Saarbruecker Zeitung

Geschäfte offen – Saarland akzeptiert Gerichtsbe­schluss

Der Chef des Hausärztev­erbandes kritisiert die derzeitige Impfstrate­gie: Die Praxen könnten fünf Millionen Menschen pro Woche immunisier­en.

- DAS INTERVIEW FÜHRTE STEFAN VETTER

(gda) Die Saar-Regierung wird keine Rechtsmitt­el gegen den Beschluss des Oberverwal­tungsgeric­htes (OVG) einlegen, der am Mittwoch die Termin-Regelung für den saarländis­chen Einzelhand­el gekippt hat. Das teilte Saar-Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) am Donnerstag mit. Stattdesse­n wolle man „mit einer breit angelegten Bürgertest­ung dafür sorgen, dass insbesonde­re die Beschäftig­ten im Einzelhand­el besser geschützt sind“. Nach dem Beschluss – der laut Gericht ohnehin nicht anfechtbar ist – öffnete bis Donnerstag ein Großteil der Geschäfte im Saarland. Es gilt eine Begrenzung auf einen Kunden pro 15 Quadratmet­er Verkaufsfl­äche.

Nach einem Beschluss der Landes-Gesundheit­sminister sollen spätestens ab dem 19. April auch die Hausärzte gegen Corona mitimpfen. Ursprüngli­ch war von Anfang April die Rede. Der Bundesvors­itzende des Deutschen Hausärztev­erbandes sieht darin viel verschenkt­es Potenzial. Ein Gespräch mit Ulrich Weigeldt.

Herr Weigeldt, Schätzunge­n zufolge wird der Impfstoffm­angel noch bis Juni andauern. Da nützt auch das beste Impf-Engagement der Hausärzte erst mal nichts, oder?

WEIGELDT Das sehe ich anders. Aktuell haben wir die Situation, dass etwa vier Millionen Impfdosen in den Kühlschrän­ken der Impfzentre­n schlummern. Die könnten die Hausärzte verimpfen. Zumal viele Menschen in ländlichen Regionen womöglich auch schneller zum Hausarzt kommen, anstatt viele Kilometer bis zu einem Impfzentru­m zu fahren. Nicht nur die Hausärzte sind ungeduldig, die Patienten sind es auch.

War es ein Fehler, bei der Impfkampag­ne über Monate hinweg nur auf die Impfzentre­n zu setzen?

WEIGELDT Schwierige Frage. Anfangs war das sicher die richtige Entscheidu­ng. Auch wegen der erforderli­chen Kühlkapazi­täten. Inzwischen steht aber fest, dass auch die Praxen alle Impfstoffe verimpfen können.

Auch den von Biontech, der bei minus 70 Grad zu lagern ist?

WEIGELDT Ja, denn es hat sich herausgest­ellt, dass dieser Impfstoff auch noch bei normaler Kühlschran­ktemperatu­r etwa fünf Tage lang haltbar ist. Aber ich prognostiz­iere, dass Biontech in den Praxen schneller verimpft wird.

In Deutschlan­d gibt es rund 55 000

Hausarztpr­axen. Wären die tatsächlic­h alle in der Lage, mit dem Impfen sofort loszulegen?

WEIGELDT Der größte Teil auf jeden Fall. Auch die Kollegen aus der Gynäkologi­e und der Kinder- und Jugendmedi­zin können mitimpfen. Gerade weil die Infektions­zahlen wieder steigen, kommt es doch darauf an, schnell und viel zu impfen. Wir rechnen pro Woche mit fünf Millionen Impfungen zusätzlich, allein durch die Hausärzte.

Sind volle Praxen nicht auch ein potenziell­er Infektions­herd?

WEIGELDT Volle Impfzentre­n wären es dann genauso. Nach einem Jahr Pandemie haben die Praxen sehr gut gelernt, damit umzugehen und ihre Patienten bestmöglic­h vor

Ansteckung­srisiken zu schützen. Im Übrigen impfen die Hausärzte Jahr für Jahr gegen Grippe, ohne dass es hier zu besonderen Auffälligk­eiten gekommen ist.

Lässt sich die Impfreihen­folge einhalten, wenn Hausärzte mitimpfen?

WEIGELDT Das Wichtigste an der Reihenfolg­e war, die alten Menschen in den Heimen zuerst zu impfen. Selbst der Ethikrat hat sich inzwischen aber für mehr Flexibilit­ät bei der Priorisier­ung ausgesproc­hen. Die Hausärzte wissen doch am besten, welche Patienten wie gefährdet sind.

Die Stiftung Patientens­chutz befürchtet Nachteile für Ältere, wenn die Priorisier­ung aufgeweich­t wird. Demnach warten immer noch drei Millionen Menschen in der ersten Gruppe auf eine Impfung, darunter viele Über-80-Jährige.

WEIGELDT Vielleicht wären diese Menschen schon durchgeimp­ft, wenn man die Hausärzte früher einbezogen hätte. Denn gerade die Hochbetagt­en würden doch im Rahmen von Hausbesuch­en durch uns geimpft werden. Und wenn man die Betreuungs­personen mitimpft, würde das die Sicherheit sogar noch erhöhen. Das alles funktionie­rt doch bereits in Pilotpraxe­n, und es funktionie­rt schon länger in Ländern wie Israel oder Großbritan­nien. Nur bei uns dominieren die Bedenkentr­äger. Das darf so nicht weitergehe­n.

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FOTO: IMAGO IMAGES Ulrich Weigeldt, Chef des Deutschen Hausärztev­erbands.

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