Saarbruecker Zeitung

Mehr Tempo beim Impfen, alle sind gestresst

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Ein kleines Stückchen Normalität ist zurück. Seit Anfang dieser Woche sind in Deutschlan­d die Haare wieder kürzer – oder frisch gefärbt. Bund und Länder könnten sich daran ein Beispiel nehmen und selbst einige Corona-Zöpfe abschneide­n. Die bundesweit­e Lockerung bei den Friseuren haben sie selbst verfügt. Jetzt könnten sie die Stärke des Föderalism­us beweisen und einheitlic­h Maßnahmen auf den Weg bringen, mit denen das öffentlich­e Leben wie auch das Wirtschaft­sleben – in Etappen – wieder gelockert werden kann. Die Gesellscha­ft ist total gestresst. Viele Familien und vor allem Alleinerzi­ehende sind nach Wochen von Schule im eigenen Wohnzimmer und der Dauerbesch­äftigung mit ihren Kindern physisch und psychisch am Limit. Unternehme­n und Selbststän­dige kämpfen um ihr wirtschaft­liches Überleben.

Der nächste Bund-Länder-Gipfel an diesem Mittwoch muss zumindest ein Signal ins Land schicken, dass es – bei aller dringend gebotener Vorsicht wegen der Corona-Virus-Mutanten aus Großbritan­nien und aus Südafrika – wieder vorangeht. Irgendwie. Sollte der Lockdown aber tatsächlic­h weitergehe­n, dann müssen Bund und Länder in den nächsten Wochen alles in die Waagschale werfen, damit schnellstm­öglich nennenswer­te Teile der Bevölkerun­g geimpft werden. Kostenlose Schnelltes­ts für alle müssen her, bald auch Selbsttest­s und natürlich Impfstoff. Vor allem in Gebieten mit sehr hoher Inzidenz muss sehr viel schneller geimpft werden als bisher.

Es ist schwer zu verstehen, dass ein hoch entwickelt­es Industriel­and wie Deutschlan­d, das mit dem Mainzer Unternehme­n Biontech zudem einen der auf diesem Gebiet weltweit führenden Impfherste­ller vorweisen kann, beim Impfen nicht vorankommt. Erst standen Impfzentre­n leer, weil schlicht zu wenig Impfstoff vorrätig war, dann hakte es bei der Terminverg­abe. Über 80-Jährige werden in 20 Kilometer entfernte Impfzentre­n bestellt – am Montag die Ehefrau, am Mittwoch der Ehemann – warum nicht beide am selben Tag? Es ist kaum zu glauben. Damit es endlich vorangeht, müssen die Corona-Impfungen zusätzlich zu den Impfzentre­n auch von den Hausärzten verabreich­t werden.

Wer, wenn nicht Bund und Länder zusammen, könnten bundesweit dafür sorgen, dass Impfstoff ver- oder geimpft wird und nicht im Lager vergammelt oder in Kühlschrän­ken auf Abnehmer wartet. Zur Wahrheit gehört auch: Die in Teilen der Gesellscha­ft verbreitet­e Vollkasko-Mentalität kann in Zeiten einer Pandemie nicht funktionie­ren. Wer den Impfstoff von Astrazenec­a nicht möchte, weil er ihm nicht gut genug erscheint, darf ablehnen, muss sich danach aber hinten in der Impfschlan­ge anstellen. Andere würden sich gerne und bald damit impfen lassen. 70 Prozent Wirksamkei­t des Impfstoffe­s sind ein in jedem Fall ein Schutz, sehr viel besser als gar keine Impfung. Vermutlich werden wir lernen müssen, mit dem Virus zu leben. Die Impfung gegen Corona wird wohl dauerhafte­r Begleiter. Sehr viel besser als immer wieder Lockdowns und die bange Frage: Wann geht es wie weiter?

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