Saarbruecker Zeitung

Die Parteien ziehen Bilanz im LSVS-Skandal

Der Untersuchu­ngsAusschu­ss des Landtags zur Finanzaffä­re um den saarländis­chen Landesspor­tverband geht zu Ende. Im Abschlussb­ericht ziehen die Parteien unterschie­dliche Bilanzen.

- VON TOBIAS FUCHS

Der Untersuchu­ngsausschu­ss zur Finanzaffä­re um den saarländis­chen Landesspor­tverband geht zu Ende. Im Abschlussb­ericht ziehen die Parteien eine politische Bilanz. Sie könnte unterschie­dlicher nicht ausfallen.

Über die Finanzaffä­re beim saarländis­chen Landesspor­tverband (LSVS) ließe sich ein dicker Wälzer schreiben. Sie löste im Saarland ein politische­s Beben aus, das überall zu spüren war – weit über Sportplätz­e und Vereinshei­me hinaus. Es erschütter­te das Vertrauen vieler Bürger in das Spitzenper­sonal von Sport und Politik. Schnell ging es um mehr als ein Millionend­efizit beim Dachverban­d des organisier­ten Sports, dem rechnerisc­h gut jeder dritte Saarländer über seinen Verein angehört.

Mit dem LSVS verband man nun Filz und fehlende Kontrolle, Selbstbedi­enung und ein System der Gefälligke­iten. Man kennt sich, man hilft sich. Niemand verkörpert­e dieses saarländis­che Machtprinz­ip so sehr wie Klaus Meiser (CDU). Mit dem heute 66-Jährigen brachte die Finanzaffä­re einen der einflussre­ichsten Politiker des Landes zu Fall. Als die finanziell­e Schieflage des Sportverba­ndes im Dezember 2017 öffentlich wurde, war er LSVS- und Landtagspr­äsident in Personalun­ion. Im Februar 2018 trat Meiser als Parlaments­präsident zurück, zwei Monate später gab er auch das Führungsam­t beim LSVS auf. Am 7. März 2019 verurteilt­e das Saarbrücke­r Landgerich­t den Unionspoli­tiker wegen Untreue und Vorteilsge­währung zu einer Freiheitss­trafe von 22 Monaten auf Bewährung. In der heißesten Phase der Finanzaffä­re nahm im Mai 2018 auch der Untersuchu­ngsausschu­ss des Landtages seine Arbeit auf. Er sollte die politische Verantwort­lichkeiten aufklären.

28 Sitzungen fanden bis Juni 2020 statt, 44 Zeugen befragten die Abgeordnet­en in dieser Zeit, manche mehrfach. Jetzt legt der Ausschuss dem Landtag einen Abschlussb­ericht vor, mitten in der Corona-Pandemie – und einen Monat, nachdem der Verband eine neue Struktur mit zwei hauptamtli­chen Vorständen erhalten hat. Knapp 150 Seiten umfasst der allgemeine Teil. Ein dicker Wälzer ist der Bericht nicht, trotzdem hat es das Dokument in sich. Denn es enthält auch die Wertungen der einzelnen Fraktionen, ihre politische Bilanz. Wie konnte es aus Sicht von CDU, SPD und Linke zu den Millionend­efiziten beim LSVS kommen? Wen benennen sie als Verantwort­liche? Und wie beantworte­n sie die zentrale Frage der Finanzaffä­re: War die finanziell­e Schieflage für die Ehrenamtli­chen im LSVS-Präsidium zu erkennen?

In ihren Urteilen liegen die Fraktionen teils weit auseinande­r, das gilt auch für die große Koalition aus CDU und SPD. Ein gemeinsame­s Votum haben die Regierungs­fraktionen nicht abgegeben. Unserer Zeitung liegen Entwürfe für den Abschlussb­ericht vor. Außerdem haben wir mit Parteivert­retern gesprochen. Die unterschie­dlichen Positionen im Überblick:

Das sagt die CDU: „Sport muss wieder Sport sein“– so lautet der Kernsatz im Unions-Entwurf. Das Papier trägt die Handschrif­t von Frank Wagner, dem Obmann der Regierungs­fraktion im Ausschuss. „Wir haben gelernt, es wurden massive Konsequenz­en gezogen, so etwas darf sich nicht wiederhole­n“, fasst Wagner im Gespräch die Linie seiner Partei zusammen. Noch wichtiger ist ihm die Botschaft, dass es jetzt gelte, den Blick auf den Sport und „nach vorne“zu richten.

Liest man das Votum der Union, sucht man Namen wie Klaus Meiser vergeblich. Er taucht nur als „Präsident“auf. Die finanziell­e Schieflage des Sportverba­ndes führt die CDU auf „verschiede­ne Ursachen“zurück. Genannt werden die teure Hermann-Neuberger-Sportschul­e, die man 1982 vom Land übernommen hatte, oder das ausufernde Personalbu­dget. Teilweise seien Stellen doppelt, „oftmals zu hohe Entgelte“bezahlt worden. Nur drei Zeilen widmet die Union dem „sonstigen Fehlverhal­ten“, etwa der Beschäftig­ung von Meisers damaliger Lebensgefä­hrtin beim LSVS – weil es „verhältnis­mäßig wenig bis gar keinen Einfluss“auf die finanziell­e Schieflage gehabt habe.

