Die Parteien ziehen Bilanz im LSVS-Skandal
Der UntersuchungsAusschuss des Landtags zur Finanzaffäre um den saarländischen Landessportverband geht zu Ende. Im Abschlussbericht ziehen die Parteien unterschiedliche Bilanzen.
Der Untersuchungsausschuss zur Finanzaffäre um den saarländischen Landessportverband geht zu Ende. Im Abschlussbericht ziehen die Parteien eine politische Bilanz. Sie könnte unterschiedlicher nicht ausfallen.
Über die Finanzaffäre beim saarländischen Landessportverband (LSVS) ließe sich ein dicker Wälzer schreiben. Sie löste im Saarland ein politisches Beben aus, das überall zu spüren war – weit über Sportplätze und Vereinsheime hinaus. Es erschütterte das Vertrauen vieler Bürger in das Spitzenpersonal von Sport und Politik. Schnell ging es um mehr als ein Millionendefizit beim Dachverband des organisierten Sports, dem rechnerisch gut jeder dritte Saarländer über seinen Verein angehört.
Mit dem LSVS verband man nun Filz und fehlende Kontrolle, Selbstbedienung und ein System der Gefälligkeiten. Man kennt sich, man hilft sich. Niemand verkörperte dieses saarländische Machtprinzip so sehr wie Klaus Meiser (CDU). Mit dem heute 66-Jährigen brachte die Finanzaffäre einen der einflussreichsten Politiker des Landes zu Fall. Als die finanzielle Schieflage des Sportverbandes im Dezember 2017 öffentlich wurde, war er LSVS- und Landtagspräsident in Personalunion. Im Februar 2018 trat Meiser als Parlamentspräsident zurück, zwei Monate später gab er auch das Führungsamt beim LSVS auf. Am 7. März 2019 verurteilte das Saarbrücker Landgericht den Unionspolitiker wegen Untreue und Vorteilsgewährung zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten auf Bewährung. In der heißesten Phase der Finanzaffäre nahm im Mai 2018 auch der Untersuchungsausschuss des Landtages seine Arbeit auf. Er sollte die politische Verantwortlichkeiten aufklären.
28 Sitzungen fanden bis Juni 2020 statt, 44 Zeugen befragten die Abgeordneten in dieser Zeit, manche mehrfach. Jetzt legt der Ausschuss dem Landtag einen Abschlussbericht vor, mitten in der Corona-Pandemie – und einen Monat, nachdem der Verband eine neue Struktur mit zwei hauptamtlichen Vorständen erhalten hat. Knapp 150 Seiten umfasst der allgemeine Teil. Ein dicker Wälzer ist der Bericht nicht, trotzdem hat es das Dokument in sich. Denn es enthält auch die Wertungen der einzelnen Fraktionen, ihre politische Bilanz. Wie konnte es aus Sicht von CDU, SPD und Linke zu den Millionendefiziten beim LSVS kommen? Wen benennen sie als Verantwortliche? Und wie beantworten sie die zentrale Frage der Finanzaffäre: War die finanzielle Schieflage für die Ehrenamtlichen im LSVS-Präsidium zu erkennen?
In ihren Urteilen liegen die Fraktionen teils weit auseinander, das gilt auch für die große Koalition aus CDU und SPD. Ein gemeinsames Votum haben die Regierungsfraktionen nicht abgegeben. Unserer Zeitung liegen Entwürfe für den Abschlussbericht vor. Außerdem haben wir mit Parteivertretern gesprochen. Die unterschiedlichen Positionen im Überblick:
Das sagt die CDU: „Sport muss wieder Sport sein“– so lautet der Kernsatz im Unions-Entwurf. Das Papier trägt die Handschrift von Frank Wagner, dem Obmann der Regierungsfraktion im Ausschuss. „Wir haben gelernt, es wurden massive Konsequenzen gezogen, so etwas darf sich nicht wiederholen“, fasst Wagner im Gespräch die Linie seiner Partei zusammen. Noch wichtiger ist ihm die Botschaft, dass es jetzt gelte, den Blick auf den Sport und „nach vorne“zu richten.
Liest man das Votum der Union, sucht man Namen wie Klaus Meiser vergeblich. Er taucht nur als „Präsident“auf. Die finanzielle Schieflage des Sportverbandes führt die CDU auf „verschiedene Ursachen“zurück. Genannt werden die teure Hermann-Neuberger-Sportschule, die man 1982 vom Land übernommen hatte, oder das ausufernde Personalbudget. Teilweise seien Stellen doppelt, „oftmals zu hohe Entgelte“bezahlt worden. Nur drei Zeilen widmet die Union dem „sonstigen Fehlverhalten“, etwa der Beschäftigung von Meisers damaliger Lebensgefährtin beim LSVS – weil es „verhältnismäßig wenig bis gar keinen Einfluss“auf die finanzielle Schieflage gehabt habe.
