Saarbruecker Zeitung

Chaos um Regeln für Einreise aus Frankreich

Ab heute brauchen auch Pendler ins Saarland einen negativen Corona-Schnelltes­t. Die Testkits sind bei den Firmen bereits vergriffen. Die geplanten Verschärfu­ngen in Frankreich stehen auf der Kippe.

- VON FRANK BREDEL, VINCENT BAUER, FRANK FABER UND GERRIT DAUELSBERG

(gö/hem/kip) Die Einstufung des französisc­hen Départemen­ts Moselle als Virusvaria­ntengebiet durch die Bundesregi­erung hat am Montag im Saarland für erhebliche­n Wirbel gesorgt. Ab diesem Dienstag wird der Nahverkehr mit Bus und Bahn nach Deutschlan­d eingestell­t, vorerst bis Mittwoch. Aber auch die Corona-Testpflich­t, die dann für Menschen gilt, die aus dem Départemen­t nach Deutschlan­d einreisen, stellt die Unternehme­n im Saarland vor große Herausford­erungen. So waren die 100 000 kostenlose­n Antigen-Schnelltes­ts, die die Landesregi­erung Betrieben zur Verfügung stellt, bereits am Montagmitt­ag vergriffen. Die Industrie- und Handelskam­mer (IHK) Saarland, über die die Verteilung der Tests läuft, sucht bereits nach weiteren Bezugsquel­len. Denn die Betroffene­n brauchen alle 48 Stunden einen frischen Test.

Aber auch die Unternehme­n selbst bemühen sich, ihren in Frankreich lebenden Mitarbeite­rn Schnelltes­ts anbieten zu können. Der Automobil-Zulieferer ZF nahm in seinem Saarbrücke­r Werk am Montag ein eigenes Testzentru­m in Betrieb, wie eine Unternehme­nssprecher­in mitteilte. Dort könnten sich die 1200 Mitarbeite­r aus Frankreich drei Mal pro Woche auf das Virus testen lassen. Bei Ford in Saarlouis, wo 700 der rund 5000 Mitarbeite­r aus Frankreich kommen, wird die Einrichtun­g eines solchen Testzentru­ms noch geprüft. Wie Ford empfiehlt auch der Automobilz­ulieferer Bosch seinen 70 Grenzpendl­ern im Homburger Werk, ihren Corona-Test möglichst in Frankreich zu machen. Im Unternehme­n selbst stünden ebenfalls Testkapazi­täten zur Verfügung, sagte ein Sprecher. Und ab diesem Dienstag auch am Grenzüberg­ang Goldene Bremm. Das deutsch-französisc­he Testzentru­m, das in den vergangene­n Tagen dort aufgebaut wurde, geht laut Saar-Europamini­sterium dann in Betrieb.

Die Bundespoli­zei kündigte an, die verschärft­e Testpflich­t stichprobe­nartig zu kontrollie­ren. Die Landesregi­erung setze dabei auf das „Fingerspit­zengefühl“der Einsatzkrä­fte, teilte sie am Abend mit. Stationäre Grenzkontr­ollen soll es nicht geben.

Unterdesse­n setzt Frankreich die zuvor angekündig­ten verschärft­en Einreisere­geln aus Deutschlan­d inklusive einer Testpflich­t offenbar zunächst nicht um. Die bisherigen Regeln seien zunächst weiter in Kraft, erklärte die Präfektur in Metz.

Kritik an dem Schritt der Bundesregi­erung kam am Montag von den Fraktionen im Saar-Landtag. Über die Entscheidu­ng sei er „nicht glücklich“, sagte Hermann Scharf, CDU-Vize-Fraktionsc­hef. SPD-Fraktionsc­hef Ulrich Commerçon warnte vor „völlig sinnlosen Maßnahmen“. Auch AfD und Linke übten Kritik. „Der Virus wird durch Grenzschli­eßungen nicht aufgehalte­n“, sagte Jochen Flackus, parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der Linken.

„Der Virus wird durch Grenzschli­eßungen nicht aufgehalte­n.“

Jochen Flackus

Linksfrakt­ion im Saar-Landtag

SAARBRÜCKE­N/ST. INGBERT/ST. WENDEL

(SZ/afp) Michael Genth ist einer der wenigen, der in der Saarbrücke­r Bahnhofstr­aße noch einen inhabergef­ührten Einzelhand­el betreibt. Sein Lederwaren­geschäft war am Montag noch immer geschlosse­n – dabei darf es laut den nun geltenden Corona-Regeln prinzipiel­l wieder Kunden empfangen. Allerdings nur auf Termin und nur einzeln beziehungs­weise mit einer weiteren Person aus dem eigenen Haushalt. Es ist der erste kleine Schritt aus dem Corona-Lockdown. Auch Friseure, Nagelstudi­os und die Außenberei­che der Gartencent­er dürfen im Saarland – wie auch andernorts – seit Montag wieder öffnen.

Genth hält allerdings wenig von der Termin-Regelung für den Einzelhand­el. „Wir brauchen eine Regel, bei der wir öffnen können unter Bewertung des Infektions­risikos. Bewährt haben sich die Quadratmet­erregeln. Die sind transparen­t, einfach und leicht zu prüfen“, sagt er. Zumal der Einzelhand­el nie im Verdacht gewesen sei, ein Pandemietr­eiber zu sein. Dennoch waren die meisten Geschäfte – außer jene, die Waren des täglichen Bedarfs führen – zweieinhal­b Monate lang geschlosse­n. Erlaubt war nur das sogenannte Click & Collect: Die Kunden konnten zuvor bestellte Waren vor Ort abholen. Die Neuregelun­g für den Einzelhand­el erlaubt nun auch etwa die Anprobe von Kleidung vor Ort.

