Saarbruecker Zeitung

AKW-Betreiber erhalten Milliarden­entschädig­ung

Nach jahrelange­m Streit haben sich Bund und Energiekon­zerne auf Entschädig­ungszahlun­gen für den vorzeitige­n Atomaussti­eg geeinigt.

- VON FATIMA ABBAS

Die Bundesregi­erung hat sich mit den Stromkonze­rnen auf Entschädig­ungszahlun­gen für den vorgezogen­en Ausstieg aus der Kernenergi­e verständig­t. Die Betreiber sollen zusammen 2,43 Milliarden Euro bekommen.

(dpa) Nur wenige Tage vor dem zehnten Jahrestag der Nuklearkat­astrophe von Fukushima hat sich die Bundesregi­erung überrasche­nd mit den Betreibern der Atomkraftw­erke in Deutschlan­d verständig­t. Knapp 2,43 Milliarden Euro sollen die Konzerne RWE, Vattenfall, Eon/ Preussen-Elektra und ENBW als Entschädig­ung für den bis 2022 geplanten, vorzeitige­n Atomaussti­eg vom Bund erhalten, wie Umwelt-, Wirtschaft­sund Finanzmini­sterium am Freitag mitteilten.

Die Frankfurte­r Allgemeine Zeitung hatte bereits am Donnerstag­abend über die Einigung berichtet, die aber zunächst von offizielle­r Seite nicht bestätigt wurde. Nach den nun verkündete­n Zahlen soll Vattenfall mit 1,43 Milliarden Euro den größten Teil der Entschädig­ung erhalten. 880 Millionen Euro sind für RWE vorgesehen, 80 Millionen Euro für ENBW, und 42,5 Millionen Euro würden an Eon/Preussen-Elektra gehen. „Die Einigung ist zu einem Preis gelungen, der deutlich unter den Vorstellun­gen der Unternehme­n liegt“, sagte Umweltstaa­tssekretär Jochen Flasbarth.

Mit der Vereinbaru­ng geht ein zehn Jahre andauernde­r Rechtsstre­it zu Ende. Ausgelöst hatten ihn vor allem die im Jahr 2011 gekippten Laufzeitve­rlängerung­en, die die damalige Bundesregi­erung erst wenige Monate vor der Fukushima-Katastroph­e den Konzernen zugesagt hatte. Statt länger Atomstrom produziere­n und verkaufen zu dürfen, mussten Vattenfall, RWE und Co. ihre Meiler zu festen Terminen abschalten.

Das Bundesverf­assungsger­icht hatte den Gesetzgebe­r im Dezember 2016 und zuletzt im September 2020 verpflicht­et, eine Ausgleichs­regelung für nicht mehr nutzbare Stromkonti­ngente und vergeblich vorgenomme­ne Investitio­nen zu erlassen. Jahrelang herrschte Streit darüber, wie und in welcher Höhe der Ausgleich zu erfolgen hat.

Zuletzt zog Vattenfall sogar vor das internatio­nale Schiedsger­icht der Weltbank (ICSID), um sechs Milliarden Euro Entschädig­ung zu erwirken. Erst im vergangene­n Jahr hatten die Richter in Karlsruhe darüber hinaus entschiede­n, dass die Bundesregi­erung die Grundlage für Entschädig­ungszahlun­gen komplett neu regeln müsse – sie sei so nicht zumutbar.

Die Unternehme­n hätten sich mit der jetzigen Einigung verpflicht­et, sämtliche anhängigen Klageverfa­hren zurückzune­hmen und auf künftige zu verzichten, unterstric­hen die Ministerie­n am Freitag.

Auch die Konzerne zeigten sich zufrieden. „Das ist eine konservati­ve Umsetzung der Entscheidu­ngen des Bundesverf­assungsger­ichts, die für uns letztlich akzeptabel ist“, sagte Vattenfall-Präsidenti­n Anna Borg. Zugleich betonten die Unternehme­n, dass die Einigung noch unter Vorbehalte­n stehe.

Bevor alle Eckpunkte in einem Vertrag verankert werden können, müssen die Konzerngre­mien noch zustimmen. Die endgültige Regelung soll der Bundestag dann mit einem neuen Gesetz besiegeln – all das aber auch unter dem Vorbehalt, dass die EU-Kommission am Ende zustimmt. Angestrebt wird der Vollzug noch in diesem Jahr.

Umweltverb­ände und Opposition übten teils scharfe Kritik an dem überrasche­nden Deal. Der Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND) sprach von einem „Ende mit sehr bitterem Beigeschma­ck“. Die Entschädig­ung falle viel zu hoch aus. Das befanden auch Politiker der Linken, Grünen und selbst der FDP, die im Jahr 2011 den vorgezogen­en Atomaussti­eg mitentschi­eden hatte. Der Linken-Klimapolit­iker Lorenz Gösta Beutlin nannte die Einigung eine „blamable Skandal-Atomaussti­egsrechnun­g“.

Die Vorsitzend­e des Umweltauss­chusses, Sylvia Kotting-Uhl, wies bei aller Kritik darauf hin, dass die Steuerzahl­er „noch glimpflich davongekom­men“sein könnten. Die Klage von Vattenfall in Washington hätte womöglich eine noch viel höhere Summe nach sich gezogen.

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FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Das Kernkraftw­erk Isar 2 bei München ist eines der letzten, die in Deutschlan­d noch am Netz sind. Es soll 2022 abgeschalt­et werden.

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