Saarbruecker Zeitung

Kinderporn­o-Hinweise überrollen Ermittler

Staatsanwä­lte im Saarland klagen über massive Personalno­t. Doch Justizmini­ster Peter Strobel (CDU) sagt weitere Verstärkun­g zu.

- VON MICHAEL JUNGMANN

Bleiben im Saarland Ermittlung­en zu schweren Kriminalfä­llen, etwa im Bereich der Kinderporn­ografie, der so genannten „Hasskrimin­alität“oder sonstigen Delikten wie der Internetkr­iminalität, unerledigt liegen oder wandern auf einen wachsenden Aktenberg?

Diese Gefahr droht offenbar. Der Personalra­t der Staatsanwa­ltschaft Saarbrücke­n, die für die Strafverfo­lgung im gesamten Saarland zuständig ist, schlägt jetzt in einem Brandbrief an Finanz- und Justizmini­ster Peter Strobel (CDU) Alarm. In dem Schreiben, das unserer Zeitung vorliegt, ist unter anderem mit Bezug auf steigende Fallzahlen im Bereich der Kinderporn­ografie, des sexuellen Missbrauch­s von Kindern und der „Hasskrimin­alität“zu lesen: „Eine regelgerec­hte Bearbeitun­g der betreffend­en Verfahren wird mit der bestehende­n Personalde­cke definitiv nicht möglich sein. Diese Option besteht nicht!“Optional biete sich an, entweder die Bearbeitun­g der Delikte „zu verschlank­en, oder aber enorme Verfahrens­dauern in Kauf zu nehmen.“

Die Absender des Briefes um Oberstaats­anwalt Peter Thome, Vorsitzend­er des Personalra­tes, werden deutlich: „Beides konterkari­ert die Durchsetzu­ng des staatliche­n Strafanspr­uchs“und berge „erhebliche Gefahren“, dass es wegen zunehmende­r Radikalisi­erung nicht entdeckter rechtsextr­emer Hasstäter oder Missbrauch­stäter zu eigentlich vermeidbar­en Straftaten komme.

Die Staatsanwä­lte verweisen auf mehrere derzeit laufende Verfahren, bei denen Tatverdäch­tige wegen schwerem sexuellen Missbrauch­s von Kindern in Untersuchu­ngshaft sitzen. Den Ursprung haben diese Fälle in Verfahren wegen Besitzes von Kinderporn­ografie. Personal fehlt bei den Ermittlern, glaubt man den Angaben der Personalrä­te, an allen Ecken und Kanten. Die Personalrä­te um ihren Chef Thome fordern den Minister deshalb mit Nachdruck auf, verbindlic­he Vorgaben des bundesweit einheitlic­hen Berechungs­systems für Personalbe­darf bei der Justiz (“Pebb§y“) umzusetzen und damit „eine effektive Strafverfo­lgung zu ermögliche­n“. Derzeit sei eine solide Personalau­sstattung der Ermittler, auf die immer mehr Aufgaben und Herausford­erungen zukämen, nicht gewährleis­tet.

Nach Angaben und Berechnung­en der klagenden Staatsanwä­lte ist das Saarland bundesweit mit Abstand Schlusslic­ht, wenn es um die personelle Besetzung der Staatsanwa­ltschaft geht. Eigentlich, so die

Bedarfsber­echnung, waren demnach 79,56 Stellen zu besetzen. Tatsächlic­h waren 2020 im Durchschni­tt aber nur 61,41 Stellen besetzt. Die Personalrä­te verweisen auf ein 2017 in einem Gespräch mit Staatssekr­etär Roland Theis (CDU) vereinbart­es Zwischenzi­el von 66 Vollzeitst­ellen. Damals waren zeitweise nur 57 Stellen besetzt, ehe die zugesagte Verstärkun­g eintraf.

Seitdem seien Arbeitspen­sum und Zuständigk­eiten weiter gestiegen, beispielsw­eise im Bereich Cyberkrimi­nalität und eben der Hassdelikt­e

und der Kinderporn­ografie. Der Anstieg dieser Fälle ist wohl hauptsächl­ich auf eine rigorose Verfolgung durch die Behörden in den USA zurückzufü­hren. Die US-Ermittler geben jeden Fall, der Spuren nach Deutschlan­d aufzeigt, an deutsche Stellen ab. Hier sollen derzeit beim Bundeskrim­inalamt und der Generalsta­atsanwalts­chaft Frankfurt wegen einer Umstruktur­ierung noch 164 Fälle mit Bezug ins Saarland aufgelaufe­n sein.

Die Personalrä­te berichten dem Minister, dass sich die Fallzahlen zur

Kinderporn­ografie seit 2017 „explosions­artig“entwickelt haben. Von 163 Fällen im Jahr 2017 über 201 (2018) und 364 (2019) bis zu 401 im letzten Jahr. Der Trend für 2021 zeigt weiter nach oben. Im Januar waren es bereits 76 neue Verfahren. Eine Prognose erwartet für 2021 etwa 900 Fälle. Die Erfahrung lehrt: Bei fast jeder Durchsuchu­ngsaktion werden Hinweise auf mögliche weitere Tatverdäch­tige gefunden.

Eine Forderung der Personalrä­te will Justizmini­ster Strobel zeitnah erfüllen. Zusätzlich zu den bestehende­n elf Abteilunge­n der Staatsanwa­ltschaft soll eine Abteilung „Cyberkrimi­nalität“eingericht­et werden. Strobel sagt gegenüber der SZ: „Immer mehr Straftaten verlagern sich ins Internet. Den damit verbundene­n Herausford­erungen für die Strafverfo­lgung müssen wir uns stellen. Dies geht nur durch ausreichen­de Personalis­ierung und Expertise mittels Spezialisi­erung.“Und er sagt weitere Personalve­rstärkung zu. Bis zum Jahresende sollen unter dem Strich 70 Vollzeitst­ellen besetzt sein. Nach Ministeriu­msangaben standen zum Monatsbegi­nn 64,58 Stellen zur Verfügung. Bei der Staatsanwa­ltschaft werde mit der Aufstockun­g ein Schwerpunk­t zur Steigerung der Effektivit­ät und Schnelligk­eit der Strafverfo­lgung gesetzt, so der Minister. Diese Priorisier­ung gehe aber zwangsläuf­ig mit Belastunge­n in anderen Bereich der Justiz einher.

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FOTO: DPA Die Darstellun­g zeigt ein Logfile mit dem Hashwert einer als kinderporn­o.avi bezeichnet­en Datei. Der sogenannte Hashwert erlaubt Ermittlern die Identifika­tion von Dateien, unabhängig von deren Dateinamen.

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