Dass der LSVS „jahrzehntelang über seine Verhältnisse“gelebt habe, steht für die Christdemokraten außer Frage: „Dies schien den Handelnden nicht immer bewusst zu sein“, formuliert die Fraktion zurückhaltend. Es habe „zu wenig transparente Kontrolle“gegeben, heißt es in dem CDU-Papier. Einen „Generalverdacht“gegen frühere Granden lehnt die Union ab: Experten hätten Monate benötigt, um die Lage zu erkennen. Die CDU-Fraktion vertritt die Position, dass der Sport trotz der Finanzaffäre „keinen materiellen Schaden“genommen habe. Denn kein Geld sei „zu Ungunsten des Sports verschleudert oder unterschlagen“worden – ein Argument, das Ex-Präsident Meiser zu seiner Verteidigung immer wieder vorbrachte.
Das sagt die SPD: Die SPD zeigt sich angriffslustiger als die Union, beim Koalitionspartner spricht man hinter vorgehaltener Hand von einer Anklageschrift. Die Innenpolitikerin Petra Berg hatte als Obfrau der SPD schon während der Aufklärungsarbeit des Ausschusses an öffentlicher Kritik nicht gespart. „Gerade die ehemaligen Präsidenten haben bis 2017 die existenzielle Schieflage des LSVS verschleiert und mitverursacht“, erklärt Berg auf Anfrage unserer Zeitung. Dabei hätten sie „gegen Recht und Gesetz verstoßen“, befindet sie.
Im Abschlussbericht heißt es, das Fehlverhalten einzelner Personen sei „von hohem parteipolitischem Interesse und auch finanziellem Eigeninteresse“geprägt gewesen. Gleich an mehreren Stellen enthält das Votum der SPD klare Spitzen gegen den Koalitionspartner. Den Ex-LSVS-Präsidenten Meiser und Gerd Meyer, beide Mitglieder der CDU, widmet man eigene Abschnitte. Angeführt wird, dass sich die Defizite bis 2017 auf 13 Millionen Euro summierten, die Kredite immer höher ausfielen – während der LSVS seinen Ehrenpräsidenten Meyer für knapp 20 000 Euro verabschiedete oder 15 Angestellte je mehr als 80 000 Euro im Jahr verdienten. Hätte das Präsidium bemerken müssen, dass der Verband immer tiefer in die roten Zahlen rutscht? In dieser Frage hält sich die SPD in ihrem Urteil zurück. Sie verweist auf einen Gutachter der Staatsanwaltschaft, der zu dem Ergebnis gekommen war, das Defizit des LSVS sei erkennbar gewesen. Jedoch betont die Koalitionsfraktion: Ob jedes Präsidiumsmitglied in der Lage gewesen sei, die Anzeichen zu erkennen, sei nicht festgestellt worden. Tatsächlich hatte die Staatsanwaltschaft umfangreich wegen Haushaltsuntreue gegen die Ehrenamtlichen vermittelt, doch hätte sie ihnen einen bedingten Vorsatz nachweisen müssen. Zu Anklagen kam es daher nicht, die Verfahren wurden gegen hohe Geldauflagen allesamt eingestellt.
Das sagt die Linke: Aus Sicht der Oppositionsfraktion war die finanzielle Misere des LSVS für alle Beteiligten „objektiv erkennbar“. Umfassend verantwortlich seien die jeweiligen Präsidien, doch trage die Rechtsaufsicht beim Innenministerium eine Mitverantwortung für das Ansteigen des Defizits. Für die Linksfraktion „politisch verantwortlich“sind neben dem jetzigen Innenminister Klaus Bouillon auch dessen Vorgängerinnen Monika Bachmann und Annegret Kramp-Karrenbauer (alle CDU). „Der Saar-Sport hat durch die festgestellte Miss- und Vetternwirtschaft, politische Landschaftspflege und die fehlende Aufsicht Millionen verloren“, heißt es in der Bewertung der Linken.
Ausführlich würdigt die Fraktion den sogenannten Verstärkungsfonds, in den Saartoto jährlich 250 000 Euro für den Sport einzahlte. Ein Teil des Geldes bekamen 2016 und 2017 kleinere Vereine – in handlichen Schecks. Überbringer waren hauptsächlich der damalige LSVS-Präsident Meiser und andere CDU-Politiker. Meiser bestritt einen Zusammenhang zur Landtagswahl im März 2017. Dagegen betont die Linke auch im Abschlussbericht des U-Ausschusses, dass die „öffentlichen Mittel nach Gutdünken des LSVS-Präsidenten und in auffälliger Nähe zur Landtagswahl“vergeben worden seien.
Der Ausschuss habe gezeigt, „wie ungeniert jahrelang politische Landschaftspflege und Vetternwirtschaft beim Landessportverband betrieben wurden“, erklärt Jochen Flackus, der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion. Den Schaden hätten Sportler und Vereine, sagt Flackus, „wenn vor Landtagswahlen Schecks nach Gutsherren-Art verteilt, üppige Geburtstagsfeiern spendiert und lukrative Posten für Freunde und Familie geschaffen werden“. Flackus erkundigte sich bei der Landesregierung regelmäßig nach den Aufarbeitungskosten. Die Kosten für Gutachter und Berater taxiert er auf deutlich mehr als eine Million Euro.