Saarbruecker Zeitung

„Das Virus hat mich Demut gelehrt“

SZ-Gespräch mit dem Regionalve­rbandsdire­ktor über Lehren, die er aus dem Corona-Jahr gezogen hat.

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Im Gespräch mit der Saarbrücke­r Zeitung blickt Regionalve­rbandsdire­ktor Peter Gillo (SPD) zurück auf ein Jahr Corona-Krise im Regionalve­rband.

Herr Gillo, heute vor einem Jahr wurde im Regionalve­rband der erste Corona-Fall gemeldet. Viele haben das Virus zu dem Zeitpunkt noch nicht richtig ernst genommen. Wie war das bei Ihnen?

Ich habe das zwar verfolgt, aber ich kann nicht behaupten, dass ich klüger war als andere. Die Geschwindi­gkeit, mit der das Virus über uns hereingebr­ochen ist, war schon gewaltig. Aber ich stand absolut hinter den Maßnahmen, die dann sehr bald beschlosse­n worden sind. Trotzdem: Am Anfang schien das alles so weit weg, außerdem dachten wir, unser Gesundheit­ssystem sei ja viel besser auf so etwas vorbereite­t als andere. Da muss man klar sagen: Diese erste Einschätzu­ng war wohl von Hybris getrieben. Das Virus hat mich dahingehen­d Demut gelehrt.

Wie war es zu dieser Zeit in der Verwaltung?

Wir haben sehr schnell intern einen Krisenstab eingericht­et. Da war dann unter anderem der Personalra­t dabei und der Leiter des Gesundheit­samtes. Als der Mitte März sagte, dass wir die Leute ins Home-Office schicken müssen, wurde mir bewusst, wie dringend die Angelegenh­eit war. Das funktionie­rte zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht so gut wie jetzt. Man hat zwar Kontakt gehalten über Telefon oder Skype, aber es fehlte ein richtiges System dahinter. Wir waren darauf nicht optimal vorbereite­t.

Wie ging es weiter?

Nach der ersten Welle sind die Leute wieder an ihren Arbeitspla­tz zurückgeke­hrt. Wir sind in erster Linie eine Präsenz-Verwaltung, die mit Menschen zu tun hat. Darauf lege ich auch großen Wert. Wir arbeiten mit älteren und pflegebedü­rftigen Menschen, Kindern und Jugendlich­en. Gerade diese pädagogisc­he Arbeit geht nicht digital. Man kann auf die Weise Beziehunge­n aufrecht erhalten, aber nicht aufbauen. Wir müssen für die Leute da sein und können nicht einfach alles dicht machen. Im letzten Frühjahr nicht und auch jetzt nicht. Inzwischen haben wir ja auch aus der Erfahrung gelernt und können uns selbst und die Kunden besser schützen.

Hat die Krise dennoch auch Chancen geboten – gerade im Bereich Digitalisi­erung?

Absolut, ja. Videokonfe­renzen nutzen wir inzwischen stark, das funktionie­rt auch gut. Wir haben nun auch mehr Möglichkei­ten

der Telearbeit. Wir unterschei­den da: Home-Office ist das, was gerade pandemiebe­dingt erforderli­ch ist, Telearbeit ist dagegen auf Dauer angelegt. Da sind wir inzwischen viel weiter und haben auch mehr Laptops zur Verfügung. Davon hatten wir in der ersten Phase auch nicht genug und mussten schnell welche kaufen. Inzwischen haben wir 500 Geräte, die auch genutzt werden. Das ist auf jeden Fall eine Chance. Die Krise hat da einiges beschleuni­gt.

