Kinderporno-Hinweise überrollen Ermittler
Staatsanwälte im Saarland klagen über massive Personalnot. Doch Justizminister Peter Strobel (CDU) sagt weitere Verstärkung zu.
Bleiben im Saarland Ermittlungen zu schweren Kriminalfällen, etwa im Bereich der Kinderpornografie, der so genannten „Hasskriminalität“oder sonstigen Delikten wie der Internetkriminalität, unerledigt liegen oder wandern auf einen wachsenden Aktenberg?
Diese Gefahr droht offenbar. Der Personalrat der Staatsanwaltschaft Saarbrücken, die für die Strafverfolgung im gesamten Saarland zuständig ist, schlägt jetzt in einem Brandbrief an Finanz- und Justizminister Peter Strobel (CDU) Alarm. In dem Schreiben, das unserer Zeitung vorliegt, ist unter anderem mit Bezug auf steigende Fallzahlen im Bereich der Kinderpornografie, des sexuellen Missbrauchs von Kindern und der „Hasskriminalität“zu lesen: „Eine regelgerechte Bearbeitung der betreffenden Verfahren wird mit der bestehenden Personaldecke definitiv nicht möglich sein. Diese Option besteht nicht!“Optional biete sich an, entweder die Bearbeitung der Delikte „zu verschlanken, oder aber enorme Verfahrensdauern in Kauf zu nehmen.“
Die Absender des Briefes um Oberstaatsanwalt Peter Thome, Vorsitzender des Personalrates, werden deutlich: „Beides konterkariert die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs“und berge „erhebliche Gefahren“, dass es wegen zunehmender Radikalisierung nicht entdeckter rechtsextremer Hasstäter oder Missbrauchstäter zu eigentlich vermeidbaren Straftaten komme.
Die Staatsanwälte verweisen auf mehrere derzeit laufende Verfahren, bei denen Tatverdächtige wegen schwerem sexuellen Missbrauchs von Kindern in Untersuchungshaft sitzen. Den Ursprung haben diese Fälle in Verfahren wegen Besitzes von Kinderpornografie. Personal fehlt bei den Ermittlern, glaubt man den Angaben der Personalräte, an allen Ecken und Kanten. Die Personalräte um ihren Chef Thome fordern den Minister deshalb mit Nachdruck auf, verbindliche Vorgaben des bundesweit einheitlichen Berechungssystems für Personalbedarf bei der Justiz (“Pebb§y“) umzusetzen und damit „eine effektive Strafverfolgung zu ermöglichen“. Derzeit sei eine solide Personalausstattung der Ermittler, auf die immer mehr Aufgaben und Herausforderungen zukämen, nicht gewährleistet.
Nach Angaben und Berechnungen der klagenden Staatsanwälte ist das Saarland bundesweit mit Abstand Schlusslicht, wenn es um die personelle Besetzung der Staatsanwaltschaft geht. Eigentlich, so die
Bedarfsberechnung, waren demnach 79,56 Stellen zu besetzen. Tatsächlich waren 2020 im Durchschnitt aber nur 61,41 Stellen besetzt. Die Personalräte verweisen auf ein 2017 in einem Gespräch mit Staatssekretär Roland Theis (CDU) vereinbartes Zwischenziel von 66 Vollzeitstellen. Damals waren zeitweise nur 57 Stellen besetzt, ehe die zugesagte Verstärkung eintraf.
Seitdem seien Arbeitspensum und Zuständigkeiten weiter gestiegen, beispielsweise im Bereich Cyberkriminalität und eben der Hassdelikte
und der Kinderpornografie. Der Anstieg dieser Fälle ist wohl hauptsächlich auf eine rigorose Verfolgung durch die Behörden in den USA zurückzuführen. Die US-Ermittler geben jeden Fall, der Spuren nach Deutschland aufzeigt, an deutsche Stellen ab. Hier sollen derzeit beim Bundeskriminalamt und der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt wegen einer Umstrukturierung noch 164 Fälle mit Bezug ins Saarland aufgelaufen sein.
Die Personalräte berichten dem Minister, dass sich die Fallzahlen zur
Kinderpornografie seit 2017 „explosionsartig“entwickelt haben. Von 163 Fällen im Jahr 2017 über 201 (2018) und 364 (2019) bis zu 401 im letzten Jahr. Der Trend für 2021 zeigt weiter nach oben. Im Januar waren es bereits 76 neue Verfahren. Eine Prognose erwartet für 2021 etwa 900 Fälle. Die Erfahrung lehrt: Bei fast jeder Durchsuchungsaktion werden Hinweise auf mögliche weitere Tatverdächtige gefunden.
Eine Forderung der Personalräte will Justizminister Strobel zeitnah erfüllen. Zusätzlich zu den bestehenden elf Abteilungen der Staatsanwaltschaft soll eine Abteilung „Cyberkriminalität“eingerichtet werden. Strobel sagt gegenüber der SZ: „Immer mehr Straftaten verlagern sich ins Internet. Den damit verbundenen Herausforderungen für die Strafverfolgung müssen wir uns stellen. Dies geht nur durch ausreichende Personalisierung und Expertise mittels Spezialisierung.“Und er sagt weitere Personalverstärkung zu. Bis zum Jahresende sollen unter dem Strich 70 Vollzeitstellen besetzt sein. Nach Ministeriumsangaben standen zum Monatsbeginn 64,58 Stellen zur Verfügung. Bei der Staatsanwaltschaft werde mit der Aufstockung ein Schwerpunkt zur Steigerung der Effektivität und Schnelligkeit der Strafverfolgung gesetzt, so der Minister. Diese Priorisierung gehe aber zwangsläufig mit Belastungen in anderen Bereich der Justiz einher.