„Manche Waren kamen nicht über die Grenze“
Die Leiterin der Wirtschaftsabteilung im Klinikum Saarbrücken über die Herausforderungen, an Schutzmaterialien zu gelangen.
Pflegekräfte und Ärzte kämpfen in der Corona-Pandemie an vorderster Front. Auch hinter den Kulissen setzt die Krise dem Klinikpersonal zu. Mitarbeiter telefonieren sich die Finger wund, und sorgen tagtäglich für ausreichend Nachschub von Schutzmaterialien. Christiane Biewer-Schubert (57) leitet seit 26 Jahren die Wirtschaftsabteilung des Klinikums Saarbrücken auf dem Winterberg. Im SZ-Interview erzählt sie, vor welchen Herausforderungen sie und ihr Team seit einem Jahr stehen.
Masken, Handschuhe, Kittel und Desinfektionsmittel sind Standard in Kliniken. Wie hat sich die Corona-Pandemie bisher auf den Verbrauch dieser Schutzausrüstung in Ihrem Krankenhaus ausgewirkt?
BIEWER-SCHUBERT Massiv. Im Vergleich zu 2019 hat sich zum Beispiel unser Maskenverbrauch um 50 Prozent erhöht. Unser Desinfektionsmittelbedarf hat sich verdreifacht. Auch bei den Handschuhen und Kitteln gingen die Zahlen deutlich nach oben. Dabei muss man bedenken, dass wir als Covid-Schwerpunktzentrum nicht die übliche Auslastung hatten, weil das elektive (planbare) OP-Programm über längere Zeit drastisch reduziert werden musste, um Versorgungskapazitäten für Covid-Patienten bereitzustellen.
Gerade zu Beginn der Pandemie gab es in vielen Bereichen Lieferengpässe. Es häuften sich Berichte, dass Klinikpersonal Einmalwaren mehrmals nutzen musste. Auch in Ihrem Haus?
BIEWER-SCUHBERT Das kann ich so nicht bestätigen. Zu Beginn war die Lage unübersichtlich, das stimmt, man musste sich erstmal einen Überblick verschaffen: Was kann wie und wo beschafft werden, wie sind die Lieferverfügbarkeiten und vor allem die Lieferzeiten. Wir waren von Anfang an relativ gut aufgestellt, haben aber den Beschäftigten sehr deutlich gemacht, dass die Elemente der persönlichen Schutzausrüstung ein rares Gut sind, mit dem sorgsam umzugehen ist. Wir wollten alle direkt sensibel dafür machen – ich denke, das ist uns auch ganz gut gelungen. Insbesondere in der Anfangsphase, als wir nicht einschätzen konnten, wie es mit der Versorgungssituation weitergeht, haben wir allen einen sparsamen Umgang vor allem mit FFP-2- und FFP-3-Masken ans Herz gelegt.
Es gab einmal einen Engpass mit Beatmungsschläuchen für die Intensivstationen. Hier haben wir sofort damit begonnen, nach Alternativen zu suchen – beispielsweise ob man die Wiederaufbereitung der Schläuche auch in unserer Zentralsterilisation im Haus stemmen kann. Am Ende kam unser Nachschub aber rechtzeitig. Es ist trotzdem ein gutes Gefühl, wenn man weiß: Es gibt ein Problem, aber wir haben bereits mehrere Alternativlösungen in petto.
Hatte das auch Auswirkungen auf Ihre Bestell-Strategie und interne Prozesse bei der Verteilung auf den Stationen?
BIEWER-SCHUBERT Absolut, anders geht das gar nicht. Masken gab es nur noch, wenn unsere Pflegedienstleitung die Anforderung freigegeben hatte, da der Verbrauch immens in die Höhe geschossen war. Auch bei den Kitteln wurden zu Beginn große Sammelbestellungen von den Stationen abgesetzt. Da hier der Nachschub gerade anfangs ebenfalls schwierig war, wurde jede einzelne Anforderung geprüft. Das war zwar ein zusätzlicher Arbeitsschritt, aber unglaublich wichtig, um den Überblick über die Verbräuche zu behalten.
Wie viele Masken und Kittel hat Ihre Klinik über den Bund beziehungsweise das Land erhalten? Und werden Sie weiterhin von ihnen beliefert?
BIEWER-SCHUBERT Die Kittel waren unser Sorgenkind – sie waren Mangelware, da gab es auch nichts vom Ministerium. Das Land hat uns Mund-Nase-Schutz zur Verfügung gestellt, 120 000 FFP-2-Masken. Es gab zudem auch Spenden aus der Industrie, die diese Masken selbst nutzen und uns zur Verfügung gestellt haben.
Woher beziehen Sie ansonsten die Waren?
BIEWER-SCHUBERT Von unseren Stammlieferanten. Ein Krankenhaus hat ungefähr 1000 verschiedene Lieferanten, bei uns vorrangig große deutsche Firmen, die medizinische Bedarfsgüter herstellen und vertreiben und weltweit Produktionsstätten haben. Natürlich hatten auch diese Firmen Probleme, aufgrund der sehr hohen Nachfrage die Bestellungen „ihrer“Krankenhäuser abzudecken. Wir dürfen nicht vergessen: Es handelt sich um eine weltweite Pandemie, entsprechend bestand und besteht auch weltweit eine erhöhte Nachfrage nach bestimmten Gütern. Recht schnell wurde klar, dass diese Firmen nur noch Kontingente abgeben. Beispielsweise haben wir 50 000 Masken bei einem Zulieferer bestellt, bekamen aber nur 10 000. Wir mussten also das Prozedere ändern: Was vorher unser Zentrallager problemlos bei den Lieferanten abrufen konnte, mussten nun drei Einkäufer aus meiner Abteilung versuchen, am Markt zu bekommen. Im Verbund mit anderen Häusern haben wir versucht, zusätzliche Kontingente bei anderen Lieferanten zu sichern.
