Chaos um Regeln für Einreise aus Frankreich
Ab heute brauchen auch Pendler ins Saarland einen negativen Corona-Schnelltest. Die Testkits sind bei den Firmen bereits vergriffen. Die geplanten Verschärfungen in Frankreich stehen auf der Kippe.
(gö/hem/kip) Die Einstufung des französischen Départements Moselle als Virusvariantengebiet durch die Bundesregierung hat am Montag im Saarland für erheblichen Wirbel gesorgt. Ab diesem Dienstag wird der Nahverkehr mit Bus und Bahn nach Deutschland eingestellt, vorerst bis Mittwoch. Aber auch die Corona-Testpflicht, die dann für Menschen gilt, die aus dem Département nach Deutschland einreisen, stellt die Unternehmen im Saarland vor große Herausforderungen. So waren die 100 000 kostenlosen Antigen-Schnelltests, die die Landesregierung Betrieben zur Verfügung stellt, bereits am Montagmittag vergriffen. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Saarland, über die die Verteilung der Tests läuft, sucht bereits nach weiteren Bezugsquellen. Denn die Betroffenen brauchen alle 48 Stunden einen frischen Test.
Aber auch die Unternehmen selbst bemühen sich, ihren in Frankreich lebenden Mitarbeitern Schnelltests anbieten zu können. Der Automobil-Zulieferer ZF nahm in seinem Saarbrücker Werk am Montag ein eigenes Testzentrum in Betrieb, wie eine Unternehmenssprecherin mitteilte. Dort könnten sich die 1200 Mitarbeiter aus Frankreich drei Mal pro Woche auf das Virus testen lassen. Bei Ford in Saarlouis, wo 700 der rund 5000 Mitarbeiter aus Frankreich kommen, wird die Einrichtung eines solchen Testzentrums noch geprüft. Wie Ford empfiehlt auch der Automobilzulieferer Bosch seinen 70 Grenzpendlern im Homburger Werk, ihren Corona-Test möglichst in Frankreich zu machen. Im Unternehmen selbst stünden ebenfalls Testkapazitäten zur Verfügung, sagte ein Sprecher. Und ab diesem Dienstag auch am Grenzübergang Goldene Bremm. Das deutsch-französische Testzentrum, das in den vergangenen Tagen dort aufgebaut wurde, geht laut Saar-Europaministerium dann in Betrieb.
Die Bundespolizei kündigte an, die verschärfte Testpflicht stichprobenartig zu kontrollieren. Die Landesregierung setze dabei auf das „Fingerspitzengefühl“der Einsatzkräfte, teilte sie am Abend mit. Stationäre Grenzkontrollen soll es nicht geben.
Unterdessen setzt Frankreich die zuvor angekündigten verschärften Einreiseregeln aus Deutschland inklusive einer Testpflicht offenbar zunächst nicht um. Die bisherigen Regeln seien zunächst weiter in Kraft, erklärte die Präfektur in Metz.
Kritik an dem Schritt der Bundesregierung kam am Montag von den Fraktionen im Saar-Landtag. Über die Entscheidung sei er „nicht glücklich“, sagte Hermann Scharf, CDU-Vize-Fraktionschef. SPD-Fraktionschef Ulrich Commerçon warnte vor „völlig sinnlosen Maßnahmen“. Auch AfD und Linke übten Kritik. „Der Virus wird durch Grenzschließungen nicht aufgehalten“, sagte Jochen Flackus, parlamentarischer Geschäftsführer der Linken.
„Der Virus wird durch Grenzschließungen nicht aufgehalten.“
Jochen Flackus
Linksfraktion im Saar-Landtag
SAARBRÜCKEN/ST. INGBERT/ST. WENDEL
(SZ/afp) Michael Genth ist einer der wenigen, der in der Saarbrücker Bahnhofstraße noch einen inhabergeführten Einzelhandel betreibt. Sein Lederwarengeschäft war am Montag noch immer geschlossen – dabei darf es laut den nun geltenden Corona-Regeln prinzipiell wieder Kunden empfangen. Allerdings nur auf Termin und nur einzeln beziehungsweise mit einer weiteren Person aus dem eigenen Haushalt. Es ist der erste kleine Schritt aus dem Corona-Lockdown. Auch Friseure, Nagelstudios und die Außenbereiche der Gartencenter dürfen im Saarland – wie auch andernorts – seit Montag wieder öffnen.
Genth hält allerdings wenig von der Termin-Regelung für den Einzelhandel. „Wir brauchen eine Regel, bei der wir öffnen können unter Bewertung des Infektionsrisikos. Bewährt haben sich die Quadratmeterregeln. Die sind transparent, einfach und leicht zu prüfen“, sagt er. Zumal der Einzelhandel nie im Verdacht gewesen sei, ein Pandemietreiber zu sein. Dennoch waren die meisten Geschäfte – außer jene, die Waren des täglichen Bedarfs führen – zweieinhalb Monate lang geschlossen. Erlaubt war nur das sogenannte Click & Collect: Die Kunden konnten zuvor bestellte Waren vor Ort abholen. Die Neuregelung für den Einzelhandel erlaubt nun auch etwa die Anprobe von Kleidung vor Ort.
