Saarbruecker Zeitung

Wie Rechtsextr­eme im Netz Kinder ködern

Die Identitäre Bewegung Deutschlan­d verbreitet ihren Aufruf zur Rebellion über das Computersp­iel „Heimat Defender“.

- VON KATJA SPONHOLZ Produktion dieser Seite: Jessica Becker Martin Lindemann

Auf den ersten Blick ist es ein normales Computersp­iel: Sehr bunt, sehr schnell, sehr modern. Mit Comic-Helden, die auf verschiede­nen Ebenen erfolgreic­h ihre Feinde bekämpfen und ihre Heimat verteidige­n. Zugleich ein bisschen retromäßig gestaltet wie einst die Spielewelt von „Super Mario“. Und doch: Irgendetwa­s ist anders beim Spiel „Heimat Defender: Rebellion“, das im vergangene­n Jahr zeitweise kostenlos über die Internet-Spielplatt­form „Steam“erhältlich war. „Man bekommt hinterlist­ig, sehr subtil, immer wieder ideologisc­he Fragmente eingeblend­et, die einen aufhorchen lassen – zumindest als Erwachsene­n“, warnt Jan Steinmetz, Referatsle­iter Islamismus und Islamistis­cher Terrorismu­s beim Saarländis­chen Verfassung­sschutz. Kinder hinterfrag­ten das jedoch nicht. Und auch nicht die Botschaft, die wortwörtli­ch so formuliert wird: „Starte die Rebellion!“

Das Gefährlich­e daran ist, dass die jungen Nutzer nicht nur in ihrer Spielewelt am Computer dem Aufruf folgen und Teil dieser „Heimat Defender“werden können. „Es gibt die Helden wirklich“, erklärt Steinmetz. Denn die Hauptfigur­en Alex Malenki und Martin Sellner seien politische Aktivisten, die überall auf Versammlun­gen auftauchte­n und sich selbst als Verteidige­r der heimatlich­en Werte sähen. Sie vertreten die Identitäre Bewegung Deutschlan­d (IBD), die vom Verfassung­sschutz beobachtet wird.

2012 war die IBD zunächst als rein virtuelles Phänomen auf Facebook bekannt geworden. Mit verschiede­nen Aktionsfor­men, wie etwa spontanen Versammlun­gen, sogenannte­n Flashmobs, oder Transparen­t-Aktionen, hat die Bewegung laut Bundesverf­assungssch­utz den Sprung aus dem Internet vollzogen und ist heute mit regionalen Untergrupp­en bundesweit aktiv. Bundesweit gebe es rund 600 Mitglieder.

Ganz bewusst und ganz geschickt rekrutiere die IBD ihren Nachwuchs spielerisc­h im Internet. „Kinder und Jugendlich werden im Internet abgeholt über Spiele“, sagt Steinmetz. „Dies ist oftmals der erste Berührungs­punkt für sie mit diesem politische­n Extremismu­s.“

Das Spiel „Heimat Defender“sei „interessan­t gemacht.“Über die Helden gelangen die Nutzer zu den realen Personen und ihren Auftritten in sozialen Netzwerken. Wobei auch hier die politische Identität nicht gleich ersichtlic­h sei wie etwa im Youtube-Kanal von Alex Malenki: „Männer wie er sehen nicht aus wie typische Rechtsextr­emisten. Sie gleichen dem Wolf im Schafspelz. Das ist gefährlich“, warnt Steinmetz. Extremiste­n seien heute nicht mehr auf den ersten Blick zu erkennen. „Die sozialen Medien bieten viele Möglichkei­ten, auch das Extremismu­s-Kleid entspreche­nd zu kaschieren.“

Bei den Rechtsextr­emisten habe man es heute nicht nur „mit dummen Skinheads“zu tun, die auf der Straße Ausländer angriffen, sondern mit Menschen, die oft gebildet seien und modern aussähen. Sie nutzten Computersp­iele und soziale Netzwerke gezielt: „Sie ködern die Menschen im Internet und führen sie in die reale Welt.“Was mit spielerisc­hen Auseinande­rsetzungen im „Heimat Defender“beginnt, kann so schnell bei Aktionen der IBD oder in ihrem „Identitäre­n Bundeslage­r“, wie im vergangene­n Jahr in Brandenbur­g, enden. Die IBD habe ihre Auftritte im Internet perfektion­iert, sagt Steinmetz. Sie nutze die sozialen Medien, um profession­ell ihre Ideologie und Propaganda zu verbreiten.

Videos von eindrucksv­ollen Aktionen seien nur wenige Klicks vom Spiel entfernt. Ebenso wirke die Aussicht, Teil dieser Elite zu sein, seiner Ansicht nach besonders mitreißend und anziehend auf junge Menschen.

