Wie Rechtsextreme im Netz Kinder ködern
Die Identitäre Bewegung Deutschland verbreitet ihren Aufruf zur Rebellion über das Computerspiel „Heimat Defender“.
Auf den ersten Blick ist es ein normales Computerspiel: Sehr bunt, sehr schnell, sehr modern. Mit Comic-Helden, die auf verschiedenen Ebenen erfolgreich ihre Feinde bekämpfen und ihre Heimat verteidigen. Zugleich ein bisschen retromäßig gestaltet wie einst die Spielewelt von „Super Mario“. Und doch: Irgendetwas ist anders beim Spiel „Heimat Defender: Rebellion“, das im vergangenen Jahr zeitweise kostenlos über die Internet-Spielplattform „Steam“erhältlich war. „Man bekommt hinterlistig, sehr subtil, immer wieder ideologische Fragmente eingeblendet, die einen aufhorchen lassen – zumindest als Erwachsenen“, warnt Jan Steinmetz, Referatsleiter Islamismus und Islamistischer Terrorismus beim Saarländischen Verfassungsschutz. Kinder hinterfragten das jedoch nicht. Und auch nicht die Botschaft, die wortwörtlich so formuliert wird: „Starte die Rebellion!“
Das Gefährliche daran ist, dass die jungen Nutzer nicht nur in ihrer Spielewelt am Computer dem Aufruf folgen und Teil dieser „Heimat Defender“werden können. „Es gibt die Helden wirklich“, erklärt Steinmetz. Denn die Hauptfiguren Alex Malenki und Martin Sellner seien politische Aktivisten, die überall auf Versammlungen auftauchten und sich selbst als Verteidiger der heimatlichen Werte sähen. Sie vertreten die Identitäre Bewegung Deutschland (IBD), die vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
2012 war die IBD zunächst als rein virtuelles Phänomen auf Facebook bekannt geworden. Mit verschiedenen Aktionsformen, wie etwa spontanen Versammlungen, sogenannten Flashmobs, oder Transparent-Aktionen, hat die Bewegung laut Bundesverfassungsschutz den Sprung aus dem Internet vollzogen und ist heute mit regionalen Untergruppen bundesweit aktiv. Bundesweit gebe es rund 600 Mitglieder.
Ganz bewusst und ganz geschickt rekrutiere die IBD ihren Nachwuchs spielerisch im Internet. „Kinder und Jugendlich werden im Internet abgeholt über Spiele“, sagt Steinmetz. „Dies ist oftmals der erste Berührungspunkt für sie mit diesem politischen Extremismus.“
Das Spiel „Heimat Defender“sei „interessant gemacht.“Über die Helden gelangen die Nutzer zu den realen Personen und ihren Auftritten in sozialen Netzwerken. Wobei auch hier die politische Identität nicht gleich ersichtlich sei wie etwa im Youtube-Kanal von Alex Malenki: „Männer wie er sehen nicht aus wie typische Rechtsextremisten. Sie gleichen dem Wolf im Schafspelz. Das ist gefährlich“, warnt Steinmetz. Extremisten seien heute nicht mehr auf den ersten Blick zu erkennen. „Die sozialen Medien bieten viele Möglichkeiten, auch das Extremismus-Kleid entsprechend zu kaschieren.“
Bei den Rechtsextremisten habe man es heute nicht nur „mit dummen Skinheads“zu tun, die auf der Straße Ausländer angriffen, sondern mit Menschen, die oft gebildet seien und modern aussähen. Sie nutzten Computerspiele und soziale Netzwerke gezielt: „Sie ködern die Menschen im Internet und führen sie in die reale Welt.“Was mit spielerischen Auseinandersetzungen im „Heimat Defender“beginnt, kann so schnell bei Aktionen der IBD oder in ihrem „Identitären Bundeslager“, wie im vergangenen Jahr in Brandenburg, enden. Die IBD habe ihre Auftritte im Internet perfektioniert, sagt Steinmetz. Sie nutze die sozialen Medien, um professionell ihre Ideologie und Propaganda zu verbreiten.