Ein wenig überrumpelt von den neuen Regeln ist Holger Wilhelm von der Saarbrücker Erlebnisgärtnerei Storb. Er hat am Montag seinen Außenbereich geöffnet und kann damit bestenfalls den halben Umsatz sichern: „Wir hatten keine Vorbereitungszeit, wir können unmöglich über ein Wochenende das Freigelände komplett bestücken. Außerdem ist nachts noch Frost, wir müssen die blühenden Pflanzen auf Rollwagen ins Freie bringen und sie nachts wieder ins Gewächshaus stellen. So viele Rollwagen haben wir nicht“, sagt der Betriebsinhaber und ärgert sich ein wenig über die Spontanität der Lockerungen. Man habe kaum Zeit, sich auf die Vorgaben einzustellen. Er sei aber froh, dass er nun überhaupt Kunden bedienen könne.
Froh sind auch die Friseure, die seit Montag wieder öffnen dürfen – und die Kunden, die endlich den langersehnten Haarschnitt bekommen. „Das Telefon hat in den letzten Tagen nicht mehr stillgestanden“, berichtet Angela Müller, Inhaber des Salons Glüxsträhne in Bliesen. Rückblickend beklagt die Friseurmeisterin allerdings einen großen finanziellen Verlust nach zweieineinhalb Monaten Zwangsschließung. „Die Kasse ist leer, die beantragten Hilfen sind noch nicht ausgezahlt worden. Länger als vier Wochen hätte ich das nicht mehr durchgehalten“, erläutert Müller ihre Situation.
Glücklich, wieder öffnen zu dürfen, ist auch Vincenza Gentile, die seit 1994 einen Salon in der St. Ingberter
Innenstadt betreibt. Sie sei „einfach nur froh, wieder Menschen verschönern zu können“, sagt sie freudestrahlend. Allerdings gelten auch nach der Wiederöffnung Einschränkungen. Einen Kaffee trinken und nebenher eine Zeitschrift lesen, während man die Haare trocknen lässt, gehört weiterhin der Vergangenheit an. Zudem gilt die Zehn-Quadratmeter-Regel, wonach sich auf dieser Fläche maximal eine Person aufhalten darf. Hat der Ladenbereich also eine Fläche von 60
Quadratmetern, dürfen sich dort sechs Personen aufhalten – egal ob Kunde oder Mitarbeiter.
Klar ist: Ohne Hygienekonzepte wird es bis auf weiteres nicht gehen. Auf dieser Basis drängt nicht nur der Einzelhandel vor den Bund-Länder-Gesprächen am Mittwoch auf weitere Öffnungsschritte – trotz zuletzt wieder steigender Infektionszahlen. Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und die Wirtschaftsminister der Länder dringen auf branchenübergreifende
Lockerungen bereits im März. In einem mit den Wirtschaftsverbänden abgestimmten Öffnungskonzept rücken sie dabei von der „ausschließlichen Orientierung“an bundesweiten Inzidenzwerten ab – diese sagten nur wenig über die Lage in einzelnen Ländern und Landkreisen aus.
Altmaier hatte bereits am Freitag ein Öffnungskonzept angekündigt, das mehr Kriterien als nur die Inzidenz berücksichtigen solle – etwa die Arbeitsfähigkeit der Gesundheitsämter oder die Auslastung der
Intensivbetten. Eine Sprecherin seines Ministeriums sagte am Montag in Berlin, auch Schnelltests spielten dabei eine wichtige Rolle.
Und so heißt es nun in dem Papier, dass sich die große Mehrzahl der Verbände und der Landeswirtschaftsminister „nachdrücklich für verantwortliche branchenübergreifende Öffnungsschritte bereits im Monat März ausgesprochen“habe. Das schließe den Einzelhandel und die Gastronomie mit ein, „jedenfalls im Außenbereich“. Zudem müsse es darüber hinaus eine „klare und vorausschaubare Perspektive“für weitere Öffnungsschritte geben.
In Saarbrücken beobachtet der Gewerbeverbandsvorsitzende Michael Genth in diesem Zusammenhang auch aufmerksam die Gerichtsprozesse großer Einzelhandelsunternehmen. Auch kleinere Anbieter hätten sich zu Sammelklagen zusammengeschlossen. Trotzdem wünsche er sich kein Gerichtsurteil sondern „einfache und nachvollziehbare Regeln“, die solche juristischen Auseinandersetzungen überflüssig machen. „Ziel sollte es sein, eine breite Öffnung für alle zu ermöglichen“, sagt der Gewerbeverbandsvorsitzende.