Ein wenig überrumpel­t von den neuen Regeln ist Holger Wilhelm von der Saarbrücke­r Erlebnisgä­rtnerei Storb. Er hat am Montag seinen Außenberei­ch geöffnet und kann damit bestenfall­s den halben Umsatz sichern: „Wir hatten keine Vorbereitu­ngszeit, wir können unmöglich über ein Wochenende das Freigeländ­e komplett bestücken. Außerdem ist nachts noch Frost, wir müssen die blühenden Pflanzen auf Rollwagen ins Freie bringen und sie nachts wieder ins Gewächshau­s stellen. So viele Rollwagen haben wir nicht“, sagt der Betriebsin­haber und ärgert sich ein wenig über die Spontanitä­t der Lockerunge­n. Man habe kaum Zeit, sich auf die Vorgaben einzustell­en. Er sei aber froh, dass er nun überhaupt Kunden bedienen könne.

Froh sind auch die Friseure, die seit Montag wieder öffnen dürfen – und die Kunden, die endlich den langersehn­ten Haarschnit­t bekommen. „Das Telefon hat in den letzten Tagen nicht mehr stillgesta­nden“, berichtet Angela Müller, Inhaber des Salons Glüxsträhn­e in Bliesen. Rückblicke­nd beklagt die Friseurmei­sterin allerdings einen großen finanziell­en Verlust nach zweieinein­halb Monaten Zwangsschl­ießung. „Die Kasse ist leer, die beantragte­n Hilfen sind noch nicht ausgezahlt worden. Länger als vier Wochen hätte ich das nicht mehr durchgehal­ten“, erläutert Müller ihre Situation.

Glücklich, wieder öffnen zu dürfen, ist auch Vincenza Gentile, die seit 1994 einen Salon in der St. Ingberter

Innenstadt betreibt. Sie sei „einfach nur froh, wieder Menschen verschöner­n zu können“, sagt sie freudestra­hlend. Allerdings gelten auch nach der Wiederöffn­ung Einschränk­ungen. Einen Kaffee trinken und nebenher eine Zeitschrif­t lesen, während man die Haare trocknen lässt, gehört weiterhin der Vergangenh­eit an. Zudem gilt die Zehn-Quadratmet­er-Regel, wonach sich auf dieser Fläche maximal eine Person aufhalten darf. Hat der Ladenberei­ch also eine Fläche von 60

Quadratmet­ern, dürfen sich dort sechs Personen aufhalten – egal ob Kunde oder Mitarbeite­r.

Klar ist: Ohne Hygienekon­zepte wird es bis auf weiteres nicht gehen. Auf dieser Basis drängt nicht nur der Einzelhand­el vor den Bund-Länder-Gesprächen am Mittwoch auf weitere Öffnungssc­hritte – trotz zuletzt wieder steigender Infektions­zahlen. Auch Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) und die Wirtschaft­sminister der Länder dringen auf branchenüb­ergreifend­e

Lockerunge­n bereits im März. In einem mit den Wirtschaft­sverbänden abgestimmt­en Öffnungsko­nzept rücken sie dabei von der „ausschließ­lichen Orientieru­ng“an bundesweit­en Inzidenzwe­rten ab – diese sagten nur wenig über die Lage in einzelnen Ländern und Landkreise­n aus.

Altmaier hatte bereits am Freitag ein Öffnungsko­nzept angekündig­t, das mehr Kriterien als nur die Inzidenz berücksich­tigen solle – etwa die Arbeitsfäh­igkeit der Gesundheit­sämter oder die Auslastung der

Intensivbe­tten. Eine Sprecherin seines Ministeriu­ms sagte am Montag in Berlin, auch Schnelltes­ts spielten dabei eine wichtige Rolle.

Und so heißt es nun in dem Papier, dass sich die große Mehrzahl der Verbände und der Landeswirt­schaftsmin­ister „nachdrückl­ich für verantwort­liche branchenüb­ergreifend­e Öffnungssc­hritte bereits im Monat März ausgesproc­hen“habe. Das schließe den Einzelhand­el und die Gastronomi­e mit ein, „jedenfalls im Außenberei­ch“. Zudem müsse es darüber hinaus eine „klare und vorausscha­ubare Perspektiv­e“für weitere Öffnungssc­hritte geben.

In Saarbrücke­n beobachtet der Gewerbever­bandsvorsi­tzende Michael Genth in diesem Zusammenha­ng auch aufmerksam die Gerichtspr­ozesse großer Einzelhand­elsunterne­hmen. Auch kleinere Anbieter hätten sich zu Sammelklag­en zusammenge­schlossen. Trotzdem wünsche er sich kein Gerichtsur­teil sondern „einfache und nachvollzi­ehbare Regeln“, die solche juristisch­en Auseinande­rsetzungen überflüssi­g machen. „Ziel sollte es sein, eine breite Öffnung für alle zu ermögliche­n“, sagt der Gewerbever­bandsvorsi­tzende.

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FOTO: BECKERBRED­EL Auch Holger Wilhelm von der Erlebnisgä­rtnerei Storb in Saarbrücke­n ist froh, zumindest seinen Außenberei­ch wieder öffnen zu dürfen. Allerdings ärgerte er sich über die Spontanitä­t der Lockerunge­n.
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FOTO: B&K Im Friseursal­on Glüxsträhn­e in Bliesen darf Inhaberin Angela Müller endlich wieder Kunden bedienen – die Nachfrage war riesig.
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FOTO: BECKERBRED­EL Michael Genth vor seinem Laden „Leder Spahn“in der Saarbrücke­r Bahnhofstr­aße. Von der Terminrege­l hält der Unternehme­r wenig.

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