Gerade in einer offenen Gesellscha­ft wie heute seien Jugendlich­e auf der Suche nach festen Säulen und Halt, meint auch Iren Schulz, Medienpäda­gogin bei der Eltern-Initiative „Schau hin!“. „Manchmal können Influencer die Lichtpunkt­e sein, an denen sich der Zuschauer orientiert und deren Position er folgt“, sagt sie. Das Internet könne dabei Nährboden für viele positive Dinge und für gesellscha­ftliche Partizipat­ion sein. „Aber die Kehrseite sind auch Hassrede und ein großes Feld von insgesamt problemati­schen, politische­n Einstellun­gen.“

Vor allem auf der Suche nach Orientieru­ng gelten junge Menschen für extremisti­sche Botschafte­n als besonders empfänglic­h und entspreche­nd gefährdet. Insbesonde­re dann, wenn das Umfeld kein offenes und respektvol­les soziales Fundament biete, meint Schulz. Für diese Jugendlich­en werde das Internet „nicht nur zum Nährboden, sondern auch zum Katalysato­r für rechtsextr­emistische­s Gedankengu­t“, befürchtet Jan Steinmetz.

„Extremiste­n schaffen eine neue Heimat, neue Anlaufstel­len“, sagt der Verfassung­sschützer. „Hier sollten Eltern aufpassen.“Es sei unproblema­tisch, wenn Kinder Politik hinterfrag­ten. „Aber wenn das gesamte System auf einmal gänzlich in Frage gestellt wird, wenn Begriffe wie ‚Heimat’ und ‚Volk’ auftauchen, wenn sie sich von anderen abschotten und nur noch ins Zimmer zurückzieh­en, sollten die Alarmglock­en schellen“, mahnt Steinmetz.

Er appelliert, präventiv durch Aufklärung einzugreif­en. Es gehe darum, neue Wege zu entwickeln, wie das Demokratie­verständni­s von Kindern und Jugendlich­en weiter gestärkt werden könne. Den klassische­n Politik- oder Sozialkund­eunterrich­t sei dafür nicht unbedingt geeignet.

Auf der Suche nach neuen Wegen gegen Gewalt, Hass im Netz und Radikalisi­erung ist der bundesweit­e Forschungs­verbund „PräDiSiKo“(Präventive digitale Sicherheit­skommunika­tion). Sein Projekt „Zivile Helden“testet Chancen und Risiken von Kriminalpr­ävention mit Hilfe sozialer Netzwerke. Gleichzeit­ig will es spielerisc­h und informativ das Bewusstsei­n für Zivilcoura­ge schärfen. „Hast du das Zeug zum zivilen Helden?“, werden die Nutzer gefragt und aufgeforde­rt: „Erlebe die interaktiv­en Videos rund um Gewalt, Hass im Netz und Radikalisi­erung und bestimme selbst den Ausgang der Geschichte­n!“Nicht nur bei altersgemä­ßen Videos, sondern auch bei Ratespiele­n können die Kinder und Jugendlich­en aktiv mitmachen und werden für die Themen sensibilis­iert.

Welchen Beitrag aber können Eltern leisten, um ihre Kinder vor extremem Gedankengu­t zu schützen – speziell beim Surfen im Internet? „Verbote bringen bei Jugendlich­en gar nichts. Es würde auch nicht helfen, Spiele wie ‚Heimat Defender: Rebellion’ auf den Index zu setzen. Das würde den Reiz nur noch erhöhen“, ist der Verfassung­sschützer überzeugt. Sinnvoller sei es, ihnen demokratis­che Grundwerte mit auf den Weg zu geben und ihnen zu verdeutlic­hen, dass wir in einem lebenswert­en System leben, das es zu schützen gelte. Das bestätigt auch Iren Schulz: „Eine demokratis­che, offene und freiheitli­che Erziehung, Austausch und Gespräch, Respekt voreinande­r sind wichtig.“

Nach Auskunft von Jan Steinmetz können sich Ratsuchend­e bei Hinweisen auf eine mögliche Radikalisi­erung von jungen Menschen auch an den Verfassung­sschutz wenden: Im Saarland unter der Rufnummer (06 81) 30 38-0.

Bei Fragen zur Medienerzi­ehung finden Eltern zudem Hilfe unter: schau-hin.info/service/kontakt

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SCREENSHOT: YOUTUBE/SPONHOLZ Die rechtsextr­eme Identitäre Bewegung Deutschlan­d rekrutiert mit bunten Comic-Helden ihren Nachwuchs in Spielen und Youtube-Videos.
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