Videos von eindrucksvollen Aktionen seien nur wenige Klicks vom Spiel entfernt. Ebenso wirke die Aussicht, Teil dieser Elite zu sein, seiner Ansicht nach besonders mitreißend und anziehend auf junge Menschen.
Gerade in einer offenen Gesellschaft wie heute seien Jugendliche auf der Suche nach festen Säulen und Halt, meint auch Iren Schulz, Medienpädagogin bei der Eltern-Initiative „Schau hin!“. „Manchmal können Influencer die Lichtpunkte sein, an denen sich der Zuschauer orientiert und deren Position er folgt“, sagt sie. Das Internet könne dabei Nährboden für viele positive Dinge und für gesellschaftliche Partizipation sein. „Aber die Kehrseite sind auch Hassrede und ein großes Feld von insgesamt problematischen, politischen Einstellungen.“
Vor allem auf der Suche nach Orientierung gelten junge Menschen für extremistische Botschaften als besonders empfänglich und entsprechend gefährdet. Insbesondere dann, wenn das Umfeld kein offenes und respektvolles soziales Fundament biete, meint Schulz. Für diese Jugendlichen werde das Internet „nicht nur zum Nährboden, sondern auch zum Katalysator für rechtsextremistisches Gedankengut“, befürchtet Jan Steinmetz.
„Extremisten schaffen eine neue Heimat, neue Anlaufstellen“, sagt der Verfassungsschützer. „Hier sollten Eltern aufpassen.“Es sei unproblematisch, wenn Kinder Politik hinterfragten. „Aber wenn das gesamte System auf einmal gänzlich in Frage gestellt wird, wenn Begriffe wie ‚Heimat’ und ‚Volk’ auftauchen, wenn sie sich von anderen abschotten und nur noch ins Zimmer zurückziehen, sollten die Alarmglocken schellen“, mahnt Steinmetz.
Er appelliert, präventiv durch Aufklärung einzugreifen. Es gehe darum, neue Wege zu entwickeln, wie das Demokratieverständnis von Kindern und Jugendlichen weiter gestärkt werden könne. Den klassischen Politik- oder Sozialkundeunterricht sei dafür nicht unbedingt geeignet.
Auf der Suche nach neuen Wegen gegen Gewalt, Hass im Netz und Radikalisierung ist der bundesweite Forschungsverbund „PräDiSiKo“(Präventive digitale Sicherheitskommunikation). Sein Projekt „Zivile Helden“testet Chancen und Risiken von Kriminalprävention mit Hilfe sozialer Netzwerke. Gleichzeitig will es spielerisch und informativ das Bewusstsein für Zivilcourage schärfen. „Hast du das Zeug zum zivilen Helden?“, werden die Nutzer gefragt und aufgefordert: „Erlebe die interaktiven Videos rund um Gewalt, Hass im Netz und Radikalisierung und bestimme selbst den Ausgang der Geschichten!“Nicht nur bei altersgemäßen Videos, sondern auch bei Ratespielen können die Kinder und Jugendlichen aktiv mitmachen und werden für die Themen sensibilisiert.
Welchen Beitrag aber können Eltern leisten, um ihre Kinder vor extremem Gedankengut zu schützen – speziell beim Surfen im Internet? „Verbote bringen bei Jugendlichen gar nichts. Es würde auch nicht helfen, Spiele wie ‚Heimat Defender: Rebellion’ auf den Index zu setzen. Das würde den Reiz nur noch erhöhen“, ist der Verfassungsschützer überzeugt. Sinnvoller sei es, ihnen demokratische Grundwerte mit auf den Weg zu geben und ihnen zu verdeutlichen, dass wir in einem lebenswerten System leben, das es zu schützen gelte. Das bestätigt auch Iren Schulz: „Eine demokratische, offene und freiheitliche Erziehung, Austausch und Gespräch, Respekt voreinander sind wichtig.“
Nach Auskunft von Jan Steinmetz können sich Ratsuchende bei Hinweisen auf eine mögliche Radikalisierung von jungen Menschen auch an den Verfassungsschutz wenden: Im Saarland unter der Rufnummer (06 81) 30 38-0.
Bei Fragen zur Medienerziehung finden Eltern zudem Hilfe unter: schau-hin.info/service/kontakt