Zahl der traumatisierten Soldaten steigt
Die Zahl der im Einsatz traumatisierten Soldaten steigt seit Jahren. Bei der Therapie können auch speziell ausgebildete Hunde unterstützen.
Trotz sinkender Einsatzzahlen steigt die Zahl der Soldaten mit Posttraumatischer Belastungsstörung bei der Bundeswehr. 2020 registrierte die Bundeswehr 213 Neuerkrankte. Therapiehunde sollen bei der Behandlung helfen.
BREMERHAVEN/GARLSTEDT (dpa) Hauptfeldwebel Alexander Schmidt ist in seinem Feldanzug eine imposante Erscheinung. Groß und breitschultrig. Unverwüstlich, so scheint es. Doch der Eindruck täuscht. Er leidet unter Ängsten, Alpträumen und Aggressionen. Menschenansammlungen erträgt er nicht, über Wiesen zu gehen, schaffte er lange nicht. Seine Söhne durften, als sie klein waren, in seiner Gegenwart nicht mit Wasserpistolen spielen. Lautstark platzende Luftballons bringen ihn heute noch in seelische Nöte. Schmidt hat nach mehreren Auslandseinsätzen der Bundeswehr eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS).
Ausgelöst wird die psychische Erkrankung durch das Erleben von Gewaltverbrechen oder Kriegshandlungen. Was Schmidt erlebte, darüber will er nicht reden. Nur so viel: Als Sanitätssoldat fuhr er 1996 während des Kosovokriegs im Panzerkonvoi durchs ehemalige Jugoslawien. Er kehrte bereits von dort traumatisiert zurück, doch bemerkte er es nicht. „Man ignoriert das“, erzählt Schmidt. Schmidt bekam mit der Zeit jedoch immer schlimmere Depressionen, in sogenannten Flashbacks durchlebte er wiederholt traumatische Situationen. Nach zwei Suizidversuchen konnte ihn seine Frau endlich dazu bewegen, sich therapeutische Hilfe zu holen.
Die Zahl der neu erkrankten Soldatinnen und Soldaten mit einsatzbedingter PTBS steigt seit Jahren. Im Jahr 2020 registrierte die Bundeswehr trotz sinkender Einsatzzahlen im Ausland 213 Neuerkrankte gegenüber 183 im Jahr 2019. Matthias Frank vom Sanitätsdienst der Bundeswehr sieht einen Grund dafür darin, dass Betroffene sich erst nach Jahren des Leidens Hilfe holten. „Viele denken, ihre Beschwerden gehen von allein wieder weg und kommen erst, wenn der Druck von der Familie zu groß geworden ist.“Vor allem die Folgen des Afghanistan-Kampfeinsatzes von 2001 bis 2015 wirkten immer noch nach. „Das ist wie eine Bugwelle, die wir vor uns herschieben.“
Wie Alexander Schmidt wollte auch Kapitänleutnant Frederik Hesse seine psychische Erkrankung lange nicht wahrhaben. Erst als seine Tochter zur Welt kam, zog er die Reißleine und begab sich in Behandlung. „Bis dahin habe ich das zwölf Jahre mit mir herumgetragen“, sagt Hesse. Auch ihm fällt es nicht leicht, über seine Erkrankung und die Vorgeschichte zu sprechen.Während eines Einsatzes 2005 wurde das Schiff von Hesse nach Südostasien beordert, um nach dem Tsunami humanitäre Hilfe zu leisten. Er sah Wasserleichen, erlebte das Verbrennen von Massengräbern mit. „In dem Moment habe ich das gar nicht als belastend empfunden“, erzählt Hesse. Auf der Rückreise saß er mit einem Kameraden in einer Bar in Singapur. „Plötzlich sind wir beide wie auf Knopfdruck in Tränen ausgebrochen.“Er suchte jedoch keine Hilfe, machte weiter Einsätze. Gleichzeitig zog er sich sozial immer mehr zurück, wurde depressiv, bekam Angstzustände.
Sowohl Schmidt als auch Hesse geht es heute deutlich besser. Sie befinden sich seit Jahren sowohl in stationärer als auch ambulanter Behandlung. Therapiebegleitend unterstützen sie ihre Hunde. Schmidt hat seit drei Jahren den Labradormischling „Krümel“an seiner Seite. Der Assistenzhund ist speziell dafür ausgebildet, sein Herrchen in schwierigen Situationen zu helfen. „Wenn ich einen Alptraum oder einen Flashback habe, merkt er es, stupst mich an und bringt mich wieder ins Hier und Jetzt“, erklärt Schmidt. Weil „Krümel“ihm so guttut, möchte er, dass auch andere PTBS-erkrankte Soldaten von einem Therapiehund profitieren können.
Daher gründete Schmidt 2019 die „Aktion Pfötchen“. Zusammen mit anderen Ehrenamtlichen bei der Bundeswehr sammelt er in großem Stil Kronkorken ein, um sie zum Metallhändler zu bringen. Rund 14 000 Euro kamen so 2020 zusammen. PTBS-Betroffene sollen damit bei den Ausbildungskosten für ihren Therapiehund unterstützt werden.
„Wenn ich einen Alptraum oder einen Flashback habe, merkt
er es, stupst mich an und bringt mich wieder
ins Hier und Jetzt.“
Alexander Schmidt
Hauptfeldwebel bei der Bundeswehr