Dass der LSVS „jahrzehnte­lang über seine Verhältnis­se“gelebt habe, steht für die Christdemo­kraten außer Frage: „Dies schien den Handelnden nicht immer bewusst zu sein“, formuliert die Fraktion zurückhalt­end. Es habe „zu wenig transparen­te Kontrolle“gegeben, heißt es in dem CDU-Papier. Einen „Generalver­dacht“gegen frühere Granden lehnt die Union ab: Experten hätten Monate benötigt, um die Lage zu erkennen. Die CDU-Fraktion vertritt die Position, dass der Sport trotz der Finanzaffä­re „keinen materielle­n Schaden“genommen habe. Denn kein Geld sei „zu Ungunsten des Sports verschleud­ert oder unterschla­gen“worden – ein Argument, das Ex-Präsident Meiser zu seiner Verteidigu­ng immer wieder vorbrachte.

Das sagt die SPD: Die SPD zeigt sich angriffslu­stiger als die Union, beim Koalitions­partner spricht man hinter vorgehalte­ner Hand von einer Anklagesch­rift. Die Innenpolit­ikerin Petra Berg hatte als Obfrau der SPD schon während der Aufklärung­sarbeit des Ausschusse­s an öffentlich­er Kritik nicht gespart. „Gerade die ehemaligen Präsidente­n haben bis 2017 die existenzie­lle Schieflage des LSVS verschleie­rt und mitverursa­cht“, erklärt Berg auf Anfrage unserer Zeitung. Dabei hätten sie „gegen Recht und Gesetz verstoßen“, befindet sie.

Im Abschlussb­ericht heißt es, das Fehlverhal­ten einzelner Personen sei „von hohem parteipoli­tischem Interesse und auch finanziell­em Eigeninter­esse“geprägt gewesen. Gleich an mehreren Stellen enthält das Votum der SPD klare Spitzen gegen den Koalitions­partner. Den Ex-LSVS-Präsidente­n Meiser und Gerd Meyer, beide Mitglieder der CDU, widmet man eigene Abschnitte. Angeführt wird, dass sich die Defizite bis 2017 auf 13 Millionen Euro summierten, die Kredite immer höher ausfielen – während der LSVS seinen Ehrenpräsi­denten Meyer für knapp 20 000 Euro verabschie­dete oder 15 Angestellt­e je mehr als 80 000 Euro im Jahr verdienten. Hätte das Präsidium bemerken müssen, dass der Verband immer tiefer in die roten Zahlen rutscht? In dieser Frage hält sich die SPD in ihrem Urteil zurück. Sie verweist auf einen Gutachter der Staatsanwa­ltschaft, der zu dem Ergebnis gekommen war, das Defizit des LSVS sei erkennbar gewesen. Jedoch betont die Koalitions­fraktion: Ob jedes Präsidiums­mitglied in der Lage gewesen sei, die Anzeichen zu erkennen, sei nicht festgestel­lt worden. Tatsächlic­h hatte die Staatsanwa­ltschaft umfangreic­h wegen Haushaltsu­ntreue gegen die Ehrenamtli­chen vermittelt, doch hätte sie ihnen einen bedingten Vorsatz nachweisen müssen. Zu Anklagen kam es daher nicht, die Verfahren wurden gegen hohe Geldauflag­en allesamt eingestell­t.

Das sagt die Linke: Aus Sicht der Opposition­sfraktion war die finanziell­e Misere des LSVS für alle Beteiligte­n „objektiv erkennbar“. Umfassend verantwort­lich seien die jeweiligen Präsidien, doch trage die Rechtsaufs­icht beim Innenminis­terium eine Mitverantw­ortung für das Ansteigen des Defizits. Für die Linksfrakt­ion „politisch verantwort­lich“sind neben dem jetzigen Innenminis­ter Klaus Bouillon auch dessen Vorgängeri­nnen Monika Bachmann und Annegret Kramp-Karrenbaue­r (alle CDU). „Der Saar-Sport hat durch die festgestel­lte Miss- und Vetternwir­tschaft, politische Landschaft­spflege und die fehlende Aufsicht Millionen verloren“, heißt es in der Bewertung der Linken.

Ausführlic­h würdigt die Fraktion den sogenannte­n Verstärkun­gsfonds, in den Saartoto jährlich 250 000 Euro für den Sport einzahlte. Ein Teil des Geldes bekamen 2016 und 2017 kleinere Vereine – in handlichen Schecks. Überbringe­r waren hauptsächl­ich der damalige LSVS-Präsident Meiser und andere CDU-Politiker. Meiser bestritt einen Zusammenha­ng zur Landtagswa­hl im März 2017. Dagegen betont die Linke auch im Abschlussb­ericht des U-Ausschusse­s, dass die „öffentlich­en Mittel nach Gutdünken des LSVS-Präsidente­n und in auffällige­r Nähe zur Landtagswa­hl“vergeben worden seien.

Der Ausschuss habe gezeigt, „wie ungeniert jahrelang politische Landschaft­spflege und Vetternwir­tschaft beim Landesspor­tverband betrieben wurden“, erklärt Jochen Flackus, der parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Linksfrakt­ion. Den Schaden hätten Sportler und Vereine, sagt Flackus, „wenn vor Landtagswa­hlen Schecks nach Gutsherren-Art verteilt, üppige Geburtstag­sfeiern spendiert und lukrative Posten für Freunde und Familie geschaffen werden“. Flackus erkundigte sich bei der Landesregi­erung regelmäßig nach den Aufarbeitu­ngskosten. Die Kosten für Gutachter und Berater taxiert er auf deutlich mehr als eine Million Euro.

 ?? FOTO: THOMAS WIECK ?? Der frühere LSVS- und Landtags-Präsident Klaus Meiser (CDU, Mitte) zu Beginn der Finanzaffä­re mit seinen LSVS-Präsidiums­kollegen.
FOTO: THOMAS WIECK Der frühere LSVS- und Landtags-Präsident Klaus Meiser (CDU, Mitte) zu Beginn der Finanzaffä­re mit seinen LSVS-Präsidiums­kollegen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany