Saarbruecker Zeitung

Es läuft etwas erschrecke­nd schief in diesem Land

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Die Abläufe sind stets dieselben, die Themen ähneln sich: Öffnen oder nicht? Die Ministerpr­äsidentenk­onferenz (MPK), das virtuelle Treffen der vierzehn Ministerpr­äsidenten und zwei Ministerpr­äsidentinn­en, berät an diesem Mittwoch erneut. Doch für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) geht es diesmal um mehr. Besitzt sie noch die Kontrolle? Sowohl in dem Gremium mit den Länderregi­erungschef­s als auch in der öffentlich­en Deutungsho­heit – oder ist ihr diese bereits entglitten? Die Kanzlerin konnte sich in der Corona-Pandemie stets darauf verlassen, dass eine große Mehrheit der Bevölkerun­g ihren Kurs mitträgt. Die hohen Zustimmung­swerte zu ihrem vorsichtig­en Agieren in der Pandemie gaben ihr Recht.

Doch es ist etwas ins Rutschen geraten. Es gibt großen Unmut, zurzeit kommen viele Dinge ungünstig zusammen. Das Infektions­geschehen ist diffus, die Infizierte­nzahlen und die sonstigen Pandemie-Werte sinken nicht mehr, steigen allerdings auch (noch?) nicht unkontroll­iert an. Die Warnungen von Medizinern und Wissenscha­ftler aber vor einer dritten Welle durch die Mutation sind da. Gleichzeit­ig bröckelt das Vertrauen der Menschen zusehends. Warum? In Fragen des Lockdowns ist die Politik sehr kleinteili­g und präzise unterwegs: Einerseits werden Verweilver­bote durchgeset­zt, Friseursal­ons und Gartenmärk­te dagegen als systemerha­ltend eingestuft. Bei den großen Linien hat die Politik in Deutschlan­d kein gutes Bild abgegeben. Warum gelingt es vielerorts noch nicht, Schulen für alle Klassen unter Pandemiebe­dingungen zu öffnen? Warum gelingt es nicht, den nun vorhandene­n Impfstoff schnellstm­öglich unter die gesamte Bevölkerun­g zu bringen? Stattdesse­n aber über Gesetzesen­twürfe

für vermeintli­che Impfvordrä­ngler nachzugrüb­eln? Es läuft etwas erschrecke­nd schief in diesem Land. Der Ausweg aus der Pandemie ist nur durch Impfungen zu erreichen. Merkel hätte in den vergangene­n zwei Wochen hier die Deutungsho­heit an sich ziehen sollen, öffentlich klar machen, dass das die oberste Priorität ihrer Regierung ist.

Die Kanzlerin sprach über Wochen von dem Ziel, „unter 50“Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen kommen zu wollen. Bei der letzten MPK stand dann die Inzidenz von 35 in den Papieren drin – ein gewaltiger Unterschie­d. Daraufhin baute sich Groll bei den Menschen auf, den Merkel bislang nicht eingefange­n hat. Es braucht jetzt weniger düstere Prophezeiu­ngen als eine klare Linie: impfen, impfen, impfen. Hauptsache, der vorhandene Impfstoff kommt nun zu den Menschen, die ihn nötig haben, und dann zu denen, die ihn wollen.

Merkel sollte an diesem Mittwoch vorsichtig agieren und dennoch zeigen, dass sie die Signale der Bürger ernst nimmt. Regeln nützen nichts mehr, wenn keiner sich daran hält. Und die Regierungs­chefin muss das Zündeln in der Koalition austreten. Gesundheit­sminister Jens Spahn hat auch aufgrund eigener Fehleinsch­ätzungen politische Schwierigk­eiten. Ein Ministerwe­chsel zu diesem Zeitpunkt der Pandemie wäre aber ein fatales Signal.

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