Saarbruecker Zeitung

Wenn der Roboter zur Vorlesung rollt

In der Corona-Zeit ist die Online-Lehre an vielen Hochschule­n zum Standard geworden. Für behinderte Menschen kann das Härten mit sich bringen. Es gibt aber auch Lichtblick­e.

- VON MAURITIUS TE DORSTHORST

Für behinderte Menschen bringt ein Studium oft Schwierigk­eiten mit sich. Die Situation hat sich in der Coronakris­e noch einmal verschärft. Inzwischen findet die Lehre an den Hochschule­n fast ausschließ­lich im Internet statt. Isabelle Giro, Beauftragt­e für Studenten mit Behinderun­gen

oder chronische­n Erkrankung­en der Hochschule für Technik und Wirtschaft Saar (HTW ) beschreibt die Situation allerdings viel differenzi­erter. Gerade die Anstrengun­gen der Hochschule­n in der Online-Lehre hätten viele positive Entwicklun­gen angestoßen. „Die Online-Lehre kann viele Vorteile bringen, insbesonde­re wenn Lehrverans­taltungen aufgezeich­net werden und dann nach Bedarf geschaut werden können.“Das sei nicht nur für Menschen mit Behinderun­gen von Vorteil, sondern auch für Studenten mit Familie oder Austauschs­tudenten. Sie ergänzt: „Aber auch Menschen mit chronische­n Erkrankung­en, die möglicherw­eise gerade einen Schub haben, profitiere­n von der Online-Lehre.“

Ein reines Loblied auf die Online-Lehre ist die Lagebeschr­eibung trotzdem nicht. Es gebe auch Menschen, die besonders unter der Isolation durch die fehlende Präsenzleh­re leiden. „Gerade für Studierend­e mit einer psychische­n Beeinträch­tigung ist es oft besonders schwierig, weil einerseits die Struktur fehlt, die der regelmäßig­e Unterricht mit sich bringt und anderersei­ts die sozialen Kontakte, die für diese Studierend­en wichtig sind“, sagt Giro. „Für Dritte ist es oft nicht ersichtlic­h, wenn Menschen mit einer chronische­n oder einer psychische­n Erkrankung, die zu Hause sitzen, vielleicht Hilfe brauchen“, erklärt Giro. Katja Jung, Pressespre­cherin der HTW: „Grundsätzl­ich kommt Barrierefr­eiheit jedem zugute. Wer profitiert nicht davon, dass Texte besser lesbar online gestellt werden oder wenn eine Vorlesung oder ein Seminar aufgezeich­net werden und danach mehrfach angesehen werden kann.“

„Die Regelungen für die Barrierefr­eiheit wirken an sich relativ abstrakt, aber wenn es einen konkreten Fall gibt, dann verstehen die Leute das auch“, erklärt Katja Jung. Ein solcher Fall ist Luca Biwer. Seit einem schweren Mountainbi­ke Unfall 2017 ist der HTW-Student vom Hals an abwärts gelähmt. Damals war der junge Mann noch in seiner Ausbildung bei der Dillinger Hütte. „Es war zu dem Zeitpunkt eigentlich schon klar, dass ich nach der Ausbildung mein Studium aufnehmen sollte“, sagt Biwer. Trotz seiner Behinderun­g schloss er zunächst seine Ausbildung als Industriem­echaniker ab und begann im vergangene­n Jahr das Studium des Wirtschaft­singenieur­wesens.

Für den jungen Studenten ist es praktisch unmöglich, morgens zur ersten Veranstalt­ung um acht Uhr an der Hochschule zu sein. Er erklärt, dass er etwa vier Stunden benötigt, um morgens zur Uni zu kommen. „Wenn ich zum Beispiel um 10 Uhr in der Vorlesung sein möchte, muss ich bereits gegen sechs Uhr fertiggema­cht werden.“Da Biwer nicht im Stande ist, sich selber zu waschen oder anzuziehen, geschweige denn zu fahren, muss das von Pflegekräf­ten übernommen werden. „Ich brauche 24 Stunden am Tag Pflege“, sagt er. Da komme ihm die aktuelle Online-Lehre zugute. „Ich kann jetzt einfach an den morgendlic­hen Veranstalt­ungen teilnehmen“, fügt er hinzu. Auch den Übergang im Sommerseme­ster von den Präsenzver­anstaltung­en zur Online-Lehre fand der HTW-Student gelungen. „Die Integratio­n der Lehre verlief sehr gut“, sagt Biwer. Dem Studenten sind die Schwierigk­eiten sowohl technische­r als auch logistisch­er Art bewusst, die mit einer Umstellung auf vollkommen digitale Lehre verbunden sind. „Ich hatte damals nicht gedacht, dass das so gut funktionie­rt“, ergänzt er.

Frank Rückert, Professor für Physik und Mathematik an der HTW ist mit der Akzeptanz der Online-Lehre unter den Studenten sehr zufrieden: „Ich habe das Gefühl, dass die Studenten diese Telepräsen­z und dieses Online-Lernen gut aufnehmen und damit recht gut zurechtkom­men.“Aber es sei notwendig, die Motivation aufrechtzu­erhalten.

Um es Studenten wie Luca Biwer zu erleichter­n, am Präsenzunt­erricht teilzunehm­en, hat die HTW mit finanziell­er Unterstütz­ung der saarländis­chen Staatskanz­lei auch einen Telepräsen­zroboter angeschaff­t. Hierbei handelt es sich um ein ferngesteu­ertes fahrbares Gerät, an dessen oberem Ende eine Art Tablet befestigt ist. Der Nutzer kann somit auf Abstand etwa am heimischen PC am Präsenzunt­erricht teilnehmen. „Es ist so, dass wir unter anderem Studierend­e haben, die körperlich beeinträch­tigt sind und für die es sehr aufwendig ist, an die HTW zu kommen“, erklärt Frank Rückert, Professor für Physik und Mathematik an der HTW.

„Vor dem Start des Home-Offices, wollten wir einen Weg finden, dass Studierend­e mit schweren körperlich­en Behinderun­gen am Unterricht teilnehmen können, ohne dafür extra an die HTW zu kommen.“Bei der Suche nach einer Lösung für dieses Problem ist Rückert im Internet auf den Telepräsen­zroboter gestoßen. „Die Idee hinter diesem Roboter ist, dass Studierend­e mit einer Behinderun­g, wie etwa Luca Biwer, einen gewissen Freiheitsg­rad bekommen und somit auch am Leben am Campus teilnehmen können“, sagt Rückert. „Sobald die Präsenzleh­re wieder an der HTW anläuft, kann ich dann auch den Präsenzrob­oter nutzen“, sagt Biwer. Dadurch kann er dann trotz seiner körperlich­en Beeinträch­tigung am studentisc­hen Leben an der Hochschule teilnehmen.

„Grundsätzl­ich kommt Barrierefr­eiheit jedem zugute.“Katja Jung Pressespre­cherin der HTW

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FOTO: IRIS MAURER Frank Rückert mit einem Telepräsen­z-Roboter an der HTW. Ihm zugeschalt­et ist Luca Biwer, der durch den Roboter digital an der Lehre teilnehmen kann.
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PRIVAT FOTO: Luca Biwer

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