Kind in Quarantäne mit Zwangsgeld gedroht
Zehntausende Kinder im Saarland mussten während der Corona-Pandemie in Quarantäne. In Illingen hat das Ordnungsamt einem Sechsjährigen offenbar mit einer hohen Strafzahlung bei Verstößen gedroht. Ein Einzelfall?
Zehntausende Kinder im Saarland mussten während der Corona-Pandemie in Quarantäne. In Illingen hat das Ordnungsamt einem Sechsjährigen offenbar mit einer hohen Strafzahlung von bis zu 1000 Euro bei Verstößen gedroht. Ein Einzelfall?
Kinder lieben Post, ob Urlaubsgrüße oder die Weihnachtskarte von der Oma. Aber diesen Brief hätte Benjamin (Name geändert) lieber nicht bekommen. Das Ordnungsamt der Gemeinde Illingen schrieb den Sechsjährigen im vergangenen November an. Betreff: „Anordnung der Absonderung in häuslicher Quarantäne.“Das Gesundheitsamt habe mitgeteilt, „dass es sich bei Ihnen um eine direkte Kontaktperson eines bestätigten Covid-19-Falles handelt“, erfuhr das Vorschulkind.
Das behördliche Schreiben konfrontierte Benjamin mit Paragraphen und strengen Verhaltensregeln. Auch ein „Zwangsgeld in Höhe von 1000,- Euro“bei Verstößen gegen die Auflagen drohte das Amt ihm an. „Ich hab’ es ihm vorgelesen, mehrere Din A-4-Seiten“, sagt Benjamins Mutter über das Formschreiben. „Er hat aufmerksam zugehört, war aber insgesamt irritiert über den schroffen Ton.“
Im Saarland gibt es in der Corona-Pandemie unzählige Kinder wie
Benjamin. Das zeigen Daten aus dem Regionalverband Saarbrücken und anderen Landkreisen. Ihre Gesundheitsämter stoßen die Quarantäne an, wenn sich jemand mit dem Coronavirus infiziert hat. Sie spüren Infektionsketten nach, suchen nach Kontaktpersonen. Die Ordnungsämter fordern die Betroffenen dann auf, nicht mehr vor die Tür zu gehen.
Allein im Regionalverband befinden sich derzeit etwa 470 Kinder in Quarantäne. Die Zahl der Quarantänefälle seit März vergangenen Jahres schätzt man in der Altersgruppe von null bis vierzehn auf 15 000. Durch die zahlreichen Quarantänen von Schulklassen oder Kitagruppen oder der Schließung ganzer Einrichtungen sei die „Gesamtzahl sehr hoch“, erklärt ein Sprecher. Im Landkreis Saarlouis mussten 3890 Kinder auf Anordnung zu Hause bleiben, die meisten von ihnen waren Kontaktpersonen, nur 558 selbst infiziert. Wie gehen Kinder und ihre Erziehungsberechtigten mit dem behördlichen Hausarrest um?
Für berufstätige Mütter und Väter ist die Quarantäne ein Betreuungsproblem. Können sie nicht zur Arbeit, haben sie Anspruch auf eine Entschädigung. Sie beträgt 67 Prozent des Verdienstausfalls, aber maximal 2016 Euro für einen ganzen Monat. Ihre Sprösslinge erleben die Absonderung häufig als Ausnahmezustand. Erzieher berichten, dass manche Kinder geschockt reagierten, wenn ihre Kita plötzlich schließen müsse. Umso schwerer fällt es, zum eigenen Nachwuchs auf Distanz zu gehen.
In Illingen forderte das Ordnungsamt den sechsjährigen Benjamin
auf, einige Hygieneregeln zu beachten. An erster Stelle stand die „zeitliche und räumliche Trennung von den anderen Haushaltsmitgliedern“, also auch von Eltern oder Geschwistern. Benjamins Mutter sieht das kritisch. Wenn in einem solchen Brief vom Amt stehe: „Bitte versuche, möglichst alleine zu essen, zu schlafen und halte dich am besten immer fern von deiner Familie auf, dann kann das recht verstörend sein und Verlustängste fördern“, sagt sie. „Kindgerechte oder zumindest einfache Sprache sollte keine Hürde darstellen.“
Sind solche Anschreiben an Kinder im Saarland üblich? Der Illinger Bürgermeister Armin König (CDU) spricht von einer „Panne“, einem
Einzelfall. Normalerweise erhielten in seiner Gemeinde nicht die Kinder Post vom Ordnungsamt, sondern ihre Eltern. Nun kündigte König einen Entschuldigungsbrief an die betroffenen Kinder an. „Dann bekommen sie Post vom Armin, der sich entschuldigt und ihnen erklärt, warum das alles ein bisschen komisch ist im Moment“, erklärte er am Donnerstag auf Facebook.
Auch die Stadt Neunkirchen, zweitgrößte Kommune in der Region, wendet sich an die Erziehungsberechtigten. Das Rathaus verweist auf die Vorgaben des saarländischen Polizeigesetzes. Dagegen heißt es aus Saarbrücken, die Briefe seien dort an die Kinder adressiert. Eine altersgerechte Erklärung legen die angefragten Behörden nicht bei. Bürgermeister König aus Illingen fände ein solches Begleitschreiben durchaus „sinnvoll“, sagt er. Der Saarpfalz-Kreis hat zuletzt ein Infoblatt für Kinder vorgestellt, das die Ortspolizeibehörden mitschicken, wenn sie eine Quarantäne verfügen.
Die Kinderpsychologin Eva Möhler mahnt zu einer behutsamen Kommunikation bei der Anordnung einer Quarantäne. „Kinder fühlen sich sehr schnell kriminalisiert“, sagt die Professorin, die am Universitätsklinikum des Saarlandes (UKS) die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie leitet. Ihnen sollte nicht der Eindruck vermittelt werden, für andere Menschen nur eine Gefahr darzustellen. „Mit solchen Zuschreibungen identifizieren sie sich“, erklärt die Expertin, die auch der Kinderschutzkommission der Landesregierung angehört. „So wie Erwachsene sie einordnen, empfinden sie sich selbst.“
Seit einem Jahr beobachtet Möhler mit Sorge, was die Isolation durch Quarantäne oder die Schließung von Schulen und Kitas mit Kindern macht. Sie weiß um die Bedürfnisse von Kindern, die man ihnen behördlich abschneide, sagt sie. Sich mit Freunden treffen oder unbefangen im Freien bewegen. Die frische Luft hat auch Benjamin während seiner Quarantäne vermisst. Ansonsten sei die Zeit für ihn aber „kein Problem“gewesen, sagt seine Mutter: „Er war sehr tapfer.“Trotz der Post vom Ordnungsamt.
„Er hat aufmerksam zugehört, war aber insgesamt irritiert über
den schroffen Ton.“
Die Mutter des sechsjährigen Benjamin über ein
Schreiben des Ordnungsamts