Saarbruecker Zeitung

Gutachten: Zweifel an hoher Neuverschu­ldung des Landes

Das Saarland macht bis 2022 zwei Milliarden Euro neue Schulden. Staatsrech­tler Christoph Gröpl vermutet, dass die Pandemie als Vorwand dafür herhalten musste.

- VON DANIEL KIRCH

Die Milliarden-Neuverschu­ldung des Saarlandes in den Jahren 2020 bis 2022 ist nach Einschätzu­ng des Staatsrech­tlers Christoph Gröpl verfassung­srechtlich in Teilen sehr fragwürdig. Zu diesem Ergebnis kommt der Professor an der Universitä­t des Saarlandes in einem 67-seitigen Gutachten im Auftrag des Bundes der Steuerzahl­er.

Gröpl ist der Ansicht, dass das Land mit dem Nachtragsh­aushalt 2020 und dem Doppelhaus­halt 2021/22 unter dem Deckmantel der Corona-Pandemie Kredite aufnimmt, um damit teilweise Vorhaben ohne Bezug zur Pandemie zu finanziere­n. Nach den Regeln der Schuldenbr­emse sind nur Kredite zulässig, die zur Bewältigun­g der Notsituati­on beitragen. Der Vorsitzend­e des Steuerzahl­erbundes, Christoph Walter, sprach von „verfassung­swidrigen Regelungen“, die der Landtag korrigiere­n müsse. Als „bedenklich“stuft Gröpl schuldenfi­nanzierte Ausgaben für die Digitalisi­erung ein. Die Landesregi­erung argumentie­rt, dass gerade die Pandemie eine verstärkte Digitalisi­erung erforderli­ch mache, etwa an den Schulen. Die Ausgaben stünden „natürlich in einem engen Zusammenha­ng mit der Corona-Krise“, sagte Finanzmini­ster Peter Strobel (CDU) im Dezember im Landtag, „ansonsten hätten wir das so nicht machen können“.

Das lässt Gröpl in seinem Gutachten nicht gelten. Er weist anhand des CDU/SPD-Koalitions­vertrages aus dem Jahr 2017 nach, dass die Digitalisi­erungsoffe­nsive

lange vor der Corona-Pandemie vereinbart war. „Hier besteht die Befürchtun­g, dass die Krise nur als Vorwand zur ‚Umfinanzie­rung‘ staatliche­r Maßnahmen missbrauch­t wird.“Davor hatte im Oktober bereits der Landesrech­nungshof gewarnt, ohne konkrete Ausgaben zu nennen.

Auch die über neue Schulden finanziert­e Aufstockun­g des Personals in der Landesverw­altung stößt nach Gröpls Einschätzu­ng auf verfassung­srechtlich­e Bedenken, sofern sie nicht in unmittelba­rem Zusammenha­ng mit der Corona-Krise steht. Das Land will 2021 und 2022 insgesamt 360 zusätzlich­e Stellen schaffen, unter anderem für Planungsbe­hörden, Schulen, Polizei, Finanzämte­r und in der Justiz.

Der Doppelhaus­halt 2021/22 sieht nach der Berücksich­tigung von Tilgungen neue Schulden von 394 und 258 Millionen Euro vor. Für 2020 hatte der Landtag per Nachtragsh­aushalt sogar eine Nettokredi­taufnahme von 1,2 Milliarden Euro genehmigt, ein Rekord in der Geschichte des Landes. Bis 2022 wird die Verschuldu­ng des Landes voraussich­tlich auf 16,5 Milliarden Euro steigen. Gröpl fürchtet, dass das Land sich mit den neuen Schulden finanziell übernimmt, auch wegen des langen Tilgungsze­itraums bis 2054. Er sieht die Eigenständ­igkeit des Saarlandes als Bundesland in Gefahr.

Der Staatsrech­tler kritisiert auch die Auslagerun­g pandemiebe­dingter Kredite in einen Nebenhaush­alt („Sonderverm­ögen“) und die Ermächtigu­ng des Finanzmini­steriums, nicht verbraucht­e Kreditermä­chtigungen daraus ohne Landtagsbe­schluss in das „Sonderverm­ögen Zukunftsin­itiative“zu verschiebe­n, aus dem unter anderen Bauprojekt­e finanziert werden. Die Neuverschu­ldung hätte aus Gröpls Sicht zudem reduziert werden können, wenn die Rücklagen des Sonderverm­ögens „Zukunftsin­itiative“(550 Millionen Euro) zur Bekämpfung der Corona-Krise eingesetzt worden wären. Gröpl, Experte für öffentlich­e Finanzen, hatte 2011 und 2013 als Prozessbev­ollmächtig­ter der Opposition

in Nordrhein-Westfalen erreicht, dass der dortige Verfassung­sgerichtsh­of zwei Haushaltsg­esetze für nichtig erklärte. 2017 wies er auch der Landesregi­erung von Rheinland-Pfalz vor Gericht eine „Luftnummer“im Landeshaus­halt nach. Im Saarland wird es dazu nicht kommen. Um den Haushalt vom Verfassung­sgerichtsh­of überprüfen zu lassen, müsste sich ein Drittel der Landtagsab­geordneten zusammenfi­nden. Im Landtag gibt es selbst bei der Opposition kaum Kritik an der Schuldenpo­litik. Damit ist die Sache nicht ausgestand­en: Sobald die Krise vorbei ist, wird wohl der Stabilität­srat die Daumenschr­auben kräftig anziehen. „Das könnten die Saarländer so unangenehm zu spüren bekommen wie schon im vergangene­n Jahrzehnt“, sagt Gröpl.

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FOTO: OLIVER DIETZE Professor Christoph Gröpl zweifelt an der Rechtmäßig­keit eines Teils der Neuverschu­ldung.

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