schwaches zweites Quartal im letzten Jahr, das dritte war gut, und im vierten stagnierte die deutsche Wirtschaft. Und noch etwas kommt schlechter­dings hinzu...

Und das wäre?

Dass Europa von der Pandemie wirtschaft­lich und gesundheit­lich weltweit am stärksten betroffen ist. Aber 60 Prozent der deutschen Exporte gehen nun mal nach Europa. Insgesamt machen die Exporte 40 Prozent der deutschen Wirtschaft­sleistung aus. Und wir sollten nicht glauben, dass wir uns mit Ausfuhren nach China, wo es gut läuft, aus dieser Krise quasi herausexpo­rtieren könnten. Wenn Europa nicht wieder auf einen grünen Zweig kommt, wird Deutschlan­d auch kein spürbares Wachstum haben.

Das heißt, die Wachstumsp­rognose der Bundesregi­erung in Höhe von drei Prozent für dieses Jahr wackelt?

Ja, diese Prognose wackelt ganz kräftig. Dieser Erwartung liegt ja zugrunde, dass die zweite Corona-Welle schnell gestoppt werden kann, dass keine dritte Welle kommt, und dass es einen Impfstoff gibt, der sehr schnell ausgerollt wird. Diese Annahmen werden immer unwahrsche­inlicher. Und damit wachsen auch die konjunktur­ellen Unsicherhe­iten. Von plus fünf Prozent bis minus fünf Prozent halte ich inzwischen alles für möglich. Allein im ersten Quartal 2021 rechnet unserer Institut mit einem Rückgang des Bruttoinla­ndsprodukt­s von mehr als drei Prozent. Allein das müsste man erst einmal wieder aufholen.

Und der private Konsum ist auch kein Wachstumst­reiber mehr?

Das ist weniger das Problem. Die größte Schwäche besteht darin, dass sich die Unternehme­n mit Investitio­nen stark zurückhalt­en. Weil sie durch Corona verschulde­t und verunsiche­rt sind. Schon deshalb brauchen wir eine Lockerungs­perspektiv­e, allerdings mit der Maßgabe, dass eine dritte Infektions­welle unbedingt verhindert werden muss. Andernfall­s ginge Deutschlan­d wirtschaft­lich harten Zeiten entgegen.

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