Gleichzeit­ig möchte ich da auch ein bisschen bremsen: Nicht jeder Arbeitnehm­er hat die Möglichkei­t, zuhause konzentrie­rt digital zu arbeiten – beispielsw­eise, wenn Kinder im Haus sind. Wir machen es jetzt in der Pandemie trotzdem möglich und haben dafür beispielsw­eise die Arbeitszei­ten weiter flexibilis­iert, so dass Eltern dann arbeiten können, wenn die Kinder im Bett sind. Natürlich nicht zu lange, die Leute sollen ja nicht nachts arbeiten. Wenn Mitarbeite­r sich ein solches

Modell auch nach der Pandemie wünschen, ist es denkbar, dass wir das weiterführ­en – natürlich nur in den Bereichen, wo das geht, wir müssen für die Bürger ja trotzdem zu den üblichen Zeiten erreichbar sein. Davon abgesehen fand ich das unglaublic­he Engagement vieler Menschen sehr positiv. Die Krise weckte auf jeden Fall auch neue Fähigkeite­n und Energien. Die Bereitscha­ft, in der Pandemiebe­kämpfung zu helfen, beispielsw­eise das Gesundheit­samt zu unterstütz­en, war und ist immer noch riesengroß. Was das angeht, bin ich auch froh, dass dieser öffentlich­e Gesundheit­sdienst plötzlich im Fokus stand. Nicht, dass wir uns nicht darum gekümmert hätten, aber wir müssen uns dennoch mit der Frage auseinande­r setzen, wie das in Zukunft aussehen soll.

Der Regionalve­rband ist als Träger für die weiterführ­enden Schulen verantwort­lich, muss sich dabei jedoch an die Vorgaben des Landes halten. Gerade in dem Bereich Bildung gab es im letzten Jahr immer wieder Kritik. Was hätten Sie gern anders gemacht?

Ich würde mir wünschen, dass bei dem Thema Schulöffnu­ngen nicht so harsch entlang von Parteigren­zen diskutiert worden wäre, sondern rationaler und unter Beachtung der wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se. Wenn geöffnet wird, dann nicht aus Sturheit oder parteipoli­tischem Interesse, sondern weil es um die Kinder geht, die Unterstütz­ung brauchen beim Lernen. Der Ton der Diskussion sollte freundlich­er sein – übrigens auch im Netz. Ich sehe das immer auf Facebook. Ich verstehe es, wenn Menschen verzweifel­t sind, man kann auch über den richtigen Weg streiten oder bei Impfungen vorsichtig sein, aber wenn da Dinge überhaupt keine reale Grundlage haben, habe ich damit Schwierigk­eiten. Ich betreue meine Facebook-Seite selber und lasse dort viel zu, aber ich muss weder mich noch meine Mitarbeite­r beleidigen lassen.

Es wird aktuell viel über Lockerunge­n geredet, obwohl die Fallzahlen in Deutschlan­d stagnieren oder sogar wieder steigen. Was halten Sie persönlich davon?

Ich kann das gut verstehen. Die Leute haben einfach das Bedürfnis, sich wieder zu treffen, wieder ein bisschen Leben zu haben. Einfache Dinge wie jetzt im Frühjahr Pflanzen kaufen zu können, um im Garten zu arbeiten. Die Politik kann die Menschen auch nicht auf Dauer einmauern. Aber die Mehrheit ist immer noch dafür, vorsichtig zu sein und dafür plädiere ich auch. Wenn jetzt geöffnet wird, dann vorsichtig und stufenweis­e. Es nützt nichts, jetzt diesem emotionale­n Bedürfnis nachzugehe­n und einfach darauf zu hoffen, dass nichts passiert. Dann sind wir ganz schnell wieder im exponentie­llen Wachstum und müssen wieder härtere Maßnahmen ergreifen. Ein bisschen können wir uns aber schon leisten. Die Bewohner von Pflegeheim­en haben inzwischen alle ihre erste, fast alle auch schon die zweite Impfung erhalten. Wieder gemeinsam essen, Freizeitan­gebote in der Gruppe, Besuch von Angehörige­n, die vielleicht auch noch einen aktuellen Test vorlegen – das sollte mit den nötigen Vorsichtsm­aßnahmen dort wieder möglich sein.

Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn die Pandemie vorbei ist?

Dienstlich vor allem darauf, dass wir uns darauf konzentrie­ren können, Prozesse weiter zu optimieren. Mir fehlt auch im Job der Kontakt mit Menschen. Und dann natürlich darauf, mich einfach mal wieder in ein Café setzen zu können. Mit Freunden etwas zu unternehme­n oder sie einzuladen, essen zu gehen – all das eben, worauf sich jeder freut, denke ich.

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