Wie schwierig ist es, den Überblick zu behalten zwischen seriösen und dubiosen Anbietern, und gleichzeitig für ausreichend Nachschub zu sorgen?
BIEWER-SCHUBERT Das war die große Herausforderung im letzten Jahr. Auch hier mussten wir viele Prozesse neu aufstellen. Normalerweise ist es so: Wenn wir neue Produkte oder neue Lieferanten ins Portfolio (Bestand) nehmen, werden die Artikel in unserer Einkaufskommission geprüft. In dieser Kommission sitzen der Pflegedirektor, der Ärztliche Direktor, das Hygiene-Team, die Arbeitssicherheit, die Betriebsärztin und der Einkauf. Eine Zusendung von Musterartikeln war aber nicht möglich im letzten Jahr. Wir definierten einen neuen Ablauf: Erst fordern wir die notwendigen Prüfzertifikate an – auf dieser Basis prüfen wir die Qualität der Artikel und in der Folge, ob sie für den Einsatz bei uns auf dem Winterberg geeignet sind.
Weil der Markt vor allem im vergangenen Frühjahr leergefegt war, schnellten die Kosten in die Höhe. Können Sie ein Beispiel nennen, wie enorm sich die Preise im Vergleich zur Zeit vor Corona verändert haben?
BIEWER-SCHUBERT Ein gutes Beispiel ist die OP-Maske. Anfang des Jahres 2020 (vor Corona) haben wir für eine OP-Maske sieben Cent bezahlt. Zeitweise wurde dieser Artikel für 90 Cent pro Stück gehandelt. Die Preise haben sich allerdings nochmals ein Stück weit normalisiert: Zurzeit zahlen wir 17 Cent.
Im Vorgespräch haben Sie berichtet, dass es nicht nur zu Lieferengpässen bei Corona-Artikeln kam. Auch ganz herkömmliches Material war plötzlich schwierig zu bekommen.
BIEWER-SCHUBERT Das ist richtig. Alle Firmen, die Produkte für den medizinischen Bedarf herstellen, haben die Produktion von Corona-spezifischen Produkten hochgefahren. Dadurch fehlten die Kapazitäten für andere Produkte. Es kam zu Lieferverzögerungen. Beispiel: Die Produktion der geschützten geschlossenen Absaugungen wurde erhöht, das war wichtig für die Corona-Patienten auf den Intensivstationen, während gleichzeitig die normalen Absaugungen nicht lieferbar waren. Oder zum Beispiel die zusätzlichen Intensivbeatmungsgeräte, die wir bestellt haben: Diese Geräte werden in der Schweiz produziert, verschiedene Komponenten werden aber aus China zugeliefert. Da diese Teile phasenweise nicht wie geplant nach Europa verschifft werden konnten, gab es Fertigungsverzögerungen.
Wenn Waren, auf die Ihre Mannschaft sehnsüchtig wartet, einfach nicht kommen, dann kommt die Einkaufsabteilung in Zugzwang.
BIEWER-SCHUBERT In der Tat. Es gab viele Momente, in denen uns heiß und kalt gleichzeitig wurde, das können Sie mir glauben. Letztes Jahr waren plötzlich Einmal-OP-Mäntel und virendichte Einmal-Untersuchungskittel nur in deutlich geringeren Mengen lieferbar. Dies lag daran, dass weltweit viele Krankenhäuser auf Einmal-OP-Mäntel, die deutlich teurer sind, umgestiegen waren, weil die Einmaluntersuchungskittel nicht lieferbar waren. Manche Waren haben es auch nicht über Grenzen geschafft, da wurde die Lieferkette unterbrochen, weil beispielsweise die Regierungen in Ägypten oder Thailand Lieferungen mit OP-Masken und FFP-Masken beschlagnahmt haben.
In Rheinland-Pfalz wurden tausende FFP-Masken, die der Bund geliefert hatte, wegen mangelnder Qualität zurückgerufen. Auch im Saarland wurden anfangs Masken ausgegeben, die nicht zertifiziert waren. Wie stellen Sie sicher, dass die Waren, die in Ihrem Haus ankommen, den Standards entsprechen?
BIEWER-SCHUBERT Wir haben interne Prüfprozesse, bei denen verschiedene Fachabteilungen beteiligt sind. Diese werden eingeschaltet, wenn neue Artikel bei uns im Zentrallager gelistet werden. Die Aktion, auf die Sie anspielen, konnte durch den enorm schnellen Einsatz unserer Geschäftsführung zügig geklärt werden: Nach Initiative des Ministeriums wurden die Masken TÜV-geprüft und erhielten die entsprechenden Prüfzertifikate, die Voraussetzung für den Einsatz im Krankenhaus sind.
Haben Sie Verbrauchsartikel auch abgelehnt?
BIEWER-SCHUBERT Klar, wenn sie unseren Qualitäts- und Einkaufskriterien nicht entsprachen, geht das nicht anders. Wir haben aber auch viele Spenden erhalten – und da haben wir grundsätzlich erstmal nichts abgelehnt. Wir waren dankbar für jede Form der Solidarität. Zum Schutz unserer Mitarbeiter haben wir aber natürlich auch bei Spenden unser hauseigenes Prüfsystem aktiviert und vor Ausgabe von gespendeten Artikeln die Teams der Hygiene und der Arbeitssicherheit prüfen lassen, ob diese Artikel in Ordnung sind.