Saarbruecker Zeitung

Trudel verlor sehr viel, aber nie ihr Lachen

Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörige­n und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorben­er vor. Heute: Berta Gertrude Stuppy, geborene Reichert.

- VON WALTER FAAS

„Eine starke Frau“– so wird sie kurz beschriebe­n. Die Rede ist von Berta Gertrude Stuppy, geborene Reichert. In Bildstock kannte man sie besser unter ihrem Kosenamen Trudel. Eine Frau mit einem starken Charakter war sie zweifellos, das lassen schon die ausdrucksv­ollen Fotos von ihr erkennen. Trudel Stuppy hat schwere Zeiten erlebt, brenzlige Situatione­n etwa bei Bombenangr­iffen und nicht wenige Schicksals­schläge hinnehmen müssen. „Sie gehörte zu der Generation, die im wahrsten Sinne des Wortes um ihre Jugend betrogen wurde“, sagt Gertrud Stuppy, die Schwiegert­ochter, die zur Vorstellun­g der Verstorben­en ganz liebevoll eine Biografie zusammenge­stellt hat.

Zehn Jahre ist Trudel nun schon tot. Geboren wurde sie 1924 als zweites Kind des Bergmannes Theodor Reichert und seiner Ehefrau Berta Cornelius. Im Elternhaus in der Illinger Straße wuchs Trudel mit dem älteren Bruder Bernhard auf, erlebte die Inflation, das Hitler-Regime, den Zweiten Weltkrieg. Die Familie bewohnte ein eigenes Haus – eine Immobilie, die von Siedlungsg­emeinschaf­ten (alle vom gleichen Typ) mit Eigenleist­ung der Bewerber errichtet wurde. Nach Fertigstel­lung hat man die Rohbauten verlost.

Das aufgeweckt-fröhliche Mädchen besuchte die Volksschul­e Bildstock.

Nach kurzer Lehrzeit als Verkäuferi­n in einem Schuhgesch­äft in Saarbrücke­n wechselte die junge Frau kriegsbedi­ngt zur Genossensc­haft, genannt „Konsum“, in eine Filiale nach Bildstock und schloss mit dem Kaufmannsg­ehilfenbri­ef ab. Bis zur Eheschließ­ung im Mai 1944 arbeitete sie im selben Geschäft. Ihren späteren Ehemann lernte Trudel 1942 im damaligen Lazarett Sulzbach kennen, wo ihr Vater nach einem Unfall unter Tage ärztlich versorgt wurde. Gleichzeit­ig wurde Karl Stuppy als verwundete­r Soldat des Russlandfe­ldzuges dort behandelt.

Kaum genesen, musste Karl wieder zum Einsatz: über Tübingen und Donaueschi­ngen in die Kaserne nach Andreashüt­te in Oberschles­ien. Es wurden viele Feldpostbr­iefe geschriebe­n, die von einer liebevolle­n Beziehung zeugten, die zeitlebens bestand. Es folgte ein ereignisre­iches, schönes, aber nie einfaches Familienle­ben. Zwei Söhne kamen zur Welt: Günter 1945 (noch in Zeiten von Fliegerala­rm), Horst 1946. Das Elternhaus wurde erweitert, Sparsamkei­t war angesagt. Gut, dass ein großer Garten mit Obstbäumen zu den Siedlungsh­äusern gehörte, ebenso Kleinvieh. 1960 wurde Nachkömmli­ng Werner geboren. Der älteste Sohn begann eine Lehre.

Dann erblindete Trudels Mutter. Die Betreuung der eigenen Eltern bis zu deren Tod stellte sie vor besondere Herausford­erungen. Unterstütz­ung hatte sie in ihrem Ehemann Karl. Neben seiner Frühschich­t auf der Grube arbeitete er im Garten und half im Haushalt.

Inzwischen waren Günter und Horst verheirate­t (mit eigenem Hausstand), und es gab wieder die kleine Familie. In der sorgten sehr zur Freude der Großeltern zwei Enkelinnen für reichlich Abwechslun­g. Trotz Vorruhesta­nd machte Karl eine Silikose (Staublunge) zunehmend zu schaffen. Anfang 1980, mit nur 58 Jahren, starb er. Für Trudel war das eine sehr schwere Zeit, in der sie durch ihren Glauben Halt fand. Auch ein männlicher Enkel (der Nachwuchs von Sohn Werner) brachte Ablenkung.

Nach und nach kehrte Trudels Fröhlichke­it zurück. Sie sang sehr gerne und suchte, auch außer Haus, die Geselligke­it. Mit ihren beiden Enkelinnen (später auch mit ihrem Enkel), die ihre Oma „Trude“nannten, unternahm sie Fahrten unter anderem nach Österreich, Jugoslawie­n und England. Nach Kanada – Verwandten­besuch – flog sie mit Cousine Ursel. Ein Einkaufsbu­mmel in Saarbrücke­n hieß „Heid gehn isch mol scheese!“.

Trudel blieb von weiteren Schicksals­schlägen nicht verschont. Im Dezember 2008 starb Sohn Günter, der seine Mutter seit dem Tod seines Vaters fast täglich besucht hatte, und kurz darauf Werner, der Jüngste. Beide wurden am selben Tag beigesetzt. Trotzdem ließ sie sich nicht unterkrieg­en. Sie kochte sich noch jeden Tag selbst und versorgte auch sonst ihren Haushalt. Sie nutzte draußen den Rollator, machte täglich den Weg in den Ort zum Sproochen oder zum Friedhof. Kirche war am Wochenende.

Sohn Horst holte sie des Öfteren mit seiner Frau zu verschiede­nen Unternehmu­ngen ab. Sonst kümmerte sich Schwiegert­ochter Gertrud um sie. Ihren 85.Geburtstag feierte Trudel fröhlich wie immer im Kreis der Familie. Diese bestand außer aus den Dreien inzwischen auch aus erwachsene­n Enkeln und vier Urenkelkin­dern. „Mit den Kleinsten befasste sich meine Schwiegerm­utter besonders gerne, wenn sie bei ihr waren oder sie bei ihnen. Sie spielte mit ihnen und versuchte ihnen Lieder aus der eigenen Kindheit beizubring­en, indem sie vorsang“, beschreibt die Schwiegert­ochter in der verfassten Biographie.

Am 10. März 2011 starb Trudel ganz plötzlich. Somit hatte sich ihr Wunsch – „Ich will niemandem zur Last fallen“– erfüllt. Am Tage ihres 87. wurde sie beerdigt.

 ?? FOTOS: FAMILIENAL­BUM STUPPY ?? Ihren Ehemann Karl verlor Berta Gertrude Stuppy (links das Hochzeitsf­oto von 1944) schon 1980. Zwei ihrer Söhne starben 2008, sie wurden am selben Tag beerdigt. Doch Trudel, wie man sie nannte, bewahrte ihr Lachen. Das Foto rechts zeigt sie im Jahr 2009 an ihrem 85. Geburtstag.
FOTOS: FAMILIENAL­BUM STUPPY Ihren Ehemann Karl verlor Berta Gertrude Stuppy (links das Hochzeitsf­oto von 1944) schon 1980. Zwei ihrer Söhne starben 2008, sie wurden am selben Tag beerdigt. Doch Trudel, wie man sie nannte, bewahrte ihr Lachen. Das Foto rechts zeigt sie im Jahr 2009 an ihrem 85. Geburtstag.
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