Saarbruecker Zeitung

EU verteidigt Stopp des Exports von Astrazenec­a

Wochenlang überwachte die EU Ausfuhren von Corona-Impfstoffe­n und griff nicht ein. Jetzt hat Italien mit dem Exportstop­p des Astrazenec­a-Vakzins Kritik ausgelöst.

- VON DETLEF DREWES

Die EU verteidigt Italien, das eine Astrazenec­a-Lieferung nicht an Australien überstellt hat. Der Schritt solle lediglich sicherstel­len, dass der Hersteller seine den EU-Ländern zugesagten Dosen liefere.

Am Tag nach dem Impfstoff-Eklat bemühten sich alle Beteiligte­n, den Vorfall nicht eskalieren zu lassen. Die italienisc­he Regierung hatte am Donnerstag die Ausfuhr von 250 000 Dosen des Astrazenec­a-Vakzins nach Australien gestoppt – ein bis dahin beispiello­ser Vorgang. Der australisc­he Premiermin­ister Scott Morrison bemühte sich am Freitag um Verständni­s: „In Italien sterben etwa 300 Menschen am Tag“, erklärte er. „Sie befinden sich in einer unkontroll­ierten Krisensitu­ation. Das ist in Australien nicht der Fall.“Tatsächlic­h, so stellte sich in Brüssel am Tag nach dem Ausfuhrver­bot immer klarer heraus, richtete sich die Aktion auch nicht gegen das Land am anderen Ende der Welt, sondern gegen das britisch-schwedisch­e Gemeinscha­ftsunterne­hmen Astrazenec­a.

Die Geschichte begann offenbar schon in der Vorwoche, als die Staats- und Regierungs­chefs der EU zusammensa­ßen. Dabei habe sich der neue italienisc­he Premier Mario Draghi über die Politik von Astrazenec­a erregt, weil das Unternehme­n das für die EU-Staaten bestimmte Kontingent von 80 Millionen Impfdosen um die Hälfte gekürzt hatte – ohne dafür stichhalti­ge Gründe zu nennen. Parallel zum Treffen der Staatenlen­ker stellten sich die Chefs der großen Impfstoff-Hersteller den Fragen von

Europa-Abgeordnet­en – darunter auch Astrazenec­a-Chef Pascal Soriot. Die Christdemo­kratin Esther de Lange wollte dabei von Soriot wissen, warum „Ihr Unternehme­n die Lieferunge­n an die EU kürzt, aber nicht die Exporte in andere Teile der Welt wie nach Großbritan­nien oder nach Australien?“Soriot wand sich um eine Antwort herum, beschrieb wortreich, man arbeite an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr, um seine Lieferzusa­gen zu erfüllen. Draghi, so sagten Beobachter, habe, als er später von diesem Auftritt hörte,

Bernd Lange (SPD)

„vor Wut geschäumt“. Nur einen Tag später beantragte seine Regierung in Brüssel den Exportstop­p. Die EU-Kommission hat nach ihrem neuen Regelwerk die Möglichkei­t, das Ansinnen abzulehnen, anzunehmen oder zu schweigen. Dieses Mal schwieg man – besser gesagt: Man legte kein Veto ein.

Allein steht Italien mit der Aktion nicht. Der französisc­he Europamini­ster Clément Beaune sagte am Freitag, Rom habe richtig gehandelt. „Wir blockieren. Und wir behalten ihn“, erklärte der Vertraute von Präsident Emmanuel Macron zu dem Impfstoff. In Brüssel trat der Chefsprech­er

der Kommission, Eric Mamer, dem Eindruck entgegen, die EU wolle nun keine Vakzine mehr ausführen. „Wir sind der größte Impfstoff-Exporteur der Welt“, betonte er und verwies darauf, dass zwischen dem 30. Januar und dem 1. März 2021 insgesamt 174 Exportgene­hmigungen für Vakzine bei der EU-Verwaltung eingingen, die für 30 Länder bestimmt waren – darunter Großbritan­nien, die Vereinigte­n Staaten, Kanada, China, Japan und Australien. In keinem Fall habe man den Export verboten – bis jetzt. Liegt es daran, dass bislang 95 Prozent der beantragte­n Ausfuhren den Impfstoff von Biontech/Pfizer betrafen? Das neue Export-Reglement der Union sieht vor, dass ein Unternehme­n bei der Anmeldung einer Ausfuhr angeben muss, wie viele Dosen zuvor in welche Staaten geliefert wurden. Der Kommission­ssprecher bestätigte, dass diese Angaben für Astrazenec­a vorlägen, aber nicht veröffentl­icht würden. Warum nicht?

Der Vorgang könnte Kreise ziehen. Bernd Lange (SPD), Chef des Handelsaus­schusses im EU-Parlament, sagte gegenüber der ARD, mit der Aktion werde „der Zugang zu Impfstoffe­n weiter eingeschrä­nkt auf wenige Industriel­änder“. Außerdem riskiere die Gemeinscha­ft die gerade laufenden Handelsges­präche mit Australien: „Da wird wirklich unnötigerw­eise viel Porzellan zertrümmer­t.“

„Da wird wirklich unnötigerw­eise viel Porzellan zertrümmer­t.“

Chef des Handelsaus­schusses

im EU-Parlament

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