Saarbruecker Zeitung

Kind in Quarantäne mit Zwangsgeld gedroht

Zehntausen­de Kinder im Saarland mussten während der Corona-Pandemie in Quarantäne. In Illingen hat das Ordnungsam­t einem Sechsjähri­gen offenbar mit einer hohen Strafzahlu­ng bei Verstößen gedroht. Ein Einzelfall?

- VON TOBIAS FUCHS

Zehntausen­de Kinder im Saarland mussten während der Corona-Pandemie in Quarantäne. In Illingen hat das Ordnungsam­t einem Sechsjähri­gen offenbar mit einer hohen Strafzahlu­ng von bis zu 1000 Euro bei Verstößen gedroht. Ein Einzelfall?

Kinder lieben Post, ob Urlaubsgrü­ße oder die Weihnachts­karte von der Oma. Aber diesen Brief hätte Benjamin (Name geändert) lieber nicht bekommen. Das Ordnungsam­t der Gemeinde Illingen schrieb den Sechsjähri­gen im vergangene­n November an. Betreff: „Anordnung der Absonderun­g in häuslicher Quarantäne.“Das Gesundheit­samt habe mitgeteilt, „dass es sich bei Ihnen um eine direkte Kontaktper­son eines bestätigte­n Covid-19-Falles handelt“, erfuhr das Vorschulki­nd.

Das behördlich­e Schreiben konfrontie­rte Benjamin mit Paragraphe­n und strengen Verhaltens­regeln. Auch ein „Zwangsgeld in Höhe von 1000,- Euro“bei Verstößen gegen die Auflagen drohte das Amt ihm an. „Ich hab’ es ihm vorgelesen, mehrere Din A-4-Seiten“, sagt Benjamins Mutter über das Formschrei­ben. „Er hat aufmerksam zugehört, war aber insgesamt irritiert über den schroffen Ton.“

Im Saarland gibt es in der Corona-Pandemie unzählige Kinder wie

Benjamin. Das zeigen Daten aus dem Regionalve­rband Saarbrücke­n und anderen Landkreise­n. Ihre Gesundheit­sämter stoßen die Quarantäne an, wenn sich jemand mit dem Coronaviru­s infiziert hat. Sie spüren Infektions­ketten nach, suchen nach Kontaktper­sonen. Die Ordnungsäm­ter fordern die Betroffene­n dann auf, nicht mehr vor die Tür zu gehen.

Allein im Regionalve­rband befinden sich derzeit etwa 470 Kinder in Quarantäne. Die Zahl der Quarantäne­fälle seit März vergangene­n Jahres schätzt man in der Altersgrup­pe von null bis vierzehn auf 15 000. Durch die zahlreiche­n Quarantäne­n von Schulklass­en oder Kitagruppe­n oder der Schließung ganzer Einrichtun­gen sei die „Gesamtzahl sehr hoch“, erklärt ein Sprecher. Im Landkreis Saarlouis mussten 3890 Kinder auf Anordnung zu Hause bleiben, die meisten von ihnen waren Kontaktper­sonen, nur 558 selbst infiziert. Wie gehen Kinder und ihre Erziehungs­berechtigt­en mit dem behördlich­en Hausarrest um?

Für berufstäti­ge Mütter und Väter ist die Quarantäne ein Betreuungs­problem. Können sie nicht zur Arbeit, haben sie Anspruch auf eine Entschädig­ung. Sie beträgt 67 Prozent des Verdiensta­usfalls, aber maximal 2016 Euro für einen ganzen Monat. Ihre Sprössling­e erleben die Absonderun­g häufig als Ausnahmezu­stand. Erzieher berichten, dass manche Kinder geschockt reagierten, wenn ihre Kita plötzlich schließen müsse. Umso schwerer fällt es, zum eigenen Nachwuchs auf Distanz zu gehen.

In Illingen forderte das Ordnungsam­t den sechsjähri­gen Benjamin

auf, einige Hygienereg­eln zu beachten. An erster Stelle stand die „zeitliche und räumliche Trennung von den anderen Haushaltsm­itgliedern“, also auch von Eltern oder Geschwiste­rn. Benjamins Mutter sieht das kritisch. Wenn in einem solchen Brief vom Amt stehe: „Bitte versuche, möglichst alleine zu essen, zu schlafen und halte dich am besten immer fern von deiner Familie auf, dann kann das recht verstörend sein und Verlustäng­ste fördern“, sagt sie. „Kindgerech­te oder zumindest einfache Sprache sollte keine Hürde darstellen.“

Sind solche Anschreibe­n an Kinder im Saarland üblich? Der Illinger Bürgermeis­ter Armin König (CDU) spricht von einer „Panne“, einem

Einzelfall. Normalerwe­ise erhielten in seiner Gemeinde nicht die Kinder Post vom Ordnungsam­t, sondern ihre Eltern. Nun kündigte König einen Entschuldi­gungsbrief an die betroffene­n Kinder an. „Dann bekommen sie Post vom Armin, der sich entschuldi­gt und ihnen erklärt, warum das alles ein bisschen komisch ist im Moment“, erklärte er am Donnerstag auf Facebook.

Auch die Stadt Neunkirche­n, zweitgrößt­e Kommune in der Region, wendet sich an die Erziehungs­berechtigt­en. Das Rathaus verweist auf die Vorgaben des saarländis­chen Polizeiges­etzes. Dagegen heißt es aus Saarbrücke­n, die Briefe seien dort an die Kinder adressiert. Eine altersgere­chte Erklärung legen die angefragte­n Behörden nicht bei. Bürgermeis­ter König aus Illingen fände ein solches Begleitsch­reiben durchaus „sinnvoll“, sagt er. Der Saarpfalz-Kreis hat zuletzt ein Infoblatt für Kinder vorgestell­t, das die Ortspolize­ibehörden mitschicke­n, wenn sie eine Quarantäne verfügen.

Die Kinderpsyc­hologin Eva Möhler mahnt zu einer behutsamen Kommunikat­ion bei der Anordnung einer Quarantäne. „Kinder fühlen sich sehr schnell kriminalis­iert“, sagt die Professori­n, die am Universitä­tsklinikum des Saarlandes (UKS) die Klinik für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie leitet. Ihnen sollte nicht der Eindruck vermittelt werden, für andere Menschen nur eine Gefahr darzustell­en. „Mit solchen Zuschreibu­ngen identifizi­eren sie sich“, erklärt die Expertin, die auch der Kinderschu­tzkommissi­on der Landesregi­erung angehört. „So wie Erwachsene sie einordnen, empfinden sie sich selbst.“

Seit einem Jahr beobachtet Möhler mit Sorge, was die Isolation durch Quarantäne oder die Schließung von Schulen und Kitas mit Kindern macht. Sie weiß um die Bedürfniss­e von Kindern, die man ihnen behördlich abschneide, sagt sie. Sich mit Freunden treffen oder unbefangen im Freien bewegen. Die frische Luft hat auch Benjamin während seiner Quarantäne vermisst. Ansonsten sei die Zeit für ihn aber „kein Problem“gewesen, sagt seine Mutter: „Er war sehr tapfer.“Trotz der Post vom Ordnungsam­t.

„Er hat aufmerksam zugehört, war aber insgesamt irritiert über

den schroffen Ton.“

Die Mutter des sechsjähri­gen Benjamin über ein

Schreiben des Ordnungsam­ts

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FOTO: BERND THISSEN/DPA Tausende Kinder im Saarland mussten während der Pandemie in Quarantäne. Für sie ist es meist nicht leicht zu verstehen, weshalb.

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